Das Töten in Captain Phillips vollzieht sich still und unspektakulär. Ein kurzer Befehl, drei gedämpfte Geräusche und die somalischen Piraten, die den titelgebenden Kapitän eines Frachtschiffs als Geisel genommen hatten, sind tot. Das waren sie vorher schon – vermutlich bereits in dem Moment, als sie sich nicht mit den 30.000 Dollar in bar an Bord des Frachters zufrieden geben wollten und Richard Phillips als Pfand auf eine größere Summe mit in das orangene Rettungsschiff nahmen; mit Sicherheit zu dem Zeitpunkt, an dem die mit Flugzeugträger und Panzerschiffen angerückte US-Marine das putzige Rettungsboot ins Schlepptau nimmt.
Der Film Captain Phillips basiert auf der wahren Geschichte, die der echte Richard Philipps in einem Buch aufgeschrieben hat (Drehbuch: Billy Ray). Ein Kapitel globaler Verteilungskämpfe: Ein Frachter, der im Film vielleicht etwas zu idyllisch national besetzt ist, also nur mit Amerikanern, wird von somalischen Piraten geentert. Am Ende rettet die Kavallerie den amerikanischen Kapitän, während sein Gegenspieler, der Piratenanführer Muse, gefangen genommen und zu über 30 Jahren Gefängnis verurteilt wird. Ist das eine Heldengeschichte?
Kampf mit Wasserschläuchen
Die Inszenierung lässt Zweifel daran zu. Captain Phillips ist – ähnlich wie Zero Dark Thirty, Kathryn Bigelows Verfilmung der Osama-bin-Laden-Erschießung – ein ungemein ambivalenter Film, gerade weil er von staunenswerter technischer Perfektion ist. Den ersten Akt, die Eroberung des Frachters, gestaltet Paul Greengrass, der Regisseur von Teil zwei und drei der im Action-Genre hochstehenden Bourne-Trilogie, mit einer beeindruckenden Präzision. Die Abläufe an Bord, in die der Zuschauer mit wenigen Szenen eingeführt wird, werden rhythmisch gegen die sture Zielgerichtetheit der Piraten gesetzt. Aus Mangel an militärischen Möglichkeiten versucht sich der Kapitän mit gefakten Funksprüchen und Wasserschläuchen zu behelfen. Greengrass rhythmisiert dieses Hin und Her so geschickt, dass die Spannung zwischen flüchtendem Frachter und jagendem Schnellboot spürbar wird: Ganz nah scheint das riesige Containerschiff dem rettenden Abstand zu kommen, der die Verfolger abdrehen ließe. Wenn die Piraten es schließlich an Bord geschafft haben, atmet man zum ersten Mal aus.
Die Souveränität, mit der die Regie über den Stoff gebietet, zeigt sich aber auch in ruhigeren Szenen. Der Anfang ist ein Musterbeispiel ökonomischen Erzählens, bei dem kaum gesprochen werden muss. Die darstellerische auffälligste Handlung ist das entschiedene Zuziehen eines Rucksacks, der in seiner glanzlosen Jugendlichkeit etwas andeutet von der prekären Beschäftigung, der sein reifer Besitzer nachgeht. Auf dem Weg zur Arbeit reden der Kapitän und seine Frau über die Sorgen, die sie mit ihrem Sohn haben, der Mühe hat, eine Arbeit zu finden. Von dort schaltet der Film zu den Piraten, deren Heuer für einen Auftrag sich ebenfalls undurchschaubaren Auswahlprinzipien verdankt, Korruption eingeschlossen: Aussicht auf Verdienst bekommt, wer zur Arbeit schon mal etwas mitbringen kann.
Auch wenn der Entwurf der somalischen Charaktere um den Anführer Muse (Barkhad Abdi) sicherlich noch differenzierter ausfallen könnte, zeigt Captain Phillips sie nicht als Fratzen des Bösen, als die sie in unterkomplexeren Actionfilmen herhalten müssen. Die Piraten sind Männer bei der Arbeit, die unter dem Erfolgsdruck ihrer lokalen Vorgesetzten stehen – dass sie sich nicht mit den 30.000 Dollar an Bord zufrieden geben können, erklärt sich etwa daraus. Ihre Tätigkeit sieht nur martialischer aus als das, was Kapitän Phillips macht – und ist, was die Konditionen betrifft, noch einmal deregulierter.
Seinen kritischen Punkt erreicht Captain Phillips in dem Moment, in dem ein hochgerüstetes Militär entscheidet, für das Leben eines Einzelnen die Kavallerie rauszuschicken. Der Film selbst gerät dadurch in unruhigeres Fahrwasser, weil mit der wahnwitzigen Maschinerie auch die reale Politik, die amerikanische Ideologie Einzug hält: Dass Hollywood als kultureller Botschafter der USA an dieser Stelle sich nachgiebig zeigte, ist undenkbar.
Das Walten des militärischen Apparates erzählt Greengrass mit einem Sinn für Professionalismus, der geeignet ist, überzeugte Wehrdienstverweigerer für den Reiz von Kriegsspielzeug zu begeistern. Die bittere Pointe besteht darin, dass der hochgezüchtete US-amerikanische Militarismus das letzte Residuum von Funktionstüchtigkeit inmitten einer prekären Welt ist: Alles, was an Bord des Frachters fehlt – und bei den Piraten sowieso –, ist auf dem Flugzeugträger im Überfluss vorhanden: Menschen, Material, Versorgung.
Gerettet werden aber auch damit keine Helden mehr. Tom Hanks spielt den Kapitän mit großer Zurückhaltung, seine zweite markante Geste nach dem Reißverschlusszuziehen zu Beginn ist ein erschöpftes Augenreiben auf dem Rettungsboot. Konnte Hanks als Chef der Apollo 13-Mission im Film von Ron Howard 1995 noch heldenhaft geborgen werden, wird in Captain Phillips ein völlig verdatterter Körper aus den Händen der Piraten befreit, der von der insistierenden Funktionsansprache der Schiffsärztin nicht mehr erreicht wird.
Captain Phillips Paul Greengrass 134 Min.
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