Nicht mal ich

Tatort Man will vom "Tatort" nicht hören, dass die Verhältnisse so sind: "Alles hat seinen Preis" macht nichts aus seiner Anlage und verniedlicht die kleinen Leute fürs Mitleid

Der Tatort ist so heterogen, dass es schwerfällt, von Trends und Tendenzen zu sprechen. Aber diese Feststellung kann man ja mal raushauen: Was im 1. Quartal 2012 vom Sonntagskrimi hängenbleibt, ist der existentielle Sumpf, in dem der Einzelhandel steckt und aus dem er sich, latürnich, an den Haaren der eigenen Devianz zu ziehen versucht. Erinnert sei an das Dübelfachgeschäftsdrama aus Munich und die Falknereiressortexistenzgründung im Vorharz (auf höherem, mittelständischen Niveau könnte man auch den Gebrauchskeramikbudenzauber in Stuttgart dazurechnen).

Berlin bilanziert all diese Bemühungen nun unter dem fatalistisch dahermackernden Titel Alles hat seinen Preis. Ja, ja, liebe erbarmungslose Marktwirtschaft, wir haben's verstanden und nehmen brav den Lebertran der Alternativlosigkeit – Unternehmertum ist was für oben, unten wird geschuftet oder auf Hartz IV rumgehangen, kommt davon, die Verhältnisse sind so. Dass Alles hat seinen Preis sein Thema so defensiv vorträgt, schlägt aufs Gemüt. Wenn man in der Welt, auf der Arbeit, von der Werbung oder den Wirtschaftsnachrichten immer schon hören muss, wie klein der Winkel ist, in dem man sich einzurichten hat, dann kann man sich vom Tatort doch ein wenig Fantasie erwarten getreu dem alten Unerschrockenen-Motto: „Was kost' die Welt? Ich nehm' zwei!“

Aber dieser Tatort hier (Buch: Michael Gantenberg, Hartmut Block, Regie: Florian Kern) präsentiert nun das Einzelhändlermilieu genau so, wie wir's im Restaurant zurückgehen lassen würden: total durch. Der ermordete Fuhrunternehmer und Westentaschen-Immobilienmogul „Olle“ (Weber: the one and only Ernst-Georg Schwill) Klemke war eben nicht nur als Vermieter und Arbeitgeber eine Kiezgröße von einiger Bedeutung, sondern hatte durch die Asche auf seinem Konto unwissentlich Existenzgründungen gestützt. Weil nämlich auf der Bank Christa Meinecke (Tatjana Blacher) als wahrhaft unsichtbare Hand des Marktes Klemkes Vermögen geschickt als zeitweise Sicherheiten für hoffnungsvolle Kleinunternehmer ausgegeben hat. Mit Meinecke hält im Glasturm der Globalfinanz das letzte menschliche Antlitz die Stellung, eine treusorgende Angestellte, die dem Kunden noch begegnet, wo er zu Hause ist: im richtigen Leben. Meinecke wohnt selbst im Klemke-Kiez, der im Tatort Ähnlichkeiten mit dem real existierenden Schöneberg aufweist.

Mikrokreditsystem

Meineckes Counterpart im Glasturm ist naturgemäß ein junger Frisör (Gerd Fröse: Steve Windolf), der in einer sehr traurigen Szene schließlich seinen Schreibtisch räumen muss, weil er Meineckes Machenschaften nicht bemerkt hatte – traurig, weil sich dieser scheinbar beiläufige Moment (Kamera von fern, Tonspur sehr zurückhaltend) so sehr als eine Information aufgedrängt, die dazu da ist, dem von der Herzlosigkeit der Bankenwelt aka der ökonomischen Verhältnisse gebeutelten Zuschauer „Gerechtigkeit“ zu bedeuten in der Form, dass manchmal auch die Richtigen ihr Fett abbekommen. Von solch cheapen Anmachen lässt der Zuschauer in uns sich allerdings nicht betören, besteht doch das Elend von Alles hat seinen Preis darin, dass die Anlage des Falls klüger ist als seine Ausführung.

Da hat man schon so eine erfrischende Figur wie Charity-Christa, die angesichts der merkwürdigen Logik bei der Kreditvergabe (je größer die Summe, desto leichter zu kriegen) ein innovatives Mikrokreditsystem praktiziert bei dem de facto keiner zu Schaden kommt (wenn man mal davon absieht, dass etwa die Geschwister Zuckowski mit ihrem Lebensmittelladen scheitern – die Menschenkenntnis von Meinecke also vielleicht doch nicht so entwickelt ist). Und dann wird da nur die Gesetzbuch-Card gespielt. Tilli (Dominic Raacke) fällt beim Extemporieren über den Fall nichts anderes ein, als das Unrecht, das Charity-Christa begangen hat, zu beklagen. Was ja in Ordnung wäre, wenn jemand anderes – wofür gibt es sophisticated Stark (Boris Aljinovic)? – daraus eine Auseinandersetzung machte, in der die durchaus interessante Frage tatsächlich diskutiert würde. Macht aber keiner. Alles hat sein Preis ist wie Borussia Dortmund, das immer nur durch die Mitte spielt, statt mal auf die Flügel auszuweichen.

Wo die Verhältnisse konservativ erzählt werden, bietet sich zur Kompensation für die Verluste nur Sentimentalism an. Der wird in hier in großen Dosen ausgegeben – und als zentrale Geste fungiert dann dieses auch performativ zutiefst furchtbare Preiseauswischen auf der Angebotsschiefertafel. Ein Film, der unsere Gefühle für sich einnehmen will, sollte nicht so plump locken wie eine hochgetunte Bordsteinschwalbe. Zumal man sich fragt, arrival of the Tatort-Polizei, wieso in diesem wohlstandsbürgerlichen Viertel und vor dem Hintergrund der verfeinerten Ernährungsweisen of our days ausgerechnet ein so liebevoll eingerichtetes Delikatessgeschäft wie das der Zuckowskis von einem nahenden Einkaufszentrum den Garaus gemacht kriegen soll. „Die Leute probieren hier und kaufen im Supermarkt“, begründet Ziska Zuckowski (Alwara Höfels) den Niedergang ihrer Lebenstraums – das funktioniert doch aber nur bei homogenen Produkte wie Benzin oder Büchern. Superdupercheese im Lebensmittelladen probieren und dann beim Discounter den abgepackten Kehrkäse kaufen – never heard of this Praxis before.

An der Tränke

Sonst lassen sich im grundsätzlich mittelmäßigen Film Beobachtungen machen. Zur prekären Frage der Regionalisierung etwa, wie der Tatort sie betreibt. Dass Alles hat seinen Preis vom – vermutlich – brandenburgischen Ziethen, woher die Frau an Klemkes Seite (Edith Welziehn: die große Renate Krößner) stammt, zur besseren Lokalisierung mit dem Zusatz "ehemalige DDR" spricht, sagt – wir können uns täuschen – wohl mehr über die geografischen Wahrnehmungen der Drehbuchautoren Gantenberg (lebt in Soest) und Block (lebt in Köln) als über eine Westberliner Perspektive, die es im Film sein soll. Einen Gewährsmann dieser Westberliner Perspektive könnte Olle Leydicke geben, ein Schankwirt alter Schule und eigenen Charakters, der im Film einen schweigenden Auftritt hat in seinem eigenen Laden (der wie andere alteingessene Tränken in dem schönen Band Berliner Jahrhundertkneipen aus dem Lehmstedt-Verlag hat), wenn Tilli und Stark mal wieder zusammen an den Tresen treten.

Dass auch das Leydicke, das im richtigen Leben am S+U-Bahnhof Yorckstraße liegt und tatsächlich zu leiden hat unter den geschlossenen Subventionsindustrien Westberlins, die früher hier ihre Arbeiter mit der Lohntüte in die Kneipe entließen, im Zuge des Einzelhandelsvernichtungsthema im Film Geschäftsaufgabe zu vermelden hat, gehört zum unangenehm melancholischen Grundton des Tatort. Tilli und Stark geben sich derweil durchaus formverbessert, wie sie da etwa ihre Innenstadtwettrennen auf dem Rad und im Auto verabreden. Auch wenn über das, was Stark auf dem Drahtesel da performt, die Highstyler des Großstadtracens (feste Nabe!), die wir kennen, vermutlich nur milde lächeln können.

Ein Satz, der aus einem René-Pollesch-Stück zugelaufen ist: „Du und ich, uns gibt’s doch gar nicht ohne Geld“

Eine rhetorische Frage, die keine rhetorische Frage ist: „Global Ocean Ressort Trinity Beach Dive and Spa – klingt gut, finden Sie nicht?“

Ein Nebensatz, den man manch unangenehmen Zeitgenossen anhängen kann: "..., der angibt wie 'ne Tüte Mücken"

Etwas, das man sich für die kommenden Tage vornehmen kann: "Get a Life"

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