Mensch ärgere dich nicht!

Versprechen Die sehenswerte Ausstellung "Faites vos jeux!" der Berliner Akademie der Künste untersucht den homo ludens vom Dadaismus bis in die Gegenwart

Das Leben ist ein Spiel, dessen Spielregel Nr.1 lautet: Das ist kein Spiel, das ist todernst.
Alan Watts

Es gibt Ausstellungen, von denen man sich im Nachhinein fragt, warum nicht schon viel früher eine oder einer darauf kam, sie zu veranstalten. Die von Nike Bätzner kuratierte Ausstellung Faites vos jeux! - Kunst und Spiel seit Dada in der Berliner Akademie der Künste gehört zweifelsohne dazu.

Euphorisch versprach 1795 Friedrich Schiller seinem Leser, die Widersprüche von Individuum und Gesellschaft im Begriff des Spiels aufzuheben: "Um es endlich auf einmal herauszusagen," schrieb er in seinem fünfzehnten Brief über die Ästhetische Erziehung des Menschengeschlechts, "der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt." Im Spiel vereinige sich Pflicht und Neigung, Geist und Natur, Ethik und Ästhetik, hier eröffne sich ein "Reich der Freiheit".

Anfang der siebziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts durfte man sich diesem Ideal recht nahe fühlen. In Landkommunen und partizipatorischen Aktionen wurden die letzten ohnehin schon brüchigen Grenzen bürgerlicher Lebens- und Kunstformen spielend eingerissen. So entwickelte der 1928 in São Paulo geborene Öyvind Fahlström, prominent in Bätzners Ausstellung vertreten, bis zu seinem Tod 1976 anarchische Bildwelten, überdimensionierte Brettspiele, wie World Politics Monopoly oder Kidnapping Kissinger, die den Betrachter zum Mitspielen und darüber hinaus zum aktiven Eingreifen in politische Prozesse aufforderten. Die Fluxuskünstler George Maciunas und Allan Kaprow erklärten in ihren Happenings jeden Anwesenden zum Teilnehmer. Das Publikum war abgeschafft. Der gewohnt kontrollierte und geregelte Rahmen des Lebens wie der Kunst war damit verlassen. Auch in den körperbetonten Arbeiten Lygia Clarks oder den Aktionen eines Robert Fillious war die Enthierarchisierung von Künstler, Werk und Betrachter und dessen Intervention als Teil des künstlerischen Prozesses so weit gediehen, dass Produzent und Rezipient, Kunst und Leben im Spiel aufgehoben schienen.

Doch Schillers Steilvorlage traf nicht nur die Kunst, sondern auch die Sehnsüchte eines breiten bürgerlichen Mittelfelds. Kein Wunder, dass das Spiel eine ungebroche Konjunktur hat. Mehr denn je wird das Glücksversprechen der Gesellschaft vom ihm abhängig gemacht. Der entfesselte Neoliberalismus verlangt Einsatz und Risiko. Und auch wenn die Spaßgesellschaft politisch-programmatisch vorerst abgewirtschaftet scheint, führt sie ihr Unwesen zwischen Ego-Shootern und Gotcha-Schlachten, Lottomillionen und Fußballwette subkutan und zugleich unverschämt offen fort. Die US-Ökonomen Thomas Schelling und Robert Aumann erhielten für ihre Spieltheorie den Wirtschaftsnobelpreis 2005, und im Sommer widmete das Dresdner Hygienemuseum dem Phänomen "Spielen" eine eigene Ausstellung.

Wie Öyvind Fahlström nutzen Künstler heute einerseits das subversive Potential des Spiels. Sie halten den Betrachter auf Distanz. Der junge Mexikaner Gustavo Artigas oder die Berlinerin Monika Brandmeier - zwei weitere Künstler der Ausstellung - reagieren mit Videoarbeiten spielerisch auf Segregation und schiefe Machtverhältnisse. So lässt Artigas an der Grenze zwischen den USA und Mexiko ein Basketball-Turnier durchführen, Brandmeier ein Kinderzelt mit dem Wind durch eine israelische Siedlung in der Negev-Wüste tanzen. Andererseits findet man affirmative Positionen wie die von Feng Mengbo zu Computerspielwelten, die auf Überwältigung setzen, oder Pippilotti Rist, die unter dem Deckmäntelchen des subversiven Spiels Marktkonformes bietet.

Es schien also längst an der Zeit, das prekäre Verhältnis von Spiel und Kunst in der Moderne bis in die Gegenwart genauer zu beleuchten. Dazu bietet Faites vos jeux! - weit davon entfernt enzyklopädischen Überblick geben zu wollen - nun Gelegenheit. Die Metapher vom Spiel mit dem Auge des Betrachters gilt seit der Antike als gängiger Topos der bildenden Kunst. Illusionismus und Repräsentation der einen Welt in der Sphäre einer Anderen, der Malerei, sind an bestimmte Spielregeln, die Regeln der Kunst gebunden, die sich zwischen Sein und Schein aufhalten und keinem diskursiven Wahrheitsbegriff unterworfen sind. War die künstlerische Produktion im 20. Jahrhundert von ihrer Repräsentationsfunktion entbunden, konnte sie sich auch als Spiel entfalten. Der Künstler, der Produzent, zeigte sich in verschiedenen Rollen, als Spieler, als Animator, sein Werk als Produkt des Spiels. Mit Marcel Duchamps Monte Carlo Obligation (1924) ist gleich zum Auftakt der Ausstellung der Künstler zitiert, mit dem sich parallel zum Dadaismus - Hugo Ball, Kurt Schwitters, Hans Arp und Hannah Höch sind hier präsentiert - einerseits das Spiel des Künstlers mit unterschiedlichen Rollen und andererseits das Kunstwerk als Spiel produktiv auffächert.

Von Duchamps weiblichem Alter Ego Rose Sélavy, mit dem er die Obligation signiert, führt ein direkter Weg zu den regressiven Selbstinszenierungen eines Paul McCarthy oder den performativen Maskenspielen einer Cindy Sherman. Duchamp öffnete hier jenseits von Theater und Vaudeville, Film und Sendeanstalt ein weites Reich der Selbstinszenierung und Selbstprüfung.

Eine Rolle des Künstlers ist die Figur des Spielers selbst, ob Duchamp als Schachmeister inszeniert oder Alexander Calder als Miniaturzirkus-Direktor, wie er sich rührend in einem Farbfilm aus dem Jahr 1961 zeigt. Das Spiel als produktives Prinzip schlägt sich bei beiden, der "Boîte en valise" bei dem einen, den monumentalen Mobiles bei dem anderen unmittelbar nieder. Duchamps Schachtelmuseen wie Calders noch so monumentale Skulpturen bewahren immer den Rest an Naivität, der dem Spielzeug eigen ist, Jean Tinguelys und des Künstlerpaars Fischli autodestruktive Systeme die anarchische Negativität des Kinderspiels.

Doch spätestens mit den in der Ausstellung zahlreich präsentierten Schachspielen von Arnold Schönberg bis Takako Saito wird die Grenze zwischen Spiel und Kunst deutlich. Ließe man sich hier auf den Ernst des angebotenen Spiels ein, hielte man sich an seine vorgeblichen Regeln, wäre man schnell frustriert. "This is not a game" kritzelt Robert Filliou an Magritte erinnernd auf eine seiner 24 mit Klötzchen und Anweisungen wie zum Spiel bereiten Spanplatten. Ob Fillious Spielfeld, Maciunas zerknautschte Tischtennisplatte oder Carsten Höllers Liebesschaukeln, sie alle dementieren ihre Regeln und damit ihre Glücksversprechen, sobald man sich darauf einlassen wollte. Erst, wenn man ihren permanenten Regelverstoß und damit ihren außerspielerischen Überschuss begreift, wie er in der Arbeit von Roland Stratmann auf der Suche nach Mona Lisa direkt thematisiert wird, kommt man hinter ihr produktives Potential, ihre produktive Kraft. Der Rezipient, dem als bloßer Mitspieler die Reflexion auf sein eigenes Tun genommen wird, wird zum Komplizen und Konsumenten degradiert. Die Kunst als rein spielerisch-partizipatives Ereignis verstanden, verkauft sie an Eventkultur und Spektakel. Spätestens hier gilt für den Künstler und die Kunst: "Rien ne va plus!"

Faites vos jeux! - Kunst und Spiel seit Dada, bis 1. Januar 2006 in der Akademie der Künste, Berlin. Vom 12. Februar bis 7. Mai 2006 Museum für Gegenwartskunst Siegen, von Juni bis September 2006 Cobra Museum of Modern Art, Amsterdam. Katalog, Verlag Hatje Cantz, Stuttgart-Ostfildern 2005, 222 S., 34 EUR


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