Politisch sind Filme im Kino, das sich in Besucherzahlen misst, zumeist thematisch. Das heißt, sie erzählen ein Thema, von dem man in der Tagesschau schon einmal gehört hat, in den Formationen, in denen sie von Konflikten handeln zwischen Frauen und Männern, die sich lieben, oder Eltern und Kindern, die sich nicht verstehen.
Der deutsche Mittelstandsfilm erzählt zumeist von Frauen und Männern, die sich nicht lieben können, und Eltern und Kindern, die sich nicht verstehen, weshalb Lars Kraumes Film Die kommenden Tage zumindest auf den ersten Blick eine Abwechslung ist: Es geht nämlich um die Zukunft bis ins Jahr 2020, in der eine Mauer durch Europa führt und Lebensmittel knapp geworden sind.
Der Entwurf entpuppt sich allerdings als schlichter Trick, das deutsche Jungstarkino (Daniel Brühl, August Diehl, Johanna Wokalek) mit Bedeutung aufzupimpen. Die Reaktion auf eine ungerechte Welt regrediert hier auf die zwanghafte Wiederholung einer Vergangenheit, an der Zukunft ist, was man aus der jüngeren Gegenwart kennt – die Demonstrationen heißen dann Flashmobs. Genauer gesagt: Die kommenden Tage beginnt 1968 (Studenten proben den Aufstand), führt über eine Luxus-Version der RAF (Bürgerkinder gehen in den Untergrund) ins Kleinfamilienbiedermeier, das Bernadette Heerwagens Protagonistin Laura von Beginn an gewollt hat: Wie unfertig das Drehbuch ist, sieht man daran, dass sie am Ende mit ihrem verblutenden Selbstversorgergärtner (Brühl) vor den Toren Europas steht, nicht reinkommt und der Film einfach abblendet, weil er auch nicht weiß, wie er da glaubwürdig rauskommt.
Landkarte des Terrors
Da siedelt Olivier Assayas‘ Terrorismusbeschreibung Carlos, die in einer drei- und einer fünfeinhalbstündigen Version in die Kinos kommt, zwei Ligen höher. Intensive Recherche und kluge Spekulation hat Assayas zu einer Landkarte des Auftragsterrors verdichtet, in der es zuerst darum geht, wer wann wo war und nicht, wie in der deutschen Andreas-Baader-Obsession, wer wofür steht. Derart liefert Carlos, der in Edgar Ramirez ein herausragend ambivalenten Hauptdarsteller hat, einen körperlichen Eindruck von 20 Jahren Leben und Arbeiten als Subunternehmer der terroristischen Destabilisierungsindustrie in wechselnden geopolitischen Lagen – bleibt darüber aber auch Illustration dessen, was Politik sein könnte.
Dass man in den konventionellen Formen durchaus politisch handeln kann, führt zuletzt Robert Rodriguez mit Machete vor. Rodriguez ist eigentlich ein Haudrauf des Schweinemännerfilms, in dem jede Gewaltanwendung schon Parodie von Gewaltanwendung ist, jedes Spiel mit Zeichen und Material Rückgriff auf die Kindheitserinnerungen an ein billiges Genre-Kino ist. Bezeichnenderweise verdankt sich Machete einem Witz: Für das Grindhouse genannte Doublefeature, das sich 2007 aus Rodriguez‘ Film Planet Terror und Quentin Tarantinos Death Proof zusammensetzte, wurde der Trailer zu einem fiktiven Film gedreht. Der erfreute sich so großer Beliebtheit, das Rodriguez Machete zu einem Langfilm ausgearbeitet hat.
Dass hier ein Witz laufen lernt, merkt man dem Film an. Der Zugang zur Politik fällt so leicht wie der Griff in die Trickkiste des Exploitation-Films: Machete verhandelt den Grenzkonflikt zwischen Mexiko und den USA, und er tut das auf eine elaborierte Weise. Danny Trejo kann zum „first Latino Superstar“ in Hollywood stilisiert werden, weil er der einzige „Gute“ ist in dem Setting an sich überlagernden Machenschaften zwischen korrupter Politik (Robert De Niro als feiger Gouverneur), authentischem Law (Don Johnson als schießwütiger Polizist) und kühl kalkulierendem Drogenbiz (Steven Seagal als japanisch inspirierter Pate).
Revolutionärer Moment
Selbst der Machismo, der einem aufs Totalvirile abonnierten Körpermassiv mit Tattoos und Narben, wie Danny Trejo es vorstellt, eigen ist, wird in gewisser Weise relativiert durch die prominenten Frauenrollen. Die mythische Rebellin Luz (Michelle Rodriguez) hält eine „Netzwerk“ genannte Organisation am Laufen, durch deren Existenz Trejos Machete-Charakter überhaupt erst zur Gallionsfigur des Widerstands werden kann. Jessica Alba als aufstrebende Polizistin setzt ihre High Heels als Waffen ein, während Lindsay Lohan Versöhnung findet als irrlichternde Politikberater-Tochter (und mit ihrem Boulevard-Image) in friedensstiftender Religionsausübung.
Man kann in Machete mehr kennen lernen als avancierte Tötungsmethoden. Der politischste Moment ist dabei ein sehr stiller: als wieder einmal Machete vorbeischaut, beschließen die Bodyguards des Politikberaters zu fliehen, statt ihre Gesundheit aufs Spiel zu setzen für jemanden, der ihnen ferner ist als das Gegenüber. So fangen Revolutionen an.
Die kommenden Tage von Lars Kraume, Carlos von Olivier Assayas, Machete von Robert Rodriguez: alle ab Donnerstag im Kino
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