Gold auftreiben

Berlinale Wenn der deutsche Film nicht nur Probleme der Mittelschicht zeigen will, migriert er gern in andere Länder und fernere Zeiten

Ein internationales Filmfestival motiviert zum Vergleichen. Und da ließe sich nach den ersten Berlinale-Tagen sagen: Noch ein misslungener amerikanischer Film zeigt die Schwierigkeiten auf, vor denen hiesige Produktionen stehen.

Promised Land heißt der Film zur parallel aufkeimenden deutschen Debatte um die sogenannte Schiefergasgewinnung. Dieser Begriff klingt in seiner altmodisch-technischen Umständlichkeit wesentlich harmloser als das amerikanische Wort fracking. Das muss man, wie in Promised Land mehrfach angedeutet, nur mal googlen, um das Problem zu kennen, um das es geht: eine ökologische Schweinerei, die große Profite verspricht und als neue Technologie zur Energiegewinnung in Zeiten geopolitischer Unsicherheit und kommunalen Mangels sich so leicht nicht vom Tisch wischen lassen wird. Man muss also tatsächlich nur einmal das Wort fracking anklicken – und schon gehen lauter Dilemmata auf, in die man die Protagonisten eines Films jagen kann.

Das haben mit Dave Eggers (Buch), Gus van Sant (Regie) und Matt Damon (Hauptrolle) in Promised Land drei Künstler getan, die in der Nachfolge des Robertredford-Warrenbeatty-Engagements das „gute“ Amerika repräsentieren. Und auch wenn Promised Land zu deutlich als politische Intervention daherkommt, als Agitation wider die alles kapitalisierende Zerstörung von Mutter Erde, die wenigstens im Kino den Verhältnissen eine Nase dreht – es hebt das Herz, wie hier an die Kraft des Gemeinwohls appelliert wird, schon weil das voraussetzt, dass so etwas wie ein Gemeinwohl gegen die trickreichen Agenten der global agierenden Konzerne überhaupt noch in Stellung zu bringen ist.

Man mag in den kalkuliert konservativen Schlussplädoyers – erst vom alten Gemeindeweisen Frank Yates (Hal Holbrook), dann vom geläuterten Konzernangestellten Steve Butler (Damon) – ein runtergedimmtes Rocky IV-Pathos für die gute Sache entdecken. Aber dass ein Film sich mit seinem emotionalen Besteck in den kritischen Debatten der Gegenwart engagiert, nötigt Respekt ab.

Schuld versus Fürsorge

Und es macht stutzig, wenn man sich überlegt, ob ein Thema wie fracking einem nur deshalb fern vorkommt, weil es im sozialmarktwirtschaftlichen Deutschland nicht denkbar wäre oder doch eher: weil man aus einem deutschen Film von solchen gesellschaftsökonomischen Händel nie erfahren würde?

Unsere Filme erzählen von Mittelschichtsfamilien, die Probleme haben. Wie den Tod von Linda (Jördis Triebel) in Lars Kraumes eigentlich fürs Fernsehen gedrehtem Film Meine Schwestern, der im Panorama zu sehen ist. Der Film ist versiert und deutlich genug, ein großes Publikum zu adressieren – und darin Promised Land nicht unähnlich. Diese Opposition ist vielleicht etwas ungerecht, weil Kraumes Film berechtigerweise auch etwas anderes wollen kann als Politik, und sein Umgang mit dem Tod nicht unoriginell inszeniert ist.

Nur ist es vielleicht kein Zufall, dass die beiden deutschen Wettbewerbsbeiträge, die sich mit nicht nur persönlichen Fragen beschäftigen, ihre Stoffe anderswo finden. Pia Marais zitiert, etwas arg nüchtern und schematisch, ihre Titelheldin Layla Fourie, gespielt von der bemerkenswerten Rayna Campbell, im Post-Apartheids-Südafrika vor eine Art Wahrheitskommission ihrer selbst. Layla lügt über einen Unfall, bei dem sie einen Mann überfahren hat, weil sie sich nach einem Schuldeingeständnis nicht mehr um ihren Sohn kümmern könnte.

Und Thomas Arslan, der 2010 mit Im Schatten einen kühlen Kriminalfilm gedreht hat, schickt in Gold eine Gruppe deutscher Siedler 1896 durch die kanadischen Wälder, die sich von den brandenburgischen mit Ausnahme von Bärenfallen kaum zu unterscheiden scheinen. Gold ist, wie Kelly Reichardts Spätwestern Meek‘s Cutoff (Freitag 45/2011), eine Korrektur der Landnahmemythen im amerikanischen Westen, weil Dezimierung in der anfangs gut ausgestatteten Gruppe eine Rolle spielt und die Beschwerlichkeiten des Wegs in eine bessere Zukunft nicht ausgespart bleiben.

Je länger Arslans Film dauert, desto deutlicher wird, wie groß der Glaube in das Versprechen des Goldes sein muss. Oder umgekehrt, und damit unterschwelliger Kommentar auf deutsche Gegenwart, wie troslos die Verhältnisse sein müssen, aus denen gerade die einzige Frau der Gruppe (Nina Hoss) migrieren will.

Eine Entdeckung unter den deutschen Filmen, die von Mittelschichtsfamilien mit Problemen handeln, bildet Ramon Zürchers hinreißender Forum-Film Das merkwürdige Kätzchen. Sehr eigen wird hier mit alltäglichen Dingen wie fettspritzenden Würsten oder sich drehenden Flaschen gespielt, werden die Informationsstandards zur familiären Kommunikation originell kombiniert. Das merkwürdige Kätzchen erinnert an das Alltagstechnikdomino, das die Schweizer Künstler Fischli und Weiss in Der Lauf der Dinge (1987) arrangiert hatten. Und trotzdem oder gerade deswegen lassen sich unendlich viele Bedeutungen in dem Film finden – etwa das Drama einer Mutter (Jenny Schily), die ihren Mann nicht mehr liebt und den Schwager begehrt.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Matthias Dell

Filmverantwortlicher

Matthias Dell

Die Vielfalt feiern – den Freitag schenken. Bewegte Zeiten fordern weise Geschenke. Mit dem Freitag schenken Sie Ihren Liebsten kluge Stimmen, neue Perspektiven und offene Debatten. Und sparen dabei 30%.

Print

Für 6 oder 12 Monate
inkl. hochwertiger Weihnachtsprämie

Jetzt sichern

Digital

Mit Gutscheinen für
1, 6 oder 12 Monate

Jetzt sichern

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden