Gespräch über das Haus Hacks

Inneneinrichtung I Vierzig Jahre, bis zu seinem Tod am 28. August 2003, hat Peter Hacks in einer riesigen Wohnung in der Berliner Schönhauser Allee gelebt. Eine vielstimmige Rekonstruktion

Nein, ich war nie in der Schönhauser Allee 129, sondern habe nur einige Male andächtig vor der Haustür gestanden und das Klingelschild „Dr. Hacks“ betrachtet. Auch ging ich einmal in den Hof und blickte scheu von hinten hoch. Wie Verehrer das halt so tun. Wenn ich durch die Schönhauser Allee ging, meistens hungrig, durstig oder traurig, musste ich oft daran denken, dass hier irgendwo der Dichter wohnte. Schon während der Studienzeit wussten wir, wo „Gott“ wohnt, und wenn man mit der U-Bahn fuhr, konnte man sehen, ob Licht brannte in diesem Erker. Dann wusste man, er ist zu Hause.

Von außen ist das eher so ein unscheinbares, geducktes Mietshaus. Dieses Turmzimmer, das sieht man ja schon von außen an dem Haus. Das ist, glaube ich, ein Jugendstilhaus. Das Haus ist ein solides Berliner Bürgerhaus aus dieser guten Zeit, die man manchmal mit dem falschen Wort Wilhelminismus bedenkt. Das ist natürlich Quatsch. Es gibt keinen wilhelminischen oder gar wilhelministischen Baustil, sondern es gibt diese nuller Jahre, die den Höhepunkt eines fortschrittlich durchlichteten Wohnungsbaus bilden.

Übergang von Brecht zu Goethe

Die Wohnung glich einem Museum, das mit antiken Sachen ausgestattet war bis zur Kaffeekanne. Das hing mit der Wendung in seinem literarischen Stil zusammen: Der Übergang von Brecht zu Goethe war auch im Mobiliar manifest geworden. Das war im Grunde wie ein Museum, man konnte‘s vergleichen mit Schloss Sanssouci, überall uralte Teppiche, Gemälde an den Wänden. Aber das Ganze eben kein Antiquitätenladen, sondern durchaus persönlich gemischt im Dienste einer wirklichen Bequemlichkeit. In Hacks‘ Wohnung wurde kein Künstlertum simuliert. Er war der Mann des Endgültigen, und so war auch seine Wohnung. Allerdings wirkte sie nicht überladen, nicht voll. Im ganzen etwas vollgestellt, aber nicht überladen. Erlesen. Gediegen. Natürlich ein vollkommenes Konglomerat; dass diese Wohnung eben auch das Werk seiner Frau war, das wollen wir einmal voraussetzen.

Der Aufgang war repräsentativ, es lief sich auch gut. Wir haben immer gesagt, das ist ja wie bei Goethe, der hatte auch diese schönen, breiten Steinstufen in seinem Weimarer Domizil. Das war zu DDR-Zeiten alles relativ schlicht, so niedrig wie die Mieten waren, so simpel boten sich die Hauseingänge und Treppenhäuser dar, daran habe ich keine spezifischen Erinnerungen. Das Treppenhaus bleibt einem in Erinnerung, das ging sehr hoch, wenn man oben war, war man erstmal außer Atem. Mir ist das heute noch schleierhaft, wie die Anna das in den letzten Jahren geschafft hat. Ein herrschaftlicher Treppenaufgang, sehr geräumig, heute würde man sagen, dass da Schönheitschirurgen oder derlei betuchte Leute wohnen. Wenn man zu Hacksens ging, musste man erstmal die vier Treppen hochlaufen. Das war auch in jüngeren Jahren eine große Strecke. Und da erinnere ich mich noch, das war noch tief in der DDR-Zeit, da zeigte er mir weiße Flecken und erzählte amüsant, da hätte jemand Hakenkreuze gemalt, und dann wären gleich Leute gekommen und hätten die wieder weggewischt. Gleich daneben aber waren erotische Zeichnungen, und ihn amüsierte sehr, dass sie die stehen gelassen hatten.

Und dann stand er immer schon am Geländer und wartete auf einen. Oben war eine kleine Balustrade, wenn man ankam, dann stand schon irgendjemand oben, entweder Peter oder Anna, und winkte, und wir haben erstmal tief Luft geholt, um uns zu begrüßen. Empfangen wurde man mit einem großen Lächeln. Er stand meistens vor seiner Wohnung an dem Treppenaufgang bereit, um einen sehr höflich zu begrüßen. Die Begrüßung war furchteinflößend, ganz der Dichter-Aristokrat. Der war aber ganz lieb. Es hat lange gedauert, ehe er an die Tür kam, und dann stand er da und war so ein strahlender alter Mann und hat ganz wunderbar hereingebeten.

Wenn man oben angekommen war, kam man zuerst in einen kleinen Korridor. Man ist dann in so einen kleinen Vorraum getreten, ich meine, quadratisch. In dem stand nichts als ein Kleiderständer. Ein Garderobenständer, eine kleine Kommode, ein Spiegel, ein Stuhl. Eine kleine Garderobe nur, so ein Ständer, auf dem nur vier Mäntel Platz hatten. Wenn viel Besuch da war, wurden die Mäntel immer auf die Betten von der Anna Wiede und dem Peter Hacks gelegt.

Man zog die Schuhe nicht aus, wie das bei manchen Leuten üblich ist, was ich nicht leiden kann. Man musste sich draußen die Schuhe gut abputzen oder man hat, je nachdem wie‘s Wetter war, die Schuhe gewechselt, das schuldete man den Hausherrn. Herr Hacks ging barfuß in seiner Wohnung, was damit zusammenhing, dass die Heizung nicht abzustellen ging. Peter hatte so Lederschuhe, die er sicher nur in der Wohnung getragen hat. Anna war über die Jahre doch etwas gemütlicher geworden und hatte Hausschuhe an. Und dann betrat man einen ziemlich langen Flur, der nach rechts abzweigte, gesäumt von Bücherregalen bis unter die Decke.Der führte ganz nach hinten, zirka 20 Meter, wahrscheinlich waren‘s gar nicht so viele; obwohl der Flur für uns heute unvorstellbar lang war. Wenn man reinkam, ich meine, dass das Bibliothekslagerregale im Flur gewesen sind. Der Flur, in dem das Licht nicht angemacht wurde, war schmal, zu beiden Seiten gingen immer wieder Türen ab. Alle diese Türstöcke waren ausgebaut zu Bücherregalen, man ging da durch lauter, lauter Bücher; die Regale waren voll mit Büchern, Zeitschriften, Papieren. Möbel für Garderobe oder so, das war alles im Flur untergebracht. Ich fand das total cool und stylish, diese Schrankeinbauten, mit dieser klassizistischen Tapete. Die Schränke waren richtig eingebaut, ein Schrankeinbau, bei dem du den Schrank nicht gleich gesehen hast. Das war wie so ein Hotelflur, weil da vier oder fünf Türen von jeder Seite abgingen. Es waren eine ganze Menge Zimmer. Man kam in eine Wohnung, in der man erstmal nicht so richtig durchsah.

Der Chinese aus Porzellan

Gleich rechts war sein Schlafzimmer, Grundtendenz Jugendstil, ziemlich klein, – das war eigentlich, was man früher sagte, die Mädchenkammer –, so dass das Bett in einer Nische stand, am Fußende kam dann schon das Fenster. Er hatte in diesem Schlafzimmer einen Beardsley, eine erotische Zeichnung, ob die echt war, weiß ich nicht. Man kann eigentlich sagen, dass bei dem Hacks neben dem Intellekt und dem Kultursnobismus die Erotik immer eine große Rolle gespielt hat.

Zwischen seinem Schlafzimmer und der Küche war das Bad, in dem stand die alte Wanne, in der Anna jeden Tag badete. Das Bad war unspektakulär, nichts Besonderes, war sicher gefliest, was im Osten ja nicht üblich war. Wenn man sich zur Toilette begab, musste man an einen Schalter hinter den Büchern kommen, um das Licht anzuschalten, und wenn mich nicht alles täuscht, waren an der Stelle Ulbrichts gesammelte Reden aufgestellt.

Die Küche war ohne jede Ambition eingerichtet, nur praktisch und was man brauchte, da die beiden ja immer versucht haben, aus dem Essen keinen Kult zu machen. Die haben ja kaum gekocht. Sie haben sich selbst einfache Sachen von der Hausbesorgerin machen lassen. Hacks war im Essen eher ungebildet, auch unwillig sich zu bilden. Wir sind, bevor wir dahin fuhren, erstmal in die Galeries Lafayette und haben einen großen Block Parmesankäse und Rotwein besorgt, und später stellte sich heraus, er hatte noch nie Parmesankäse gegessen, was ich ziemlich eindrücklich fand. Ich weiß aber, dass Schernikau in der Küche war, und sie haben da gemeinsam Quarkbrote zubereitet. Zu kleinen Festen war das der schönste Raum, weil man da diese Küchengemütlichkeit hatte; manchmal blieb man auch in der Küche hängen, wo das Buffet aufgestellt war.

Einladung zur Putzparty

Da gab‘s den Schrank, in dem die großen Teebüchsen standen, zwanzig große Blechdosen. Barocke Gläser. Einen großen Herd, Anna kochte gern. In der Küche gab es ein Klingeltableau: Wenn ein Dienstbote gebraucht wurde, fiel eine Klappe, und man konnte sehen, in welchem Zimmer geläutet wurde. Das wurde zu Hacksens Zeiten nicht mehr praktiziert, zeigt aber die Einstellung zu den Dingen, dass so was nicht entfernt wurde. Und dann gab es da eine zweite Tür für die Domestiken, da ging das Personal ein und aus, zu Hacksens Zeit wohl nicht mehr. Außerdem hatten die eine Zugehfrau, die alles sauber gemacht hat. So eine Riesenwohnung hat natürlich die Anna nicht saubergemacht und er auch nicht. Anna und ich haben mal ein umfangreiches Zwiebelmustergeschirr abgewaschen, das nannte sie Putzparty, das machte sie immer, wenn sie sich Hilfskräfte holte, das nannte sie Party.

Links stand eine Vitrine, ein Glasschrank, und der war voll von oben bis unten mit alten Gläsern und altem Porzellan, da ist mal ein Bekannter reingefallen, deswegen weiß ich das so genau. Ich bin dann immer an dem lebensgefährlichen Glasschrank vorbeigegangen und hab mich in die Küche gesetzt. Da konnte man ganz wenig kaputt machen. Alles andere war heilig. Man hat sich nicht getraut, irgendwas anzufassen. Sakral oder heiligtuerisch ging es dennoch nicht zu. Da blieb man dann mal an irgendsoeinem Beschlag hängen, und ich sagte, oh, das ist ungünstig. Da war Hacks zu Tode beleidigt, dass man zu einem Möbelstück von ihm sagte, das ist aber ungünstig. Mir war‘s alles zu alt und zum Putzen sehr aufwändig, die ganzen Schnitzereien.

Dann kam als nächstes das gemütlichste Zimmer in der Wohnung, das war Annas Schlafzimmer. Das duftete nach teurem Parfum, Puder, ganz feinen Dingen. In ihrem Schlafzimmer stand kein Kleiderschrank. Neben dem Bett links war der heilige Platz, der Schminktisch von Anna, auf dem all ihre Kostbarkeiten standen. Ich habe oft neben ihr gesessen, wenn sie da saß und sich langsam und sorgfältig zurechtmachte, das war sehr schön anzuschauen. Annas Schlafzimmer war eher so ein wenig Barock. Getrennte Schlafzimmer, das war damals in. Dafür gab es kein Gastbett, ich hab‘s bedauert, dass sie das nicht hatten, ich hab dann immer im Salon auf dem Sofa geschlafen. In Annas Schlafzimmer gab es Mahagoni-Möbel, das Bett auf alle Fälle, ein riesiges Bett, und ein Kühlschrank, den sie für sich besaß, weil sie sich gerne Cremes und Salben zusammenrührte für die Schönheit. Darin hat sie die Grundlagen dafür aufbewahrt.

Dann kam ihr Zimmer – ihr Arbeitszimmer war rein Biedermeier –, da fiel mir auch so eine, wie nennt man das, ach, das wollte ich auch immer so gern haben, für meinen Mann, keine Couch, sondern ein Möbel, wo man sich so anlehnen kann, was an der Wand stehen muss – ihre Récamière, dieses Halbsofa. Ottomane heißt das, glaube ich. Eine Ottomane, eine Récamière war‘s eigentlich nicht. Ja, da hatte es auch ein Prahlhans. Dann war da noch so ein kleiner Balkon, den sie aber nie benutzten, der ging zum Hof.

Auch Klassizismus

Das Wohnzimmer hatte auch Barockschränke, auch Klassizismus, Louis Seize. Das war dieses Turmzimmer, es hatte auch den Charakter eines Turms. Ausgestattet war es mit alten Statuen, alte Möbeln, ein bisschen dunkel gehalten. Sein Salon, Empfangszimmer, sein Wohnzimmer, ich weiß nicht, wie man das nennen soll. Und das war ein museumsartiger Raum mit güldenen Tapeten, unglaublich vielen Uhren, die immer bimmelten und bammelten. Ich erinnere mich gut an einen Chinesen aus Porzellan, der immer mit dem Kopf wackelte. Für manche Leute vielleicht merkwürdig eingerichtet, da gab es so große Porzellantiere, waren es Panther, so Chinoiserien. Reiche Teppiche, an den Wänden Seidentapeten, grüne Seitentapeten.

An einer Ecke hinten rechts, da hatte es wohl mal reingeregnet, da standen sie auch ein wenig ab. Es gab Säulen mit Kordeln, es gab Figuren, die Lampen hielt ein „Mohr“, es gab schwere Vorhänge, es gab Kelche, aus denen Pfauenfedern ragten. Dann kam eine riesengroße Bodenvase, da waren meistens künstliche Blumen drin, manchmal auch echte. Man brachte ihm immer Blumen mit, und ich hatte immer das Gefühl, das ist zu viel, die passen nicht zu diesen vielen Antiquitäten, aber er freute sich jedes Mal sehr über Blumen.

Die Sitzgarnitur war, wenn man reinkam, gleich rechts, und man versank tief in diesen Polstern und konnte da ohne Weiteres nicht aufstehen. Jedenfalls waren sie sehr bequem. Heute würde man sagen, das hatte so den Flair der Südstaaten, diese tiefen, schweren Sessel, ganz gemütlich, da ist man kaum hochgekommen und hat natürlich lange gesessen und gequatscht. Es ging in erster Linie um so linken Betriebsklatsch und dann schnurstracks in Richtung Hardcore-Verschwörungstheorien. Das war schon eine eindrucksvolle ästhetische Weltfremdheit, die gleichzeitig den neuesten Klatsch wusste und durchaus über geopolitische Entwicklungen Bescheid.

Das Sofa, auf dem er unnachahmlich seine Glieder faltete, wenn man nachmittags kam, das war möglicherweise sogar gründerzeitlich oder jugendstilbeschwingt. Auf dem Sofa thronte immer nur Anna. Das war ihr Platz, den sie mit niemand anderem teilte. Gemütliche Sofas und große, tiefe Sessel. Ich fand das nicht gemütlich. Das war überhaupt nicht mein Geschmack. Und man konnte sich platzieren, wie man wollte. Wenn ich mich richtig erinnere, weil er so ein sehr höflicher Mensch war und weil er immer auch spielen wollte, sagte er: Wo möchten Sie sitzen? Ich habe einen Sitz gewählt. Und da sagte er glatt: Diesen nicht, hier sitze ich. Hacks hatte immer den Platz an der breiten Seite des Couchtischs gegenüber der Wand. Das war sein Sessel, wo er ein Bein drüber schwingen konnte, immer einen kleinen Teelöffel in der Hand, den er unablässig drehte, in der anderen Hand immer die Zigarettenspitze.

Als erstes wurden die Aschenteller verteilt

Es gab Tee, irgendwelche Plätzchen, Hacks rauchte. Als erstes wurden die Aschenteller, will ich‘s mal nennen, verteilt, schwere Zinngegenstände waren das, und jeder hatte da seinen eigenen Aschenbecher. Geraucht wurde sehr viel. Kaffee war in dem Haus gar nicht so üblich, Hacks trank sowieso nur Tee und Rotwein. Nachmittags beim Tee, das schienen sehr kostbare Tassen zu sein. Aber es war nicht alles kostbar, er legte durchaus Wert darauf, wenn ich irgendwas bewunderte, zu sagen, ach, das ist ein ziemlich billiges Imitat. Wenn man nachmittags kam, kriegte man Kaffee und Chartreuse. Ab 17 Uhr konnte einen Cognac trinken, wer mochte.

In dem Sekretär, da standen die Flaschen mit dem feinen Alkohol aus dem Intershop, und in dem Schrank war Schokolade. Wir saßen um einen geräumigen, runden Tisch und Hacks schenkte uns und sich selbst aus einer Karaffe einen Cognac der Extraklasse ein und immer wieder nach, so dass das ohnehin spannende Gespräch atmosphärisch ständig heiterer wurde, ohne im mindesten aus der Fasson zu geraten. Ich erinnere mich, dass zumindest damals, als ich das letzte Mal bei ihm war, ziemlich viel Alkohol angeboten wurde, das ist vielleicht ein ganz normales Angebot gewesen, bloß ich war diesem Angebot nicht gewachsen, und ich musste am nächsten Tag nach Dresden fahren und habe ganz übel gekotzt.

Nachmittags waren nur wenige Leute da, die Hacksens haben ein Haarsieb gehabt für Leute, die sie reinließen. Man durfte niemals unangemeldet kommen, man musste immer pünktlich sein, und man musste den Augenblick erfassen, um wieder zu gehen. Wenn Anna zur Schokolade schritt, dann wusste man, jetzt fängt sie an sich zu langweilen, es wird Zeit zu gehen. Und zum Schluss brachte er mich dann wieder runter.

Für Abendessen, bei denen man am Tisch zusammensitzt, war der Kreis meistens zu groß. Wir haben da oft Party gemacht. Es wurde viel gefeiert, die Geburtstage sowieso, Partys sagt man ja heute, im Schnitt alle sechs Wochen auf jeden Fall, würde ich sagen. Was heißt Party, wir haben nicht auf dem Tisch getanzt, Party war so, dass man gesessen und sich nett unterhalten hat. Nicht selten große Gesellschaften mit Menschen, die man entweder schon kannte oder die man kennenlernte; ich habe Heiner Müller dort kennengelernt zum Beispiel. In dem sehr großen Raum, der in der Mitte eine freie Fläche hatte, da konnte man auch tanzen. Weiß ich nicht, ob wir überhaupt getanzt haben.

"Am besten abstellen"

Plattenspieler? Nein. Radio? Nein, nicht dass ich wüsste. Also ich bin mir ziemlich sicher, dass es einen Plattenspieler gab. Ich bin mal bei einer Party gewesen, und da gab‘s auch Musik vom Plattenspieler. Wo der stand, weiß ich aber nicht mehr. Die hatten überhaupt keine Schallplatten. Er hörte auch keinen Mozart. Unser Sohn war dabei, sein Zimmer zu malern, und sein Zimmer stieß genau an die Hacks‘sche Wohnung und zwar an sein Arbeitszimmer. Und unser Sohn hörte schön Musik und malerte still vergnügt vor sich hin, und auf einmal klingelte es, und Herr Hacks stand vor der Tür, und unser Sohn war sehr höflich und hatte ja auch von ihm gehört, und sagte mit der Malerrolle in der Hand: Mmh, ist ein bisschen zu laut, soll ich‘s leiser machen? Worauf Herr Hacks sagte: Am besten ganz abstellen.

Mein Sohn sagte mir noch, bei Hacks habe er den ersten Farbfernseher gesehen, das muss in den siebziger Jahren gewesen sein, und das Schöne war, dass dieser Fernseher in Einzelteilen in die Wohnung kam und dort wieder montiert wurde, der kam nämlich aus Westberlin. Wie das so war. Der wurde offensichtlich inoffiziell eingeführt. Ich kann mich auch nicht erinnern, wo da ein Fernsehapparat stand. Der Fernseher stand im Salon links von der Tür auf einem Tischchen. Der Fernseher war in der Bibliothek, er hatte einen und Anna hatte in ihrem Arbeitszimmer auch einen. Hacks war ein großer Fernseher. Er stand spät auf – bis 12 Uhr war das Telefon auf Kundendienst geschaltet, damals gab es ja den Anrufbeantworter nicht –, arbeitete dann, aber abends war er fertig, dann war Fernsehzeit. Ich glaube, er hat alles gesehen, er hielt das für notwendig. Die beiden lasen beim Frühstück mit Eifer sich gegenseitig das Neue Deutschland vor, ich war da mehrmals dabei, nicht etwa ironisch oder so, die lasen Weltliteratur im Original, Krimis auf englisch oder französisch, aber jeden Tag das ND von der ersten bis zur letzten Zeile.

Am Eingang vom Salon in die Bibliothek waren linker und rechter Hand hohe Säulen mit Aaren darauf, ich sage absichtlich nicht Adler, es waren Aare. Die Bibliothek waren hauptsächlich Bücher. Sein Arbeitszimmer – er arbeitete an einem Stehpult – war auch barock, in blauem Atlas gehalten. Da war ein sehr schöner, alter gediegener Schreibtisch, wenn ich mich recht entsinne, ein Bureau Plat, wie die Franzosen sagen.

Aber die Wohnung war auch relativ dunkel. Also ehrlich gesagt ziemlich lichtarm. Ich war nur immer abends da, insofern war‘s immer dunkel. Fast zwanzig Jahre nach meinem Besuch ist mir nichts Beschreibbares in Erinnerung geblieben außer einem vagen Eindruck von Geräumigkeit, Stilwillen und Geschmackssicherheit. Außer an Meißner Porzellan und wenige erlesene Rokoko-Möbel erinnere ich mich an nichts. Mir fallen bloß Sofas ein mit vielen Kissen. Die Wohnung war ein Traum geschmacklicher Durchdringung. Es war eine Wohnung, wo jeder Platz besetzt war – auf eine vollendet stimmige und untereinander sinnvoll bezügliche Weise.

Am Ende kommt Raufaser

Eigentlich haben wir‘s später bereut, dass wir nicht doch mal zu einem längeren Gespräch mit ihm gekommen sind. An der Wohnung hatte der Zahn der Zeit genagt, man sah dass das gelebt war und nicht so oberstylish nachgemacht daherkommt. Das war der besondere Charme dieser Wohnung, wenn man dafür ein Auge hat, wenn einem so was gefällt, dass sie 40 Jahre auf dem Buckel hatte, und man trotzdem die Qualität sah. Ich fand sie wahnsinnig aufregend, ich habe sofort überlegt, ob ich mich nicht umentscheide, für die Wohnung und nicht für die Wohnung nebenan. Ich habe die Wohnung dann noch mal gesehen, das war bevor die neuen Nachbarn eingezogen sind, da war sie neutralisiert mit Laminat und Raufasertapete.

Was ist mit der Wohnung? Ich kann gar nicht verstehen, wieso diese Wohnung etwas Mythisches gehabt haben soll.

Protokolliert und kompiliert von Matthias Dell

Es erinnerten sich an Peter Hacks Wohnung: Sigrid Beltz, Hausfrau; Lenore Blievernicht, Fotografin; Friedrich Dieckmann, Schriftsteller und Publizist; Wiglaf Droste, Autor und Gelegenheitssänger; Matthias Ehlert, Journalist; Gottfried Fischborn, Theaterwissenschaftler; Georg Nostradamus Fülberth, Politikwissenschaftler; Jan-Christoph Gloger, Angestellter; Cox Habbema, Schauspielerin und Regisseurin; Thomas Keck, Schauspieler und Herausgeber; Rainer Kirsch, Schriftsteller; Olaf Kömmlinger, Sekretär; Jörg-Michael Koerbl, Autor und Schauspieler; Christa Kulike, Apothekerin; Hartmut Lange, Autor; Günter Lippmann, Dokumentarfilmregisseur; Sigrid Löffler, Literaturkritikerin; Helga Matthus, Opernsängerin; Dorothea Melis, Kulturjournalistin; Werner Mittenzwei, Literaturwissenschaftler; André Müller sen., Schriftsteller; Gunther Nickel, Literaturwissenschaftler; Matthias Oehme, Verleger; René Pollesch, Dramatiker und Regisseur; Wolfgang Rindfleisch, Hörspielregisseur; Wolfgang Schivelbusch, Autor; Ernst Schumacher, Theaterwissenschaftler; Friedo Solter,
Schauspieler und Regisseur; Gisela Steineckert, Schriftstellerin; Heidi Urbahn de Jauregui, Literaturwissenschaftlerin; Sahra Wagenknecht, Politikerin; Rosa Wiede, Bibliothekarin; Rayk Wieland, Autor.

Die Bildergalerie mit Fotos, die auf Hacks Wunsch nach seinem Tod von der Wohnung gemacht wurden und mit den hier versammelten Beschreibungen verglichen werden können, findet sich hier. Trotz einiger Bemühungen konnte die Wohnung nicht erhalten werden. Anna Wiede zog wegen der anstehenden Sanierung bald aus, sie starb 2009.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Matthias Dell

Filmverantwortlicher

Matthias Dell

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