Tatort Noch ein tieferer Tiefpunkt als letzte Woche: Bremen legt mit "Brüder" eine astreine Verfilmung des beliebten Reaktionärenmantras "Das wird man ja noch sagen dürfen" vor
Den Witz versteht jetzt bestimmt keiner der Verantwortlichen, aber etwas verkürzt ließe sich sagen: Die Bremer Folge Brüder (RB-Redaktion: Annette Strelow, WDR-Redaktion: Dr. Götz Schmedes) benimmt sich auch deshalb so daneben, weil Köln, Ludwigshafen und die meisten anderen Schauplätze zur staatstragenden Wochenendbefriedung in der Regel einen Konformismus pflegen, der daran interessiert ist, dass man ihm nichts vorwerfen kann. Anschaulich wird das an einem Satz: "Vergesst mal das Multikulti-Gelaber, das ihr in der Polizeiakademie gelernt habt." Man muss "in der Polizeiakademie" nur durch "im Tatort" ersetzen, und fertig ist die Laube – wieder mal eine Gelegenheit, angeblich ungeniert "Kamelficker" sagen zu können.
In den erwartbaren Tatort-Anordnun
erwartbaren Tatort-Anordnungen, gegen die sich Brüder wendet, ist migrantisches Leben, wenn es vorkommt, zwar verdächtig, aber dann irgendwie doch nicht Täter – so weit hat es die deutsche Integrationspolitik über 35 Jahre nach Heinz Kühn gebracht (Dabei bestünde, seufz, der repräsentationspolitische Clou eben darin, Migration in sogenannten normalen Rollen zu performen). Exemplarisch für die Ausflucht wäre der legendäre Lena-Odenthal-DFB-Tatort zur Fußball-WM der Ladies. Da wurde zwar dauernd mit "Ehrenmord" gedroht durch die Ermittler, am Ende war's aber der herkunftsdeutsche Platzwart, der die Expansionspläne des Klubs in den Kommerz nicht in seine Vorstellungen von Vereinsarbeit integriert bekam.Die aufmerksame Zuschauerin wird freilich nicht überrascht sein, heißt das Autorengespann von Brüder doch Wilfried Huismann und Dagmar Gabler. Die sind in lebhafter Erinnerung durch ihren letzten Beitrag zum Bremer Tatort, der legendär-üblen Stasi-lives-Kolportage Schlafende Hunde aus dem Jahr 2010. Weinsztein hatte seinerzeit auf Huismanns Werdegang verwiesen, und natürlich steht es in der freien Welt jedem frei, seine Ansichten von links nach rechts zu verschieben.Seufz 2Es bleibt aber rätselhaft, warum die Öffentlichkeit unter dem Selbstrechtfertigungsdruck von einzelnen leiden sollte, wieso Huismann seine Vergangenheit nicht einfach bei sich zu Hause nicht mehr gut finden kann, statt Millionen Leute am Sonntagabend vom Gegenteil seines own private Ich-war-so überzeugen zu wollen. Immerhin kann man daran sehen, wozu "Tugendterror" vor allem gebraucht wird: um Diagonalkarrieren als zwangsläufig zu entschuldigen. Seufz 2.Perfide ist Brüder bis zum Schluss oder vor allem an diesem. Polizeiabiturient David (die bekloppteste Rolle, die man seit langem gesehen hat: poor Christoph Letkowski) bringt seinen Rachefeldzug bis ans bittere Ende, das heißt – "Hassan muss weg" –, er erschießt oder schießt zumindest sehr den "bösen Migranten" Hassan (Dar Salim) an. Dessen Bruder Mesut (Matthias Weidenhöfer) scheint als der "gute Migrant" sich in dieser Szene für seinen Schulfreund David zu entscheiden, den "richtigen Bruder".Dann kriegt Mesut vom siechenden Hassan aber die Thronfolge im Verbrecherclan geflüstert, und wie das bei Nidals aka Migrants so ist – es herrschen manners, als wär's das britische Königshaus. Folglich darf Stedefreund (Oliver Mommsen) in der letzten Szene ("Denkst du, was ich denke"), nachdem die Polizeistreife verzagt auf Zeit spielt und der Zuschauerin damit "So weit ist es schon gekommen"-Gemurmel souffliert, aussprechen, was das Hanebüchste vom Hanebüchenen ist: dass Vorzeige-Mesut sich erfolgreich kriminalisiert hat. So san's, die Ausländer mit ihrer Familienehre, das ist quasi genetisch. Nee, nee, nee, da gibt es schon so viele Drehbuchmitreder im deutschen Fernsehfilm, und dann geht der rassistische Dreck trotzdem unreflektiert durch.Puuuh 1Ein ganz klein wenig Verständnis könnte man für das Versäumnis aufbringen, insofern sich die Geschichte von Brüder bei der "'Blöd'-Zeitung" (Paul Stoever) nicht nur die Gesellschaftsanalyse leiht, sondern auch die Erzähllust: Es wird kurzatmig durchbehauptet. Also etwa: Das Superkronzeugenopfer schiebt hoffnungslos überkodiert im Rollstuhl Mitleid, und bevor es aussagt, schüttet ihm jemand Benzin über die Rübe. Der Richter muss in der Sauna nur einmal mitansehen, wie jemand den Aufgusslöffel auf den eigenen Kopf haut, zack, ist der handzahm wie die Katze von James Bonds Blofeld. Und die Fetischbraut aus der Speditionsbranche stöckelt auffällig gegen die Schublade, in der Tante Lürsen (Sabine Postel) und Steadyfriend suchen müssen, um polizeiliche Ermittlungen abzukürzen.Das Highlight an erzählerischem Raffinement ist aber der Polizeiabiturient David, der den Superplan zur Hassan-Erledigung ersinnt, allerdings nur bis zur Hälfte: Davids "Ich weiß es nicht" auf die Nachfrage von Mesut ist das Credo des Drehbuchs von Brüder: Hauptsache, die Ressentiments und Rassismen sind alle untergebracht, wie sich das entwickelt und zusammengehalten wird – keine Ahnung. Wird schon was passieren, und vorne hilft der liebe Gott. Aber dann diese Brausepulversentimentalität über den Dächern dick ausspielen (Kamera: Marcus Kanter) – puuuh 1.Dass es sich bei Brüder nicht um eine filmische Erzählung im strengeren Sinne handelt, ist in gewisser Weise Voraussetzung für die dargebotene Lynchjustiz-Ignoranz (auch geil, wie die bis in die Besetzung wirkt; dass der Vorwurf, schlecht deutsch zu sprechen, hier einer Figur gemacht wird, die ein Schauspieler spielt, der wegen seiner Herkunft einen dänischen Akzent im Deutschen hat, ist nicht ohne Ironie). Wenn man sich tatsächlich einmal für Milieus interessierte, von denen man zu handeln vorgibt, und nicht nur für Überlegenheitsgesten und fiese Blicke, dann würde sich so ein reaktionärer Schrott von selbst erübrigen.Man sollte diesen Tatort künftigen Drehbuchschülerinnen an deutschen Filmhochschulen zur Abschreckung vorführen: Wer jemals ähnlich zusammenhanglosen Murx schreibt, wird umgehend und auf Lebenszeit zur Pressespiegelerfassung aller noch erscheinenden Sarrazin-Bücher abgeordnet.Ein Frage, die nur der Odenthal-Kollege aus Ludwigshafen stellen dürfte: "Sind sie Herr Eisen?"Ein Graffito, das jedes Wohnzimmer schmücken würde: "The only good nation is imagination"
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