"Kritik von unten"

Im Gespräch Maren Müller hat die berühmte Lanz-Petition initiiert. Seither hat die Ostdeutsche unter Etablierten viele Feinde
Ausgabe 16/2014

Man muss sich Maren Müller als die aufgeklärte Bürgerin vorstellen, von der in jeder Sonntagsrede geträumt wird: eine engagierte, kritische Frau, die von den Instrumenten der Demokratie Gebrauch macht. Weil sie aber als Initiatorin der Lanz-Petition, die binnen kurzer Zeit 230.000 Leute unterstützten, bekannt geworden ist, musste sie manchen als Albtraum erscheinen. Als Konkurrentin der Medienjournalisten, als Gegnerin der großen Fernsehanstalten, noch dazu völlig anders auftretend. Wie der Medienwissenschaftler Malte Daniljuk anmerkte: eine Frau, „aus dem Osten“, die Sächsisch spricht und in der Linkspartei war. Solchen Leuten begegnet man einfach nicht an der Hamburger Ericusspitze, wo der Spiegel sitzt, oder in Berlin-Mitte. Grund genug, einmal mit Maren Müller zu sprechen: über ihre Erfahrungen mit der Petition und ein Folgeprojekt. Was angenehm schon deshalb war, weil sie Humor hat, wie die Schlussbemerkung über „den Herrn Polenz“ zeigen wird.

Der Freitag: Ein Spaßvogel könnte nach der Absetzungvon „Wetten, dass..?“ fragen: Und, sind Sie jetzt zufrieden?

Maren Müller: Laut einer Um­frage geben mir nur drei Prozent der Leute die Schuld an diesem „Desaster“. Lange vor der Petition haben die Medien Markus Lanz nach jeder „Wetten, dass..?“-Sendung unangespitzt in den Boden gerammt. Mein bescheidener Beitrag hatte nichts mit der Beendigung des Formates zu tun. Ich habe aber vielleicht den Granden des ZDF zu einer Denkaufgabe in puncto Publikumsanspruch verholfen.

Wie kamen Sie auf die Idee, nach der Talksendung von Lanz, in der er Sahra Wagenknecht nicht zu Wort kommen ließ, ausgerechnet eine Petition zu starten?

Ich hatte parallel auf Twitter verfolgt, wie die Sendung kommentiert wurde. Das war extrem, wenn Sie da den Hashtag Lanz aufgerufen haben. Ich wollte nicht, dass das verpufft. Petitionen verfolge ich schon länger und zeichne mit. Es gibt meines Wissens kein vergleichbares In­strument, um Protest zu bündeln.

Eine Petition ist eine Art Unterschriftensammlung. Haben Sie da, analog auf der Straße, Erfahrung mit?

Ja, zuletzt bei der Unterschriftensammlung für das Leipziger Bürgerbegehren Privatisierungsbremse. Das Quorum lag bei 25.000 Unterschriften, es hat ein Vierteljahr gedauert, die zu sammeln. Es ist schwer, Leute zum Mitmachen zu bewegen.

Wie sind Sie zum politischen Menschen geworden?

Anfang der neunziger Jahre, ich war selbstständig, habe ich mich in meiner Heimatstadt Borna im Gewerbeverein engagiert. Dann hat mich der Bürgermeister angesprochen, ob ich für den Stadtrat kandidieren würde. Habe ich, für die SPD, in die ich später eingetreten bin. Mit der Agenda 2010 haben die mich dann enttäuscht. 2007 bin ich in die Linke ein­getreten. Da bin ich auch raus.

Warum?

Ich komme mit den Hierarchien nicht klar. Ich krieg’s nicht hin, mich bei Leuten anzubiedern.

Muss man das auch da?

In jeder Partei. Banale Dinge: dass man einen guten Listenplatz kriegt für den Stadtrat. Aber wie soll man etwas verändern, ohne gegen die Parteidoktrin zu verstoßen oder Hierarchien zu stören? Das ist mein Problem. Ich kann mich so nicht unterordnen.

Ihrer Petition wurde der politische Charakter abgesprochen. Der Vorwurf von Journalisten: Es sei so bequem und anonym.

Es ist nicht nur ein Klick. Man muss sich anmelden, wenn man mitzeichnen will. Dann kommt eine E-Mail zurück und man muss die Bestätigung klicken, dann erst zählt die Stimme. Das ist bei Bundestagspetitionen genauso. Natürlich kann ich mir eine falsche E-Mail zulegen, aber warum, wo ist der Sinn? Die meisten Unterzeichner haben die richtige Adresse angegeben.

Ein anderer Vorwurf: Mobbing, Hetzjagd, Pranger.

Was hat denn der Lanz gemacht? Der ist angetreten, um mit Herrn Jörges vom Stern Sahra Wagenknecht fertigzumachen. Das war Programm. Und was ist das, bitte schön, wenn die Medien den Lanz seit Wetten, dass..? auf dem Kieker haben? Die Zeitungen lesen Millionen, die haben eine viel größere Reichweite als die Petition. Herr Hanfeld von der FAZ hatte mal zu Lanz geschrieben: „Da hilft nur Schweigen“. Das war so böse. Dem habe ich bei unserem Gespräch gesagt, er möge seine eigenen Artikel lesen, bevor er Mobbing per Klick sagt.

Wie hat er reagiert?

Er hat gelacht. Die wissen das doch selber.

Da wäre ich mir nicht sicher. Ich war kürzlich bei einem Podiumsgespräch zur Petition. Da saß Alexander Kühn vom „Spiegel“. Der kritisierte Lanz in einem fort – gegen Ihre Petition musste er ihn aber verteidigen.

Ach, ja?

Ich habe dann gefragt: Warum müssen Sie denn, Sie kritisieren ihn doch auch? Er sagte, das sei ein inneres Bedürfnis gewesen. Das ginge nicht, die Petition sei nicht der richtige Weg.

Die Journalisten regen sich nur auf, weil die Kritik mal von anderer Seite kommt. Von unten, von den Leuten, von denen sie leben. Es ist unverschämt, solche Dinge zu sagen, dass man den Leuten, von denen man abhängt, die Kritik verbieten will.

Hat sich Ihr Bild von den Medien geändert?

Die meisten waren okay. Aber als Frau Hildebrandt von der Welt mich in die Pfanne gehauen hat, habe ich schon stark an der Seriosität der Presse gezweifelt.

Wieso?

Sie hat mich lächerlich gemacht, den sächsischen Akzent so hervorgehoben, „man stellt sich eine Märchentante vor“, dass ich alleinstehend sei, dabei habe ich nie ein Wort davon gesagt. Oder dass Wagenknecht meine Ikone sei. Auch das habe ich nie gesagt. Das steht aber in der Zeitung. Man wird reduziert auf den Frust. Dabei ging es nicht um Frust: Wie Lanz da aufge­treten ist, das war einfach nicht in Ordnung.

Haben Sie mit Frau Hildebrandt darüber gesprochen?

Wir hatten noch mal telefoniert. Sie hat gesagt, ja, das stimmt, das hatten Sie nicht gesagt mit der Ikone, das hat meine Kollegin reingeschrieben, das kann ich jetzt nicht mehr ändern. So was geht doch nicht! Ich bin relativ schmerzfrei, aber da war ich enttäuscht: Wir haben fast eine Stunde miteinander gesprochen, die war so nett. Und dann schreibt sie so einen Unsinn.

Sich beschweren ist da schwer.

Ich habe mich an den Presserat gewandt. Das hat drei Wochen gedauert, bis die überhaupt reagiert haben. Da kann man’s auch lassen. Bei einem Beitrag für den BR über Online-Petitionen war es ähnlich: Nichts von dem, was wir über drei Stunden erörtert hatten, wurde gebracht. Und am Ende kommt raus, dass Petitionen nichts taugen.

Noch ein Vorwurf: dass Sie sich „sehr mutig“ vorgekommen wären mit so einer Petition?

Mutig? Würde ich nicht sagen. Ich habe mal zwei Nazis angezeigt, die wussten, wo ich wohne. Das finde ich eher mutig.

Gab’s vom ZDF eine Reaktion?

Es wurde immer behauptet in den Medien, dass das ZDF ein Gesprächsangebot gemacht habe. Dem war aber nicht so. Die akzeptieren das noch nicht mal als förmliche Programmbeschwerde. Die kann immer nur eine einzeln aufsetzen. Da schreibt man seine Adresse rein und kriegt eine automatisch generierte Mail als Antwort. Das war’s.

Sie haben mittlerweile einen Verein gegründet.

Die „Ständige Publikumskonferenz der öffentlich-rechtlichen Medien“. Ich wollte den erst Bund der Beitragszahler nennen, wie Bund der Steuerzahler, als kernige Ansage. Aber die Anderen meinten, diese Assoziation sei nicht gut. Es geht darum, aus der geballten Ladung von Zustimmung zur Petition etwas Kon­struktives zu machen.

Und zwar?

Eine Plattform zu organisieren, auf der Gleichgesinnte sich verbinden zu einer kritischen Begleitung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Wo auf den Programmauftrag geachtet wird und eine Programmbeschwerde dann 100 oder 3.000 Mitzeichner haben kann. Es gibt ja diese 5.000 Leute, bei denen die Quote gemessen wird. Ich fände es gut, wenn es bei der Publikumskon­ferenz genauso viele werden, die sich um die Qualität kümmern.

Was wäre ein Erfolg?

Wenn sich das etabliert und die Sender, die keinen Grund haben, etwas zu verändern, weil die Gebühren sowieso kommen, wenn die wissen: Da ist immer jemand, der kritisch zuschaut. Obwohl der Herr Polenz vom ZDF-Fernsehrat gesagt hat: Das brauchen wir nicht. Wir haben doch ein Beschwerdemanagement, mit dem wir 19 Beschwerden bearbeitet haben im letzten Jahr. 19!

Das Gespräch führte Matthias Dell

Maren Müller lebt in Leipzig, ist beim MDR beschäftigt. Aus der Lanz-Petition soll ein Verein werden, der gerade in Gründung ist: publikumskonferenz.de

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