In dieser Woche kommen zwei Dokumentarfilme in die Kinos, die sich auf eine interessante Weise ergänzen: Lutz Hachmeisters Portrait Das Goebbels-Experiment und Marcel Schwierins Essay Ewige Schönheit. Beiden ist gemein, dass sie sich fast ausschließlich auf das Bildermaterial beziehen, das vom Dritten Reich übrig blieb - Hachmeister, um einen politischen Werdegang in Selbstzeugnissen zu erzählen, Schwierin, um die Mythologien und Ideologien bloß zu legen, die der Nationalsozialismus über diese Bilder transportiert hat. Das Déjà-vu bleibt nicht aus, zwei Szenen tauchen in beiden Filmen auf: eine Rede Hitlers, in der er seinen Anti-Intellektualismus bekundet, um sich bei den "Schichten" anzubiedern, die seine Geisteshaltung geprägt hätten, die Arbeiter und Bauern; und Goebbels Auftritt im Berliner Sportpalast nach der Niederlage von Stalingrad.
"Die Stimmung gleicht einer wilden Raserei des Volkes...Ich bin an diesem Tage recht gut in Form", zitiert die Stimme des Schauspielers Udo Samel, was Goebbels über die Versammlung im Sportpalast in seinem Tagebuch notiert hat. Hachmeisters Film besteht auf der Tonspur nur aus solchen Einträgen, die von ausgewählten Bildern aus Wochenschauen, Filmen und Privataufnahmen (Bildmaterial: Michael Kloft) ergänzt werden. Der Titel Das Goebbels-Experiment legt die Frage nahe, worin das Experimentelle dieser Unternehmung besteht, wenn etwa die Text-Bild-Verknüpfung zumeist auf Identität, also Illustration aus ist, und wenn der Musikeinsatz - der offenbar selbst bei einem Film, der kaum für die Masse der Kinobesucher gedacht sein wird, nicht unterbleiben kann - die wortlosen Szenen mit der konventionellen Bedrohungs-Tragik-Mischung aus unheilvollem Trommeln und anhebenden Streichern unterlegt. "Experiment" bezieht sich also einzig auf die kommentarlose - wiewohl durch die unpathetische, nüchterne Lesart Samels gebrochene - Selbstdarstellung Goebbels, und erweist sich so als Schutzbehauptung. Den Film "Die Goebbels-Tagebücher" zu nennen, hätte die Sorge um den Missbrauch und den Beifall von der falschen Seite wohl zu groß werden lassen. Nun steckt in dieser Sorge das Problem, dem man sich als Deutscher in der Beschäftigung mit der eigenen Vergangenheit wohl nicht entschlagen kann, dabei ist sie unnötig, denn Hachmeisters Film falsch verstehen kann nur, wer die Geschichte mit Scheuklappen betrachten will. Das Goebbels-Experiment zeichnet von den ersten Bildern aus Goebbels Geburtsort Rheydt bis zum letzten von der verkohlten Leiche - die in nicht unironischer Konsequenz noch die Hand zu einer Art Hitler-Gruß emporzurecken scheint - ein Bild, das zur Heroisierung nicht taugt. Sichtbar wird eine deutsche Karriere, die sich aus dem Hass auf die Weimarer Republik aus Gründen persönlicher Marginalisierung ("Ich bin so mutlos dem Leben gegenüber") in das Projekt einer Selbstermannung stürzt, als deren Heilsfigur Adolf Hitler erscheint ("Ich liebe ihn"). Das Tempo der Erzählung, die um Pathos zu vermeiden sich dem strengen Takt einer Chronik unterwirft, gestattet dem Betrachter wenig Besinnung, dem - wenn er etwas Kenntnis von der Geschichte des Nationalsozialismus besitzt - überdies wenig Neues erzählt wird. Bemerkenswert sind deshalb vor allem die unbekannteren Szenen, in denen Goebbels nicht inszeniert erscheint. Wenn er als Reichstagsmitglied noch vor der Machtergreifung der Nazis freudig vor dem plötzlich entgegengebrachten Respekt auf die Reportermikrofone zugeht und schüchtern-stolz fragt: "Wo soll ich reinsprechen?". Wenn er als Vertreter Nazi-Deutschlands am Rande einer Völkerbund-Tagung einem amerikanischen Journalisten ein Interview gibt und - obwohl in der prominenteren Position des Befragten - um Vieles unsouveräner wirkt als sein Gegenüber, dem er nicht in die Augen schauen kann. Wenn er im Smalltalk mit ehrfürchtigen Bauern den Kumpel mimt, der sich - wissend, dass er reden muss und zugleich unsicher, worüber - in ein absurdes Kinderzählen stürzt: "Drei, das ist doch gar nichts, also der hier, der hat zehn, der ist das Beispiel". Ihre Wirkung entfalten die Filmausschnitte aus dem Doppelsinn, der sie immer an dem Bild misst, das man aus der schneidigen, zweifellosen Propaganda kennt.
Um diese Propaganda geht es Marcel Schwierin in Ewige Schönheit. Der Filmwissenschaftler hat sich - ausgehend davon, dass das, was von der Ideologie des Dritten Reichs geblieben ist, einzig die Bilder sind - Wochenschauen angeschaut und ein paar Filme; dem Kino misst er generell wenig Bedeutung bei. So betätigt sich Schwierin als kritischer Exeget dessen, was Goebbels produziert hat im Wissen um die Wichtigkeit der Inszenierung. "Eine gute Regierung ist nichts ohne eine gute Propaganda", heißt es in Hachmeisters Film. Schwierins These ist die einer radikalen Ästhetisierung, wobei der Bestand der Bilder nicht durch ihre Schönheit erklärt wird, sondern durch die Millionen Opfer die für die "monströse Scheinwelt" ermordet wurden. "Da die Visionen des Nationalsozialismus im Leben nicht bestehen konnten, fanden sie ihre Verwirklichung im heroischen Untergang, der wie alles im Dritten Reich inszeniert wurde." Die Todessehnsucht der nazistischen Mythologie rückt in den Vordergrund, gerade weil der Nationalsozialismus seiner anfänglichen Erfolge zum Trotz auf keiner realen Substanz aufgebaut war, sondern auf einer Märchenwelt gründete. Die Anfänge erkennt Schwierin, Kracauers Bewegung einer Mentalitätsgeschichte von Caligari bis Hitler nachvollziehend, in den Filmen der zwanziger Jahre, die ein Szenario der Bedrohung für die (deutsche) Frau kreieren. In Fritz Langs Nibelungen sind die Hunnen als Feindbild bereits so gezeichnet, wie das Dritte Reich sich später seine Juden inszenieren wird: als Tiere. Eingesperrt ins Getto, vor Hunger ausgemergelt und in der chaotischen Enge dunkler Gassen mit Handkamera gefilmt, schuf sich der Nationalsozialismus das "Untermenschentum" erst, um es dann als Bedrohung in Stellung zu bringen. Demgegenüber stand das Bild des Deutschen, von dem in seiner Reinheit, Ordnung und Gewaltigkeit alles entfernt war, was als störend oder kritisch empfunden werden konnte. Die Schönheit der Arbeit, die Überhöhung von Erotik zum Eros immer riesiger werdender Kanonen: Konsequent führt Schwierin die Errichtung einer Illusion vor. Das erklärt, warum die Bilder des vor dem Propagandaminister paradierenden Volkssturms in Das Goebbels-Experiment das Gegenteil von dem erzählen, was sie erzählen sollen: Die Sauberkeit und Ordnung polierter Uniformen und ausgetüftelter Parteitagschoreographien ist der Schäbigkeit der Kleidung und der Realität des Alters gewichen.
Die Todessehnsucht der Nazis ist für Schwierin mit deren Vision untrennbar verknüpft, weil das Konzept der Nazis den Stillstand von Ideologie auf Dauer nicht überleben konnte. So wurde die Schauspielerin Kristina Söderbaum, Ideal von arischer Vitalität, zur "Reichswasserleiche": In fast jedem Film musste sie den Opfertod sterben. Die letzte NS-Großproduktion unter der Regie ihres Mannes Veit Harlan, Kolberg, ist für Schwierin kein Durchhaltefilm, sondern ein Abgesang.
Auch Ewige Schönheit mag in mancher Hinsicht Bekanntes referieren. Der Film erzielt jedoch Wirkung durch die Genauigkeit seiner Reflexion, durch die kluge Kompilation der Bilder. Insofern ist er zum Verständnis des deutschen Nationalsozialismus womöglich besser geeignet als die in unseren Tagen so häufig geübte Nachstellung historischer Szenen.
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