Hier in der Nordstadt

Tatort Ohne dich schlaf ich heut nacht doch ein: Die Dortmunder Folge "Mein Revier" macht mit deplatzierter Derangiertheit da weiter, wo vor zwei Monaten debütiert wurde

Die englische Woche, um gleich in medias Fußballanalogie zu gehen, ist für Dortmund noch nicht vorüber – nach Madrid (2:2) und Augsburg (3:1) spielt Dortmund hier allerdings selbst wie Sandhausen (1:6 gegen Hertha BSC). Oder müsste man gar nach Mannschaften aus dem Spielbetrieb weiter unten suchen, um das Unglück zu beschreiben, dass auch die zweite Folge aus Dortmund für einen ist?

Wenn man sich versuchte vorzustellen, was der Tatort: Mein Revier wäre, hätte sich nicht Ende des 19. Jahrhunderts jemand erbarmt, das Kino zu erfinden, wäre nicht später das Fernsehen dazugekommen und hätte es da nicht auch schon den ein oder anderen Kriminalfilm, ja, Tatort gegeben, man müsste ehrlicherweise sagen: nichts. Alles an Mein Revier (Buch: Jürgen Werner, Regie: Thomas Jauch) ist gebraucht, was nur halb so schlimm wäre, wenn es dafür ein Bewusstsein gäbe und die Leute, Plots und Gags die, die die alten Kleider auftragen sollen, wenigstens ein wenig Eigeninitiative erkennen lassen würden.

Aber der ganze Quatsch geht schon bei so einer Stadtmarketingsidee los, dass, wenn man es schon nicht mit Heidelberg zu tun hat als Schauplatz, man eben so auf knallhart macht und dem Rest der Republik den größtmöglichen Schauer über den Rücken jagt, weil diese Nordstadt krass drauf ist, aber das überbesetzte Kommissariat, dem man schnellstmöglich McKinsey an den Hals wünschte, die Herausforderung natürlich hardboiled annimmt. Der Gestus, mit dem die desolate Gruppe aus Ermittlern sich zum Schauplatz verhält, ist so mühsam wie der Chef vons Ganze: Homo Faber (Jörg Hartmann), der alte Stresser, bei dem wir uns mütterlich-bangend fragen, was aus dem noch mal werden soll.

Alles so done

Der Faber-Figur sieht man schon am Parka an, dass es im WDR doch mal diesen Kommissar Schimanski gab, und dass es doch toll ist, wenn durch unsere gleichförmigen Zeiten mal einer marschiert, der anders ist, zumal durch dieses Dortmund, das doch selbst eine Art Schimanski auf zwei Beinen ist, dann passt das doch auch. Angesichts solchen Reenactments kann man eigentlich nur permanent den Kopf schütteln: Leute, Leute, Leute, schaut doch mal auf die Uhr, das mit diesem Schimanski war vor 30 Jahren (und womöglich damals schon albern), und vor allem ist Nicht-Angepasstheit nichts, was man wie eine Monstranz vor sich herträgt in Tagen wie den unseren.

Wer soll denn heute beeindruckt davon sein, dass Homo Faber sich – für Ermittlungszwecke freilich nur, so weit reicht das Arbeitsethos dann doch immer noch, wie überhaupt der Derangierte immer nur in der Ausübung seines Berufs derangiert ist, wie das Mit-dem-Baseballschläger-Autos-zusammenkloppen gleich am Anfang zeigt – sich einen auf die Lampe gießt, um auf dem Heimweg einen motivischen, kann man das wirklich sagen, Selbstmordversuch einstreut, kurz glücklich verzweifelt ist, um dann in der Ausnüchterungszelle aufzuwachen. Ausnüchterungszelle, ein Kommissar – alles so done, oder gibt es da unter den Zuschauern wirklich noch einen Günther, der die letzten 30 Jahre mit Gartenarbeit zugebracht hat und vor dem Fernsehen zu seiner Helga sagt, also dieser Kommissar, das ist jetzt aber kein guter Repräsentant unseres stolzen deutschen Beamtenwesens?

Homo Faber marschiert durch Mein Revier wie der Gliedvorzeiger seiner Asozialismen, und zu Hochform läuft er auf, wo ihm "das Fremde" begegnet, das von "den Türken" dargestellt werden muss, die dummerweise auch schon mehr als 30 Jahre in Deutschland leben. Aber für Faber ist der Kontakt mit dem Abakay (Adrian Can) eine Art Erstbegegnung, auf die er sich, nach seinen Möglichkeiten, gründlich vorbereitet hat. Er weiß, dass es da "diesen süßen Tee aus diesen süßen Gläschen" gibt, der, oh, Wunder, am Ende und weil der Böse naturgemäß Böse ist und es ihm gegeben werden muss, "viel zu süß" ist. Sagt dann Günther zu Helga tatsächlich, also dieser süße Tee, der kommt uns auf unserer Türkei-Reise nächsten Sommer nicht in die Tüte, hoffentlich haben die im Hotel auch was anderes, und ansonsten benehmen wir uns doch auch wie Gäste, wenn wir anderswo im Urlaub sind?

Was denn sonst

Das Elend ist, dass aus solchen gestrigen Chefposen des Reviermarkierens eine völlig retardierte Vorstellung von "die und wir" spricht, mit der man bei Heinz Buschkowsky zu Hause vielleicht noch was reißen könnte. Ansonsten wünschen wir uns dringend, dass Kohle von Beust als envoyé speciale zum produzierenden Sender geschickt wird, denn schöner kann man's wirklich nicht seufzen: "Natürlich ist Deutschland ein Einwanderungsland, natürlich gehören die Muslime zu Deutschland, was denn sonst." Was denn sonst – aber dieser Kommissarmacker tut so, als ob globalpolitische Realitäten eine Frage des Teekochens seien.

Und wenn es das nur wäre! Leider ist Mein Revier, auch wenn man die ganzen gesellschaftlichen Implikationen rausrechnet, nichts, was irgendeine Idee davon hätte, was ein spannender oder auch nur kluger Kriminalfilm sein könnte. Spannung bedeutet hier Ermittlung als eine pseudodramatische Just-in-time-Logistik zu inszenieren (bei der die Handkamera immer so tun soll, als wäre alles besonders wirklich, dynamisch und tough), in der immer zur richtigen Zeit irgendwelche Dialoge über irgendwelche neuen Erkenntnisse aufgesagt werden, in denen dauernd irgendwelche Namen vorkommen, die jetzt gerade dabei sind, verdächtig zu werden, wobei man als Zuschauer trefflich abschalten kann, weil das ganze Hin und Her doch nur auf die üblichen Verdächtigen zuläuft. An Mein Revier kann man sehen, wohin die Idee mit der Spannung und den Details und Drehs, die helfen könnten, sie zu befördern, gekommen ist: zu einem endlosen Gelaber, das sich selbst versucht, eine Geschichte zu erzählen, von der dann keiner sagen soll, dass sie nicht stimmig gewesen sei.

Wir haben uns irgendwann nur noch darauf konzentriert, Dialogfetzen zu finden, die unserem Gemütszustand Ausdruck verleihen könnten. Bei der Frage, welcher das am besten tut, schwanken wir aktuell noch zwischen Jelenas (Simona Theoharova) Befund "müde" und dem innigen Wunsch, bald über das komplett unsympathische Revier vom Tatort Dortmund sagen zu können: "Diesen Menschen sind wir, Gott sei Dank, nie wieder begegnet." Stöhn.

Ein Hinweis, der nicht nötig gewesen wäre: "Nora, entspann dich"

Ein Wortspiel, das Markus Lanz gut zu Gesicht stehen würde: " Auf ex, auf die Ex"

Eine Frage, mit der man auf Stehempfängen reüssieren könnte: "Waren Sie schon mal in so einem Einkaufstempel?"

Der digitale Freitag

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Geschrieben von

Matthias Dell

Filmverantwortlicher

Matthias Dell

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