Mian Mians neues Buch heißt Panda Sex und ist bei Kiepenheuer erschienen. Es hat 166 Seiten, Vorder- und Rückseite des Paperbacks schmückt, wie schon die vorhergegangenen Bücher (La la la, deutsch 2000, Deine Nacht, mein Tag, deutsch 2004) ein Bild der Autorin. Dieses Mal: gespiegelt, Seitenprofil mit Sonnenbrille und einer Art Flokati, der, genau ist es nicht zu erkennen, Schal oder Kragen sein könnte. Dem Buch vorangestellt sind drei Absätze, die mit „Das Buch“, „Die Autorin“ und „Der Übersetzer“ betitelt sind.
Diese Beitexte sind für das Verständnis des literarischen Textes von essentieller Bedeutung. Der biografischen Notiz etwa ist zu entnehmen, dass es sich um eine junge Autorin („geboren 1970“) handelt, die in einer Metropole lebt („Shanghai“) und als Kennerin des Nachtlebens und der dort sich Tummelnden durch ihre Nebentätigkeiten ausgewiesen ist („DJane und Partyveranstalterin“). Letzteres deutet dem Leser an, dass die beschriebenen Handlungen eine enge Verbindung zur Realität unterhalten könnten. Dafür spricht auch der vorletzte Satz des Abschnitts, der den Übersetzer („Martin Woesler, geboren 1969, Sinologe“) porträtiert: „Mit Mian Mian hat er die Orte aus dem Roman Panda Sex besucht.“
Man kann nur erahnen, dass eine Frucht dieser Exkursion die uneinheitliche Eindeutschung der Wahrzeichen des neuen Shanghai ist. So wird der vom internationalen Publikum „Pearl Tower“ genannte Bau als „Fernsehturm ‚Perle des Ostens‘“ ins Deutsche übertragen, während der ebenfalls im Stadtteil Pudong situierte, neuere und höhere Wolkenkratzer wie vom internationalen Publikum im Buch auch als „Jin Mao-Tower“ bezeichnet wird. Es kann freilich auch sein, dass der Leser in diesem scheinbar widersprüchlichen Punkt Opfer seiner falschen Realitätsfixierung geworden ist – Panda Sex heißt im Untertitel schließlich „Roman“ – und der „Fernsehturm ‚Perle des Ostens‘“ wie der „Jin Mao-Tower“ nur zufällig an die tatsächlichen Bauwerke erinnern. Wie auch immer.
Einen nicht unwichtigen Hinweis auf die Kompetenz des Übersetzers Woesler liefern sein mit dem der Autorin fast identisches Geburtsjahr sowie sein Werdegang („Forschung und Lehre an der Peking- und Harvard-Universität, derzeit Professor an der Hochschule für Angewandte Sprachen München“), der in einem elliptischen Dreischritt mühelos ein Panorama moderner Weltgewandtheit eröffnet und zugleich höchste Wissenschaftlichkeit („Harvard“) mit lebensweltlichem Bezug („Hochschule für Angewandte (sic) Sprachen“) kombiniert.
Glamouröse Kennerschaft
Der Absatz „Das Buch“, der chronologisch der erste ist, beginnt mit einer kurzen Vorstellung der Autorin: „Mian Mian war eine der ersten Schriftstellerinnen, die über die unbekannte Seite Chinas schrieben: über eine Jugend, die im Nachtleben ihr Glück sucht.“ Diese Behauptung wird umgehend verifiziert durch Attribute, mit denen Deutschlands bekanntestes Nachrichtenmagazin Mian Mian geschmückt hat: „Als ‚Königin der Subkultur‘ und ‚Chinas begabteste Jungautorin‘ feierte sie Der Spiegel.“
Die Auswahl dieser beiden Zuschreibungen, es würden sich bestimmt weitere finden, ist eine Meisterleistung der Kurzcharakterisierung. Auf der einen Seite wird wiederum die uneingeschränkt glamouröse Kennerschaft der Autorin hinsichtlich ihres Sujets betont („Königin der Subkultur“), auf der anderen Seite aber dem Eindruck entgegengewirkt, es könne sich bei Mian Mian um ein Szene-Sternchen Shanghais handeln, das zwischen After Hour und Vorglühen mal eben zu Papier gebracht hat, was ihm gerade durch die verkaterte Rübe ging („Chinas begabteste Jungautorin“). Nicht vergessen werden darf bei der Beschreibung der Autorin der Ritterschlag der Ernsthaftigkeit, der sie umgehend zur politischen Schriftstellerin nobilitiert („von den chinesischen Behörden zensiert“), dabei die Popularität ihrer Widerständigkeit nicht verschweigt („in zahlreichen Raubkopien kursiert“). Dass die Zensur 2002 aufgehoben wurde, wie ebenfalls zu erfahren ist, kann als Indiz gewertet dafür, dass sich Mian Mian nun auf dem Weg zum Klassiker, womöglich zum Literaturnobelpreis befindet.
Wovon, drängelt ungeduldig die Vorfreude des Lesers, handelt nun aber das Buch? Panda Sex erzählt von einer Gruppe von Leuten um das Schwesternpaar Mei Mei und Jie Jie. Zwei Tage und Nächte lang durchstreifen sie die Shanghaier Party- und Clubszene und philosophieren dabei über die Liebe, Beziehungen, Geschlechterrollen und Sex.“ Auch in dieser Beschreibung findet sich die anziehende Mischung von pragmatischer Leichtigkeit („durchstreifen“, „Party- und Clubszene“, „Liebe“, „Sex“) und theoretischer Schwere („philosophieren“, „Geschlechterrollen“) wieder. Die Erwartungen an einen wenn nicht pornografischen, so doch freizügigen Roman dämpft allerdings der Text auf der Rückseite des Buches. Dort heißt es: „In Shanghai ist der Panda-Virus ausgebrochen. Pandabären haben nur zweimal im Jahr Sex. Den Figuren im neuen Roman von Mian Mian geht es ähnlich, sie suchen Nähe, sind süchtig nach echter Begegnung und können Sex doch nur mit Fremden haben.“ Zum wiederholten Mal wird hier die Waage gehalten zwischen den verschiedenen Interessen, die der Leser haben könnte: Die Aussicht auf frivole Beschreibungen wird dementiert, um die literarische Ambition des Buches nicht in den Schmutz zu ziehen. Gleichzeitig wird einer erotischen Ödnis („zweimal im Jahr Sex“) vorgebeugt, indem doch auch Vollzug vermeldet wird („Sex nur mit Fremden“).
Hier gerät der westliche Leser in den Blick, dem auch die Widmung zugeeignet ist („Allen ‚besonderen‘ Touristen“), was beinahe als spezielle Form der Tourismuswerbung gelesen werden kann: Der „Underground“-kompetente Lifestyle-Aficionado muss sich seiner Fremdheit in Shanghai nicht schämen: Er wird vom All-Inclusive-Pack – das binnen dreier Tage noch Peking, Hangzhou und die Mauer besichtigt und trotzdem über das Essen mault – unterschieden und reist mit der Aussicht auf Sex an, den die chinesischen Partygirls mit einheimischen Mackern nicht mehr haben.
Und wie ist nun das Buch? So wie beschrieben. Oder so ähnlich. Oder auch anders. Es macht sich gut auf dem Nachttisch, wo es Weltoffenheit und Nightlife-Kompetenz demonstriert und empfiehlt sich dank seines tagebuch- oder notizhaften Stils als Bettlektüre vor oder nach dem Ausgehen, nüchtern oder auch gut drauf. Mehr kann man von einem Buch, das einem China näher bringen und doch auch verlockend fern erscheinen lassen soll, vermutlich nicht erwarten.
Mian Mian. Aus dem Chinesischen von Martin Woesler unter Mitarbeit von Lihua Ji, Kiepenheuer&Witsch, Köln 2009, 160 S., 7, 95
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