Im Vorruhestand

Im Kino Michael Schorrs entdeckt mit "Schultze gets the Blues" die Langsamkeit

Im Kino ist der deutsche Osten nie etwas anderes als eine Sonderwirtschaftszone gewesen. Das Besondere an der Wirtschaft bestand darin, dass es sie im filmischen Osten der letzten Jahre entweder nie oder nur dereinst gegeben hatte. Je nachdem, für welche Lesart sich der einzelne Film entschied, für prä- oder postindustriell, diente als fotografisches Leitmotiv unberührte Natur beziehungsweise stillgelegter Tagebau. In jedem Fall klaffte eine Lücke in den Filmen über den wiedervereinigten Osten und das in mehrfacher Hinsicht.

Die Angleichung der Lebensverhältnisse geriet dem Kino zur erzählerischen Übersprungshandlung. So übersah die Sehnsucht nach dem Westen Hamburg, München oder Westeuropa und richtete sich gleich nach Amerika. Der Gerissenheit westdeutscher Unternehmer begegnete der düpierte Ostler nicht mit Rechtsmitteln oder der Ausbildung einer ähnlichen Cleverness, sondern flüchtete sich, im Akte Robin Hood´scher Gerechtigkeit gegen sich selbst, gleich in Kriminalität. In Georg Maas´ kürzlich gezeigtem Film Neufundland, einem üblen Stück scheinbar einfühlsamen Vereinigungskitsches, plant etwa eine Ostlerin einen skurril aufwändigen Einbruch bei dem Wessi, der sie um ihr schmuckes Café gebracht hat - um mit dem erbeuteten Geld dann nicht wie geplant das Café wiederzueröffnen, sondern erstmal in den Süden zu fliegen. Die Ausweitung der marktwirtschaftlichen Wettkampfzone auf den Osten hat zu allerlei Missverständnissen geführt, die sich häufig in schlechten Filmen niedergeschlagen haben.

Deshalb ist man sehr froh über einen Film wie Michael Schorrs Schultze gets the Blues. Schorr, der auch für das Drehbuch verantwortlich zeichnet, hat sich die Mühe gemacht, die strukturellen Besonderheiten des Ostens in seinen Stoff einzuweben, statt sie als klischeehafte Flicken draufzupappen. Seine Geschichte könnte überall auf der Welt spielen, aber nur so passt sie in die spröde Schönheit anhaltinischer Bergbauregionen. Wenn der Film beginnt, endet das Arbeitsleben des Kumpel Schultze, der gemeinsam mit seinen Freunden Jürgen und Manfred in den Vorruhestand versetzt wird. Der Chor der Kollegen singt noch ein Lied, dann bleiben die drei vor ihren Abschiedsgeschenken, einer Salzkristalllampe, sitzen. In dieser Szene steckt vieles von dem, was Schorrs Film auszeichnet. Die Stille, in wenigen Einstellungen und mit sorgfältiger Zurückhaltung beobachten zu können; die Sympathie, die im Gesang und in der Lampe Rituale eines freundlichen Adieus erkennt; die Langsamkeit, die den Alltag solange anschaut, bis das schreckliche Nichts hervortritt, das unter dem Rhythmus von Normalität lauert. Im Blick auf die Lampe liegt die tragikomische Furcht, dass von nun an viel mehr Zeit vorhanden sein wird als sinnvoll ausgefüllt werden kann und dass eben die Lampe daran nichts ändern wird.

Was die Handlung betrifft, so ist Schultze gets the blues ein wohltuend karger Film. In größter Ruhe folgt die Kamera dem Alltag der Frühpensionäre, über den es nicht mehr zu sagen gibt, als die drei beim abendlichen Bier von Zeit zu Zeit absondern. Schorr hat einen Film der Pausen gedreht und folglich zählt das Ansetzen eines Schnapsglases oder das Lupfen eines Huts weit mehr als eine Dialogzeile. Dass der Film in seiner Maulfaulheit höchst beredt ist, verdankt er seinen herausragenden Darstellern. Horst Krause verkörpert den Titel gebenden Schultze buchstäblich, sein mächtiger Leib wirkt wie das Kostüm von Schultzes jungenhafter Schüchternheit. Während Harald Warmbrunns abgezockter Jürgen seine dominante Natur vor allem an Karl Fred Müllers kleinmütigen Manfred auslebt, scheint Schultze geschützt vor jeglichen Feindseligkeiten der Welt allein durch den Umfang seines Bauches. Aus Krauses kleinen Augen strahlt gutmütig-kindliche Lebensfreude, die gewillt ist, jeder Lage nur das Beste abzugewinnen. Stolz präsentiert der allein stehende Pensionär seinen Freunden ein amerikanisches Gericht, an dem er sich probiert hat, und mit ähnlicher Offenheit dem Neuen gegenüber wird Schultze wenig später sein Akkordeonspiel revolutionieren und nach Amerika gehen. Es ist bemerkenswert, wie es Michael Schorr und Horst Krause mit der Figur des Schultze gelingt, vom Älterwerden zu erzählen, ohne dabei ins Süßliche oder Verbitterte zu verfallen.

Schultze gets the Blues ist ein Film, der vieles richtig macht, was ihm deshalb zum Problem wird, weil Michael Schorr genau das zu wissen scheint. In manchen Szenen gebärdet sich der Regisseur wie ein Kind, das seinen Eltern eine Überraschung machen will und vor Aufregung darüber, schon vorher alles verrät. Die Gelassenheit von Jim Jarmusch, dessen lakonisches Werk man sich gut als Vorbild für Schultze gets the Blues vorstellen kann, fehlt Schorr und so verfällt er ein paar Mal zu oft darauf, seine leichthändigen Tableaus durch finale Pointen zu beschweren. Exemplarisch hierfür ist die Szene, in der Schultze den Anweisungen eines Radiokochs folgt und diese Anweisungen so präzise sind, als würde der Radiokoch Schultze beobachten. Hier vergisst der Film, dass seine Sache nicht die schnellen Witze sind, sondern das geduldige Zusehen, unter dem, was auf den ersten Blick heiter oder skurril erscheint, sich ins Ernsthafte und Tragische wendet.


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