Vor drei Wochen ist Dietrich Brüggemanns Film Heil gestartet (Freitag vom 16. Juli), eine Komödie, in der eine Gruppe Neonazis von Polen aus einen Angriff auf Deutschland reenacted und keiner was dagegen tut. Bislang haben knapp 30.000 Leute den Film gesehen (Stand 03. August). Dass ich auf ihn noch einmal zurückkomme in diesem Gespräch mit dem Rechtsextremismusexperten David Begrich, hat zwei Gründe. Zum einen hat Regisseur Dietrich Brüggemann in seinem Blog selbst eine Debatte über die Wahrnehmung von Heil angestoßen, in der es auch darum ging, welche Bilder von Rechtsradikalen wir uns durch das Kino machen. Eine Frage, die, zum anderen, von Bedeutung ist angesichts der aktuellen rassistischen Aufwallungen gegen geflüchtete Menschen.
der Freita
che Bilder von Rechtsradikalen wir uns durch das Kino machen. Eine Frage, die, zum anderen, von Bedeutung ist angesichts der aktuellen rassistischen Aufwallungen gegen geflüchtete Menschen.der Freitag: Haben Sie sich „Heil“ angeschaut, Herr Begrich?David Begrich: Ja.Wie war die Stimmung im Saal?Bildungsbürgerlich, würde ich sagen. Der Film lief bei uns in Magdeburg in einem Programmkino. Lacher waren die Ausnahme.Ihr Urteil?Schön unscharf. Glatzen wie in den 90er Jahren, Plattenbauten, dumme Sprüche. Der Film macht aus Phänomenen wie Neonazismus und Rassismus Trash. Das ist so gewollt, ich weiß, aber es nicht besonders einfallsreich. Gab es schon. Ich wünsche mir mal einen kontrastreichen Film, der die Plausibilität der Welt der Neonazis ernst nimmt, ohne sie nur abzubilden. Ich suche in solchen Filmen die Haarrisse in der eindeutigen Bildsprache.Gab es schon?Ja, jedenfalls der Bildsprache nach. Ob Beruf Neonazi, Führer Ex oder Kriegerin. Alle diese Filme bilden ab, wie sich Medienleute den Neonazi vorstellen. Prollig, krawallig, irgendwie tumb. Naja. Dieser Zugriff hat den Vorteil, dass alle denken: Neonazis? Rassismus? Alles weit weg, das sind junge Männer mit Grütze im Kopf. Diese Art der Darstellung unterschätzt die durchaus vorhandene Plausibilität rechtsextremer Lebenswelten.Placeholder infobox-1Dietrich Brüggemann hat, wenn ich ihn richtig verstehe, seinen Film dezidiert gegen „Kriegerin“ entworfen, gegen bedrohliche „Zeigefingernazis“, wie er das nennt. Wenn ich Sie richtig verstehe, macht es keinen Unterschied, ob die tumben Nazis nun Witze machen oder nicht.Macht es nicht, weil die Nazis in Heil auch so 1991 sind, keinen Kontrast haben. Ihre Brutalität ist tumb. Daraus wird schnell „harmlos“. Die Gewalt von Neonazis ist aber nicht tumb und harmlos, sondern gezielt und ausgesucht. Man kann über Nazis Witze machen. Aber Brüggemanns Nazis sind nur eine Folie für die Zeitgeschichte im Kopf des Regisseurs und bedienen Abziehbilder.Wieso ist das Bild vom Skinhead mit Bomberjacke und Springerstiefeln so attraktiv?Das war die in Ostdeutschland seinerzeit dominierende jugendkulturelle Strömung. Es gab zwar noch jene, die die Ehre der Skinkultur retten wollten und sagten: Skinheads sind gar nicht rechts. Das waren sie aber in den 90er Jahren.Aber die Nazis auf den aktuellen Bildern sehen doch anders aus: akkurate Frisuren, schwarze Sonnenbrillen, schwarze T-Shirts, sportliche Körper, sportlicher Look, Tattoos, die genauer betrachtet vermutlich beredt wären. Warum werden Nazis im Film dann immer angezogen, als hätten wir 1991?Weil die Nazis von heute näher am Lifestyle der Mitte dran sind, als diese wahrhaben will. Neonazismus ist subtil, nicht stumpf. Nazis als stumpf darzustellen ist praktisch für die moralische Selbstdistinktion, der Thor-Steinar-Träger spiegelt dagegen den Rassismus der Mitte.Es ist erstaunlich, wie dominant das Muster von der tumben Glatze ist. Mark Monheim etwa, der gerade einen hübschen Coming-of-Age-Film gemacht hat („About a Girl“), listet auf seiner Homepage ein Projekt namens „Nazi Safari“ auf: „Politisch unkorrekt, mit beißendem schrägem Humor statt erhobenem Gutmenschen-Zeigefinger erzählt Nazi Safari die Geschichte der Leuterung (sic) zweier Skinheads, die ein unwahrscheinlicher Zufall mitten ins tiefste Schwarz-Afrika (sic) verschlägt.“ Das klingt so schrecklich, dass man hofft, der Stoff werde gerade nicht entwickelt. Es kommt sich mutig vor („unkorrekt“) und kämpft doch nur gegen mediale Gespinste („Gutmenschen-Zeigefinger“). Mut wäre, sich den Lifestyle-Nazis zu stellen. Ist das Ignoranz oder Angst, dass Filmemacher sich Skinheads lustig machen, die es in der Form nicht gibt?Vielleicht weder noch, sondern das beschränkte Sehfeld von Filmleuten, die ständig mit gängigen Bildern hantieren und nicht merken, dass sie dem Abbild eines Klischees aufgesessen sind. Interessant wäre der Versuch, nicht die Tumbheit des Ressentiments vorzuführen, sondern die Härte und Authentizität neonazistischer Ideologie zu bebildern. Nazis sind Mörder, keine angemalten Playmobil-Figuren. So was kann man zeigen. Möglichst nah dran an deren Selbstbildern, um dann die Ästhetisierung der Gewalt zu brechen.Placeholder link-1Gegen die mediale Tradierung würde vielleicht Recherche helfen. Die Autoren und Regisseure könnten doch zu Ihnen und Ihren Kollegen kommen, um zu erfahren, wie es in der Wirklichkeit aussieht.Sie kommen ja. Es gab Gespräche mit den Machern von Kriegerin, auch mit denen von öffentlich-rechtlichen Krimiproduktionen. Wir setzen uns mit denen über Stunden hin, zeigen Bilder und Accessoires, sprechen über deren Wirkung. Das ist schon intensiv, aber bleibt ohne Nachwirkung. Die Autoren und Regisseure sagen: Ja, interessant – um im Film wieder auf eben jene Bilder zu verfallen, die sie bereits kennen. Kann man nichts machen.Man fragt sich nur, warum die überhaupt mit Ihnen reden.Die Filmemacher argumentieren mit der Vermittelbarkeit Ihrer Bildsprache an die Zuschauer. Und da findet sich offenbar jenseits des bekannten Bilderstroms zum Thema Neonazis kein Weg, der einen anderen Zugriff versucht. Heißt: Die Bilder müssen zum Format des Films passen, einen Wiedererkennungseffekt erzeugen. Das ist wie in einer Bilderbox für Märchenfilme: Die Hexe trägt immer ein Kopftuch.Was die Distinktion angeht: Spielt der Osten da eine Rolle? Dass Nazis nur vor Plattenbauten richtig gut aussehen?Das hat zwei Aspekte: Es gibt diese ausgelutschten Klischees von den Ostzonen-Nazis, klar. Aber es gibt im Osten auch einen gewissen Unwillen, sich der eigenen, unrühmlichen 20-jährigen Tradition von Rassismus und Rechtsextremismus zu stellen. Von Leuten wie „Dritte Generation Ost“ gibt es zur derzeitigen rassistischen Mobilisierung kein Wort. Da erscheint der Osten nur mehr als positive biografische Ressource. Sich den 90er Jahren wirklich zu stellen, könnte schmerzhaft werden.Vermutlich ist das auch die Hoffnung, dass es vorbei ist. Das Kino hat die Bilder aus Rostock gerade historisiert mit Burhan Qurbanis Film „Wir sind jung. Wir sind stark“. Jetzt fliegen wieder Steine. Kommt Rostock wieder?Diese Lichtenhagen- und Hoyerswerda-Bilder sind manchen Akteuren präsenter, als man glaubt. Es wimmelt im Netz von Neonazis, die ihr Facebook-Profil mit Slogans wie „Lichtenhagen kommt wieder“ schmücken und dazu ein Bild vom Sonnenblumenhaus posten. Natürlich gibt es gewichtige Unterschiede zur Situation 1992/93. Aber die Akteursgruppen rassistischer Gewalt kennen die Wirkungsmacht der damaligen Bilder und beziehen sich auf diese.Welche Unterschiede?Heute gibt es Bürgergruppen, die sich sehr konkret für Flüchtlinge engagieren. In den Medien gibt es neben rassistischen Diskursen auch umsichtige und kritische Reflexionen. Die Politik hingegen scheint noch unentschlossen, ob sie nicht doch die Karte der Ressentiments ausspielen will. Ob all diese Unterschiede bleiben, hängt vom Fortgang der Debatte ab.Wie nehmen Sie die medial wahr?Die Problemzone beginnt beim Wording. Aus Rassismus wird „Fremdenfeindlichkeit“ oder gleich „Asylkritiker“. Der Topos des „besorgten Bürgers“ bedarf dringend einer kritischen Diskursanalyse.
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