Filme versuchen, die Bedingungen vergessen zu machen, unter denen sie entstanden sind. Das ist bei Salt and Fire von Werner Herzog etwas anders: Man wird die gesamte Zeit das Gefühl nicht los, durch den Film hindurch auf Umstände seines Gemachtwordenseins zu schauen. Und so sehr zu Werner Herzog eine begeisterte Neugier gehört, wie sie aus dem mahnend-engagierten Englisch tönt, in dem der Filmemacher seine Dokumentarfilme betextet; und so sehr Herzog verbunden ist mit irrsinnigem Wagemut (der Klassiker: die Idee, in Fitzcarraldo ein Schiff über einen Berg zu ziehen) – es geht von ihm immer auch etwas Schalkhaftes aus.
Salt and Fire ist also ein absurder und ein komischer Film, wobei sich bei den komischen Anteilen nicht immer sagen lässt, wie kalkuliert sie sind. Allein die Besetzung eines Wissenschaftlertrios, das auf einem bolivianischen Flughafen von dubiosen Paramilitärs entführt wird, irritiert gewöhnliche Vorstellungen von Repräsentation. An der Seite von Veronica Ferres als Prof. Laura Sommerfeld erscheinen die deutlich kleineren Gael García Bernal (Dr. Cavani) und Volker „Zack“ Michalowski (Dr. Meier).
Alle drei sind gegen ihren Typ besetzt. Das Rollenbild von Ferres ist die westdeutsche Hausfrau, Bernal ein zarter Schwärmer, Michalowski Comedian. Die Inszenierung ist sich der Körperkomik des Trios bewusst: Um sich zu widersetzen, haut Dr. Meier mit dem Aktenkoffer um sich, ehe ihn die Männerungetüme wie ein Kind bei den Armen packen und in der Luft strampeln lassen, Dr. Cavani flieht vor den Schwerbewaffneten in die Sackgasse des Männerklos. Später, in einem geschmackvollen Gehöft angekommen, verabschieden sich die beiden Männer aus der Geschichte, mit Durchfall, genauer: „der Mutter aller Durchfälle“. Diarrhö als Inhaftierungsmittel – das ist ein schöner Witz. Ein anderer ist der fiese Bewacher der Ferres-Figur namens Aristidis, später Krauss, der wiederum von einem echten Wissenschaftler, dem Physiker Lawrence Krauss, gespielt wird. Während Michael Shannon, der größte Name des Films, die erste Zeit unter einer Strumpfmaske verbringt, was eindeutig nicht der Sinn von Startum in einem Bildmedium ist.
Mensch ärgere dich nicht
Werner Herzog pfeift also munter auf Konventionen in Salt and Fire, einem Film, bei dem man die Darsteller auch als Botschafter ihrer jeweiligen Finanzierungsbausteine betrachten kann. Ferres käme dann ins Spiel mit ihrer Produktionsfirma Construction Film und der Aussicht, neben Shannon und unter Herzog in einer internationalen Produktion aufzutreten – als Zugpferd des deutschen Gelds (ZDF/Arte, FilmFernsehFonds Bayern). Dagegen wertete die Rolle Bernals die Beteiligung von dessen Produktionsfirma Canana auf, die erst gebraucht wurde, als klar war, dass am Aralsee, wo die zu Grunde liegende Kurzgeschichte angesiedelt ist (Aral von Tom Bissell), nicht gedreht werden kann, man sich für den Salar de Uyuni entschied, eine Salzwüste in Bolivien, und einen Koproduktionspartner für Lateinamerika benötigte. Man kommt auch deshalb auf solche Gedanken, weil Salt and Fire sich wenig Mühe macht, seine hemdsärmelige Bauweise zu kaschieren.
Die Erzählung (das Drehbuch hat Herzog, heißt es, in vier Wochen geschrieben) ist von B-Movie-hafter Schmucklosigkeit. Sie schert sich nicht um Psychologien und Plausibilitäten, oder andersherum: Sie ordnet alles ihren Idiosynkrasien und Grillen unter. Deswegen ist es auch relativ egal, dass die Biederkeit von Ferres’ Spiel dem Film fremd bleibt. Auch wenn Herzog in Interviews das angebliche Starpotenzial von Veronica Ferres betont – es ist schwer vorstellbar, dass der Film von einer breiteren Schicht als einem Publikum rezipiert wird, das offen ist für die spezifische Poetik solcher Filme.
Wenn sich am Ende herausstellt, dass die Entführung der Wissenschaftlerin nur dazu diente, ihr die Notwendigkeit von Umweltschutz näherzubringen, weil die persönliche Erfahrung der Salzwüste ein anderes, emotionales Wissen bewirkt als die Kenntnis von Zahlen und Statistiken, dann steckt darin zugleich das Credo von Herzogs Film: Salt and Fire soll der Zuschauerin genau diesen Eindruck verschaffen.
Verstärkt wird der durch putzige Kinder, zwei erblindende Brüder (Danner Ignacio Márquez Arancibia und Gabriel Márquez Arancibia), mit denen Prof. Sommerfeld in der Wüste von Shannons kunstsinnigem, seine eigene Schuld erkennendem Wirtschaftsführer allein gelassen wird. An dieser Stelle befreit sich der Film völlig von narrativen Zwängen, wird die Produktionslogistik identisch mit dem gedrehten Material. Als Höhepunkt des Kurzzeit-Überlebenscamps sieht man irgendwann Veronica Ferres mit den beiden Kindern „Mensch ärgere dich nicht“ spielen, was wie der Versuch wirkt, überhaupt so was wie Kommunikation zwischen der von weit her angereisten Schauspielerin und den beiden lokalen Laien herzustellen. In anderen Filmen wäre das Stoff fürs Making-of.
In solchen Momenten zeigt sich, wie verschwenderisch Herzog mit dem umgeht, was aufwendig zu finanzieren ist: Drehzeit für einen Film. Eine Geste, die von großer Unabhängigkeit zeugt. Salt and Fire ist auch deshalb ein toller Film, weil sein Regisseur sich wie ein Tourist durch die beeindruckende Landschaft bewegt. Der finale Gag zielt allen Ernstes darauf ab, lustige Fotos der Art zu machen, wie man sie vom schiefen Turm von Pisa kennt, bei dem durch perspektivische Verschiebung der Eindruck erweckt wird, Vati auf dem Urlaubsbild stütze ihn mit seiner Hand. Köstlich.
Info
Salt and Fire Werner Herzog FRA/BOL/USA/D/MEX 2016, 98 Minuten
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.