Es gibt Anzeichen für eine gewisse Popularität des 1991 verstorbenen Schauspielers Klaus Kinski. Sie ist zu messen in Klickzahlen und verdankt sich dem technischen Fortschritt, genauer gesagt: Youtube, dem Filmgedächtnis des Internets. Denn Youtube schreibt auf seine eigene Weise eine Geschichte des Fernsehens, in der das entscheidende Auswahlkriterium der Skandal ist (Freitag 25/08). Dessen frivoler Odeur hat Kinski umgeben, wo immer er in Talkshows aufgetaucht ist. Wegen seines dämonischen Rollenfachs und seiner exaltierten Gestik war er der kalkulierbare Freak, an dem sich tapfer und witzig dünkende Moderatoren delektieren wollten. Die Serialität der verlinkten Youtube-Schnipsel erzählt dabei auch eine Meta-Geschichte der Interviewer, die immer schon Bezug nehmen auf ihre Vorgänger, um es scheinbar besser zu machen mit dem "Enfant terrible": Alida Gundlach hat in der NDR-Talkshow von 1985 Zettel mit angeblichen Zitaten parat; ein Schweizer Fernsehmann tut jovial so, als habe er aus dem Desaster des dummdreisten Thomas Gottschalk gelernt.
Dabei haben ihn alle missverstanden. Klaus Kinski war ein Medienkritiker ersten Ranges, der selbst die Studiowirklichkeit zum Thema gemacht hat ("Man kriegt einen trockenen Mund, weil hier die Luft so schlecht ist"). Selten hat sich scheinbare Professionalität von Interviewern so dürftig hinter klischierten Fragen getarnt ("Du kannst mir nicht erzählen, dass Dich persönlich interessiert, ob ich einen Film mache oder einen anderen"), selten ist die Unfähigkeit zur Kommunikation von so genannten Moderatoren so deutlich hervorgetreten wie in Gegenwart von Klaus Kinski. In die Talkshows gekommen ist er wie alle anderen, um einen neuen Film zu promoten. Anders als alle anderen hat er sich dabei aber zugleich geweigert, den gängigen Mustern des Schauspielerinterviews zu folgen ("Ich habe keine Ambition, publicity zu machen"). Kinski ist ein Beispiel für die subversive Kraft der Negation. Sein mit Anglizismen versetztes Insistieren auf das Honorar ("Die Leute sagen: Mach doch mal komische Filme. Okay, wie viel, how much?") als einen, wenn nicht den wesentlichen Aspekt bei der Filmauswahl mag zynisch klingen. Es ist in einem Medienbetrieb, der in einer romantischen Überhöhung fortwährend versucht, am Darstellen die Arbeit zu ignorieren, nur realistisch. "It´s all Supermarket Shit."
Warum jetzt an Klaus Kinski erinnern? Der Spiegel hat in dieser Woche seine Titelgeschichte der Verfilmung von Stefan Austs Buch Der Baader-Meinhof-Komplex gewidmet, die Ende des Monats in die Kinos kommt. Für das Gros der Filmkritik gilt das Gebot von Eichingers Constantin: Keine Berichterstattung vor dem 17. September. Publik geworden ist diese Klausel durch einen Protest der Süddeutschen Zeitung, die sich ihrerseits noch vor einem halben Jahr nicht zu schade war, eine ganze Seite für die Besetzungsliste des Films zu frei zu räumen. Derweil genießt der Spiegel freilich Sonderkonditionen und kann schon jetzt darüber informieren, dass der Umgang der Schauspieler mit ihren Figuren "ein Licht auf einen neuen Umgang mit der RAF insgesamt" wirft.
Der Satz stammt ausnahmsweise nicht von Frank Schirrmacher, sondern von Dirk Kurbjuweit, dem Leiter des Hauptstadtbüros und Autor mehrerer Romane. Von denen sind mittlerweile drei verfilmt worden, worüber Kurbjuweit aber offenbar nicht ein naives Verständnis von Verkörperung verloren hat, das Stanislawski, dem Anwalt der darstellerischen Einfühlung, Tränen in die Augen getrieben hätte. Über Vinzenz Kiefer, der Peter-Jürgen Boock spielt, lesen wir bei den Dreharbeiten: "Ihm ist nicht wohl, es ist alles so seltsam. Schleyer wurde in der Vincenz-Statz-Straße entführt, und Kiefers Vorname ist Vinzenz." Über Nadja Uhl, die Schauspielerin und Mutter, die im Film die Rolle der Brigitte Mohnhaupt spielt, entsetzt sich Kurbjuweit: "Bald steht sie im Wohnzimmer Jürgen Pontos, und sie schießt ihm aus kurzer Distanz in den Kopf, und ihre Augen sind so kalt, und abends füttert sie ihr Baby."
Die Identifikation von Schauspieler und Rolle ist strafrechtlich vermutlich nicht relevant, aber das totale Reenactment ("illustrierte Geschichte") erfüllt seinen exorzistischen Zweck: "Die erste Garde des deutschen Films" konnte offenbar erfolgreich davor bewahrt werden, in den Untergrund zu gehen. Martina Gedeck, die in einer Drehpause Ulrike Meinhof verteidigt hatte und sich von Bernd Eichinger in der Tradition Andreas Baaders anknurren lassen musste ("Hör auf, Martina, du bist in der Rolle"), ist am Ende geläutert: "Ich sehe mich stärker als Bürgerin dieses Staates."
Was bleibt? Es gibt keinen Fortschritt in der journalistischen Ethik. Der Spiegel macht mit seiner Titelgeschichte der Einfühlung Marketing für Eichingers neuen Erfolgsfilm. Und wir trösten uns bis zum Filmstart am 25. September mit Kinski: "Haben Sie schon mal Leute gefragt, die Al Capone spielen in Filmen und zweihundert Leute erschießen: Machen Sie das im Leben auch so?"
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