Ursprung der Politik

Perspektivwechsel Nate Parker erzählt in „The Birth of a Nation“ vom Ende der Sklaverei aus dem Geiste der Bildung
Ausgabe 15/2017

Am Ende der Berliner Pressevorführung von Nate Parkers Film The Birth of a Nation geschah etwas, das ich bei solchen Screenings noch nicht erlebt habe. Ein nervöser Lärm machte sich breit, zur, besser: über die Abspannmusik des Films unterhielten sich Besucher aus den ersten Reihen in solcher Lautstärke, dass die Sinne merkwürdig gereizt wurden. Musik und Stimmen wirkten kombiniert mit den eigenen Eindrücken wie eine kakofonische Attacke auf unruhige Gefühle.

Die Unterhaltung in den vorderen Reihen in dieser Lautstärke mag Zufall gewesen sein. Man kann in der Konkurrenz der Geräusche, dem unbedingten Übertönen-Müssen des Leinwandsounds, etwas Kompensatorisches erkennen – den Auslauf von sehr anstrengenden Emotionen, die The Birth of a Nation hinterlässt, auf eine spezifische Weise womöglich bei weißen Zuschauern.

Der Historienfilm von Nate Parker ist also eine Herausforderung, ein Blick zurück als Zumutung, der die Gewalt und den Sadismus aus der Spielzeit immer wieder vor Augen führt. Erzählt wird an der geschichtlich verbrieften Figur Nat Turner entlang, einem Sklaven, der als Anführer eines Aufstands im US-Bundesstaat Virginia 1831 zum Tode verurteilt wurde.

In Charles Burnetts Fernsehdokumentation Nat Turner: A Troublesome Property von 2003 sagt der Kulturwissenschaftler Henry Louis Gates, die Quellenlage – die Aufzeichnungen eines Anwalts, der mit Turner vor seiner Hinr ichtung gesprochen hatte – sei so fragil, dass man nichts einfach rekonstruieren könne: „You have to go and create Nat Turner.“ Man muss sich seinen Nat Turner entwerfen.

Nate Parker tut das, der Titel deutet es an, mit Verve: The Birth of a Nation (2016) ist ein ziemlich entschiedener Kommentar zu The Birth of a Nation (1915) von D. W. Griffith, einem Meilenstein der Filmgeschichte, der die Integration der Vereinigten Staaten von Amerika rassistisch erzählt. Parkers Version ist filmisch konventioneller als Griffiths Arbeit am Beginn des Kinos als Kunstform. Sie pumpt wenig zimperlich Pathos ins Aufgebehren der Unterdrückten und lässt göttliches Licht scheinen – Turners widerständige Erweckung ist auch religiös motiviert. Aber der Film funktioniert als eine Art Übermalung, was in den Suchmaschinen des Internets Wirkung zeigt.

Anders als McQueen

Man kann es plump finden und zu direkt, den Song Strange Fruit von Nina Simone mit den Bildern von an Bäumen aufgeknüpften Sklaven zu illustrieren, weil das Lied eine Abstraktion von diesen Bildern hinein in die Kunst darstellt. Es geht The Birth of a Nation aber genau darum, hinter die bestehenden Vorstellungen zu kommen, in denen die blutige Geschichte des amerikanischen Rassismus bislang aufbewahrt ist. Und so ist, gemessen an Steve McQueens Sklaverei-Drama 12 Years a Slave , der Blick auf The Birth of a Nation einer hinter die Kulissen: Nach der Erfahrung von Parkers Film erkennt man, wie viel die schön-stabilen Einstellungen des Künstlers McQueen den Zuschauern erspart haben, wie dort das Grauen auf Distanz gehalten wird.

Bei den Auspeitschszenen in 12 Years a Slave oder auch in Quentin Tarantinos Django Unchained konnte man nebenher immer auch verstehen, warum Sadismus heute durchaus als konsensuelle Sexpraxis fetischisierbar ist, wohingegen einen die immer wieder vorgeführte Gewalt in The Birth of a Nation in stumpfe Abgründe führt, in denen kein Genre Erleichterung verschafft.

Es gibt in The Birth of a Nation, anders als bei McQueen, keine sympathisch-liberale, von Brad Pitt wie Charity zu verkörpernde weiße Figur. Nat Turner (Parker selbst) verdankt seine Bildung und Bibelkenntnis zwar auch dem liberalen Besitzer. Der Film zeichnet diesen Samuel Turner (Armie Hammer) aber geschickt als Gefangenen, letztlich als Sohn seiner Klasse: Den ökonomischen Zwängen, an die die weitaus ekligeren anderen Sklavenhalter ihre Sadismen koppeln, kann er sich nicht entziehen. Zum komplexen Porträt dieser Schicht gehört überdies, den moralischen Verfall in grausamem Umfeld zu markieren. Bei aller Abscheu vor den anderen – den Brandy als Dreingabe für den beruhigenden Auftritt des Predigers Nat vor den Sklaven eines Nachbarn nimmt Samuel Turner gern an.

In diesen Momenten, wenn Nat als Prediger gebucht wird (die Bibel ist, zugespitzt in einem finalen Dialog, als beides lesbar – Instrument zur Unterdrückung wie zum Aufbegehren), sieht man den Urszenen von Politik zu: Ein Mensch mit einer gesellschaftlichen Idee spricht vor anderen, und von den Worten, die er wählt, hängt deren Weitermachen ab. Vor dem finalen Aufbegehren steht die Weiterbildung

Am langen Schluss von The Birth of a Nation steht die Hinrichtung von Nat Turner, die Parker als gesellschaftliches Spektakel erzählt: Die Leute stehend schreiend Spalier, um den Delinquenten auf dem Weg zum Schafott ihren Hass ins Gesicht zu brüllen. Sie liefern damit die historisch hochgepitchte Version jener Bilder, die Raoul Pecks Dokumentarfilm I’m Not Your Negro (Freitag 13/2016) aus den 1960er Jahren zeigte, wenn weiße Hater den Schulweg eines schwarzen Mädchens säumen.

2016 wurde The Birth of a Nation beim Sundance Festival als Hit gehandelt. Bei den Oscars in diesem Jahr spielte er keine Rolle. Dazwischen lag eine moralisch schwierige, juristisch seinerzeit mit Freispruch entschiedene Geschichte einer College-Vergewaltigung um Parker und seinen Co-Autor Jean McGianni Celestin. Der weiße Schauspieler Casey Affleck, der sich im Fall von Vorwürfen sexueller Belästigung außergerichtlich geeinigt hatte, gewann derweil die Auszeichnung als bester Darsteller. Was immer das über die Gereiztheiten einer Gegenwart mit problematischem geschichtlichem Erbe sagt.

Info

The Birth of a Nation Nate Parker USA 2016, 120 Minuten

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