Der Freitag: Verteidigungsminister de Maizière hat kürzlich für Aufregung gesorgt, als er sagte, Soldaten haben einen übertriebenen Wunsch nach Wertschätzung. Das wurde als Problem von de Maizières Karriere diskutiert, dabei berührt die Bemerkung einen interessanten Punkt: Krieg ist immer nur abstrakt zu kritisieren, gegen den einzelnen Soldaten, „unsere Jungs“, kann man dagegen nichts sagen. Ist das nicht hinderlich, um zu verstehen, was einer Gesellschaft im Krieg passiert?
Bjørn Melhus: Man muss die Frage stellen, was eigentlich im Krieg passiert. Ich habe gerade ein Buch gelesen, in dem Michael Saleh und Mitch Weiss, zwei Journalisten, die Arbeit der Tiger Forces im Vietnamkrieg aufgearbeitet haben. Das war eine Elite-Kampftruppe, die „search and destroy“-Missionen ausgeführt hat. Das ist außer Kontrolle geraten, die haben sich hinterher mit abgeschnittenen Ohren geschmückt, Fotos gemacht vor abgetrennten Köpfen, Babys enthauptet, Dörfer massakriert – der Einsatz endet in einer sadistischen Orgie. Da kann man nicht sagen: „Don’t blame the soldier.“
Und diese extremen Grausamkeiten wären nicht die Ausnahme, sondern die Realität des Krieges?
Solche Taten sind nicht zu rechtfertigen, aber dass es dazu kommt, ist für mich nachvollziehbar. Es gibt keinen sauberen Krieg. Krieg ist das, was außer Kontrolle gerät. Was gerade in Syrien passiert – da ist keine Seite besser als die andere. Man kann sich weder hinter die Aufständischen noch hinter die Assad-Truppen stellen, wenn man die Videos anschaut, die Täter bei Youtube einstellen. Da sind – von beiden Seiten – Folterungen zu sehen, Leute mit Säcken über den Köpfen, auf die eingedroschen wird. Das nehmen die Täter alles auf. Teilweise ohne ihr Gesicht zu verdecken, so dass man sich fragt, ob in Den Haag jemand sitzt und das alles sammelt für künftige Prozesse. Es gibt kein sauberes Töten. Selbst wenn man die Täter aus dem Konflikt raushält, also Drohnen schickt, dann ist das sauber nur für eine Seite.
Sie beschäftigen sich in Ihren Arbeiten schon seit Jahren mit den Bildern, die vom Krieg bleiben. Wie hat das angefangen?
Mit dem 11. September. Den habe ich in New York erlebt. Davor war ich in Rabat unterwegs auf Einladung des Goethe-Instituts Marokko und bin da durch die Altstadt gelaufen, und irgendwer sagte, Ridley Scott drehe hier gerade Black Hawk Down. Der spielt zwar in Somalia, aber Marokko muss ja immer als fiktionaler arabischer Kriegsort herhalten. Black Hawk Down hat mich dann sehr verwundert, genauso die Stimmung in den USA, die Vorbereitung für den Krieg, der Beginn des Krieges. Ich habe immer mehr darüber gelesen, auch über diese medialen Formate. Etwa dass Jerry Bruckheimer, der Produzent von Black Hawk Down, eine Reality-TV-Serie macht, Profiles from the Front Line. Das tut wie Berichterstattung, eine Vorabendserie, in der die Kamera im Polizeiauto mitfährt durch den Irakkrieg.
Embedded Television.
Es ist widerlich; patriotisches Zeug aus der Zusammenarbeit mit dem Pentagon. In der Zeit hab ich zum ersten Mal den Begriff Militainment gelesen. 2003 ist dann eine erste Arbeit zum Kriegsthema entstanden, Still Men out there, ein Zitat aus Black Hawk Down, von dem Donald Rumsfeld gesagt hat, es sei der beste Kriegsfilm aller Zeiten. Bei meiner Beschäftigung geht es auch um diese merkwürdige Wende bei den Kriegsfilmen im Vergleich zu denen aus den siebziger und achtziger Jahren.
Die nannte man Antikriegsfilme.
Diese kritischere Auseinandersetzung gibt es nicht mehr. Obama hat 2012 den Commemoration Act beschlossen, da buttert die Regierung 13 Jahre lang Geld in die Verschönerung des öffentlichen Bilds vom Vietnamkrieg. Die Leute, die dort gewütet haben, sind nie als Helden anerkannt worden. Das muss jetzt noch geändert werden, das ist immer noch eine Wunde in der Geschichte der USA.
Für Ihre Arbeiten interessieren Sie sich für fremde Tonspuren. Was passiert da in den Kriegsfilmen aus Hollywood?
Man kann das eine Rock’n’Rollisierung des Krieges nennen, wie da mit Helikoptern in den Kampf geflogen wird und dazu Heavy Metal läuft. In der Zeit nach dem Vietnamkrieg gab es im amerikanischen Unterhaltungskino unglaublich viele Hubschrauberserien. Der Sound von Vietnam, das ist der Helikopter „Huey“. Veteranen sagen, wenn sie nur das Geräusch hörten, ginge ihnen das Herz auf. Schaut man in Musikprogrammen am Computer – „Garage Band“ bietet für Nachvertonung von Filmen verschiedene Töne an –, dann gibt’s da verschiedene Kriegsgeräusche: Zweiter Weltkrieg, Vietnam und so weiter. Beim Vietnamkrieg ist immer der Helikopter im Hintergrund. Wobei es eigentlich komisch ist, dass wir Vietnamkrieg sagen. Die Vietnamesen sagen: der amerikanische Krieg, das trifft es eher.
In diesen Serien kommt der Krieg aus der Ferne als Kriminalitätsbekämpfung in die Heimat zurück.
Das ist schon absurd, wie etwa in Das fliegende Auge, im Original heißt der Blue Thunder, von 1983 in der finalen Schlacht über Los Angeles der Krieg in das Land hineingetragen wird. Der Film handelt von zwei Figuren, die Helikopterpiloten im Vietnamkrieg waren. Die kennen sich, und die sind jetzt der gute und der böse Cop. Im Luftkampf am Ende muss der gute dann den bösen Polizisten vernichten, damit der Gerechtigkeit genüge getan wird. Bei Roland Emmerichs Universal Soldier mit Jean-Claude Van Damme ist das noch Jahre später der gleiche Antagonismus. Das Trauma quillt an allen Ecken und Enden der Unterhaltungskultur hervor.
Die bekannteste Figur des unversöhnten Heimkehrers ist Rambo.
Rambo ist der absolute Klassiker: ein schwer depressiver Typ, ein wenig auf der Kippe, zugleich eine Kampfmaschine, absolut beziehungsunfähig. Wenn es dann doch mal eine Liebesaffäre gibt, wird die Frau meist in der nächsten Szene umgebracht. Die muss sterben, damit der Heimkehrer der einsam kämpfende Wolf bleiben kann.
Das soziale Umfeld dieser Figuren haben Sie in „I’m not the Enemy“ arrangiert, einer Arbeit von 2011, in der Sie wie immer alle Rollen selbst spielen. Etwa die der besorgten Mutter.
Diese Mutterfiguren sind ganz wichtig für die Welt, in die der Soldat zurückkehrt. Dann gibt es zumeist noch einen Vater oder Bruder, der in der Zivilgesellschaft verblieben ist. Und einen Freund, der auch im Krieg war. Die Reintegration der Soldaten ist in den USA ein Riesenproblem. Allein menschlich, die Familien werden durch den Krieg oft zerrüttet bis in die dritte Generation. Und das multipliziert sich für die ganze Gesellschaft.
Diese Produktion von menschlichem Leid im eigenen Land hört nicht auf, weil die amerikanischen Kriege weitergehen.
Die USA haben ein Problem mit Posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS). Suizide nehmen schon im Einsatzgebiet zu, und die Zahl der Suizide von Soldaten, die im Irak und in Afghanistan waren, ist mittlerweile höher als die der dort umgekommenen. Wobei die Regierung natürlich versucht, so wenig wie möglich davon an die Öffentlichkeit dringen zu lassen. Wirtschaftlich ist das ein Problem für die Krankenkassen, wenn man Tausende von Menschen über Jahre hinweg therapieren muss. Deswegen werden die Heimkehrer schnell ausgespuckt aus der Armee, die sollen einen Bogen ausfüllen, dass sie okay sind, und wenn sie das unterschrieben haben, können sie keine Regressansprüche mehr stellen.
Ist vermutlich eine naive Frage, aber wieso wird aus diesen Folgeschäden nichts gelernt?
Krieg ist letztlich ein Riesengeschäft. Die Waffenindustrie braucht Anlässe, hin und wieder die Arsenale zu leeren und das Zeug nicht nur im eigenen Land zu verschrotten. In den Golfkriegen ist mehr Bombentonnage abgeworfen worden als in den beiden Weltkriegen – das muss alles nachproduziert werden. Das ist ein Wirtschaftsfaktor. Außerdem sind die Leute, die dahingeschickt werden, vom unteren Ende der Gesellschaft. Die haben sowieso nichts zu sagen. Wenn’s da knallt bei der Rückkehr, ist das egal.
Die Behandlung von traumatisierten Soldaten ist ein Thema, das für Deutschland relativ neu ist.
Es gibt die Zahl von 2.000 PTBS-Patienten aus dem Afghanistankrieg. Im Bundeswehrkrankenhaus in Berlin ist eigens eine neue Abteilung eingerichtet worden, um diese Leute zu behandeln. In asymmetrischen Kriegen gibt es keine Frontlinie mehr, du weißt nicht, wo der Feind ist, das war schon in Vietnam so. Die Soldaten sind also permanent einer Bedrohung ausgesetzt, und da verändert sich rein physisch was, im Mandelkern, der Amygdala, das ist der Bereich im Gehirn, der für die Angst zuständig ist.
Was deutsche Filme zu reflektieren beginnen.
Es gibt Filme zum Thema Krieg, mittlerweile schon drei Tatort-Folgen, die das bearbeiten. Das fängt jetzt an, dass Filme zu erzählen versuchen, was mit den Kriegsrückkehrern in der Zivilgesellschaft passiert.
Unterscheiden sich diese Darstellungen von denen in amerikanischen Filmen?
Komischerweise sind die Figuren ähnlich.
Weil es um die gleichen Verletzungen geht oder weil man sich an Hollywood orientiert?
Ich würde sagen, dass da eine Menge abgeguckt worden ist. Bei dem ersten Tatort, in dem das vorkam, hatte die Mutter eine zentrale Rolle. Als der ausgestrahlt wurde, war ich gerade mit dem Feinschnitt von I’m not the Enemy beschäftigt. Das war schon seltsam, wie die Figuren aus der Arbeit da auftauchten in so einem deutschen Fernsehformat.
Also gibt es nur universelle Soldatengeschichten?
Was die Gewaltbereitschaft bei der Rückkehr betrifft, da sind die deutschen Filme noch nicht an dem Punkt, wo sie die Soldaten zu Helden werden lassen, die mit der verrotteten Zivilgesellschaft aufräumen. Das machen die Rambo-Typen in Amerika. Die haben zwar diese Narbe, aber die Narbe hat sie auch so stark gemacht, dass sie moralisch über allem stehen. Bei dieser Moral ist der deutsche Film noch nicht angekommen.
Bjørn Melhus, geboren 1966, ist einer der bekanntesten deutschen Videokünstler. Seit 2003 hat er eine Professur an der Kunsthochschule Kassel inne. Seine Arbeiten werden weltweit gezeigt – bis auf die App, die Melhus für den neuen Berliner Flughafen konzipierte und die der Verzögerung bei der Eröffnung zwangsläufig zum Opfer fiel
Das Gespräch führte Matthias Dell
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