Eine Hängematte ist eine Hängematte. Im dämmrig erleuchteten Lichthof des Martin-Gropius-Bau hat der mexikanische Künstler Francis Alÿs eine solche aufhängen lassen. Das object-trouvé verweist auf ein Glücksversprechen: Ihr sanftes Hin und Her wiegt einen in erfüllter Zeit. Es verweist aber auch auf Rückständigkeit und Entbehrung - nur Seemänner und Bewohner von Elendsquartieren haben kein Bett.
1982 hing hier Joseph Beuys´ gewaltiger Blitzschlag mit Lichtschein auf Hirsch von der Decke. Seht her, scheint nun der Gegenstand zu sagen, hier kommt eine neue, leisere Kunst, ephemer, doch auf den Raum bezogen und seiner Geschichte bewusst.
Neben der Mexikanerin Teresa Margolles und dem Spanier Santiago Sierra gehört der im belgischen Antwerpen geborene Francis Alÿs, der gerade den höchstdotierten deutschen Kunstpreis, den blue-orange-Preis der deutschen Volks- und Raiffeisenbanken erhielt, mittlerweile zu den bedeutendsten Künstlern Mexikos.
Alle drei verbindet die direkte Auseinandersetzung mit den prekären Lebensverhältnissen des Landes. Alle drei haben sich auf unterschiedlichen Wegen von der parteilichen Bilderwelt eines Diego Rivera oder David Siqueiro verabschiedet - kaum aber von deren kompromissloser Haltung. Doch während Margolles und Sierra mit Pathos und Schock den Ikonologien des Sozialen zu Leibe rücken, setzt Alÿs auf deren diskrete Transformation.
Als Künstler sieht sich Alÿs zuerst als ein Akteur, der - einem mexikanischen Sprichwort abgelauscht - nach dem Prinzip des "el hacer, sin hacerlo"; etwas tun ohne etwas zu tun; verfährt. Er ist zuerst Beobachter und Erzähler: Wie das Weberschiffchen die Schussfäden - hin und her - mit den vertikalen Kettfäden zu einem Teppich verknüpft; verbindet er das Geschehen seiner Umgebung zu eigensinnigen Geschichten.
Seine Arbeiten wirken wie Gesten der Diskretion, flüchtige Zeichnungen, Figuren, irgendwohin unterwegs. Sie wiederholen sich in kleinformatigen Gemälden, maschinen- und handgeschriebene Notizen, Skizzen, Fotos, Hunde, Obdachlose, fliegende Händler, gefilmte Alltagsszenen, eine Plastikflasche auf der Straße, Videoinstallationen in denen sich der Straßenlärm mit der Musik der mexikanischen Mariachi-Bands mischt. Jede seiner Arbeiten scheint in einem transitorischen Moment, jede deutet auf ein Anderes hin, will zu Ende geführt, zu Ende erzählt werden. So verweisen die Zeichnungen, Fotos, Videos immer auf den schöpferischen Akt, die künstlerische Aktion, deren Geschichte der Betrachter zu erneuern hat.
Das Material aus dem Francis Alÿs seine Geschichten formt ist die 25-Millionenmetropole Mexico City. In ihrem historischem Zentrum unweit des zentralen Hauptplatzes Zócalo lebt Alÿs seit vielen Jahren. "Die Straße wird zur Wohnung für den Flaneur", schreibt Walter Benjamin. Die Straße wird zum Atelier für den Künstler. Er durchmisst London, Kopenhagen, New York und Mexico City in langen Spaziergängen. "Als Künstler gleicht meine Haltung der eines Passanten, der sich dauernd in einer bewegten Umgebung befindet." Aus dem Umherschweifen, dem dévire, zieht er seinen Stoff, der den Alltagstrott ins Stolpern bringt. Das kann so aussehen: In London trägt er ein Bild durch die Straßen um es einer Galerie zuzuführen, wo es zugedeckt wird, in Kopenhagen nimmt er täglich eine neue halluzinogene Droge ein und versucht damit durch die Stadt zu kommen, in New York läuft er mit einem Stöckchen ausgerüstet systematisch die rechtwinkligen Häuserblöcke ab, um zu testen, welche Geräusche damit zu entlocken sind.
Das Schlagwort der "Lettristen": "Unter dem Pflaster liegt der Strand!", man könnte auch sagen: das Fremde im Alltag, ist in Alÿs psychogeographischer Praxis virulent. Doch während Guy Debord 1964 unter weitgehendem Ausschluss der Kunst die bewusste Herstellung von Situationen gefordert hatte, erlaubt für Alÿs gerade die Kunst eine situationistische Praxis. Sie vermag die Chiffreschrift des zwanghaft Alltäglichen zu entziffern und nachhaltig zu unterminieren.
Francis Alÿs reflektiert in seinen Arbeiten sehr genau das Verhältnis von Aktion und Dokumentation, Unmittelbarkeit und Vermittlung und knüpft darin bewusst an Bruce Nauman an, der in den späten sechziger Jahren bei der Frage nach dem Status und der Realität von Kunst zunächst davon ausging, dass alles, was in einem Atelier stattfinde, Kunst sein müsse und in seinem Ladenatelier konsequent alltägliche Verrichtungen und ritualisierte Handlungen auf Video aufzeichnete. Dagegen erklärt Francis Alÿs das ritualisierte Umherschweifen in der Stadt zu seiner künstlerischen Arbeit.
Seine vielleicht spektakulärste Videoarbeit Re-enactment, stellt die Frage nach der Unmittelbarkeit der Arbeit des Künstlers. 1971 ließ sich zur Beantwortung dieser Frage der Performer Chris Burden in der Perfomance Shoot vor laufender Kamera in den Oberarm schießen. Einem vergleichbaren Risiko sich aussetzend, kauft sich Alÿs von einem kamerabewehrten Freund 1997 in Mexico City - jeder dritte soll dort angeblich eine Schusswaffe tragen - eine Baretta, lädt sie und strolcht damit durch die Straßen, bis er nach knapp zwölf Minuten Laufzeit von der Polizei festgenommen wird. Denselben Gang, diesmal mit der Ordnungsmacht verabredet, unternimmt er dreifach observiert am selben Tag. Natürlich lässt sich beim gleichzeitigen Abspielen des Filmstreifens nicht nachvollziehen, welche der beiden Versionen für den realen und welcher für den inszenierten Vorgang steht.
In Alÿs Videoinstallation zum Zócalo geht es subtiler zu. Dort übertragen große Lautsprecher die Geräusche des Platzes, ab und an hört man die Glocken der nahen Kathedrale, Autohupen, Rufe zu zwei Video-Loops in den Ausstellungsraum. Mit seinem Partner Rafael Ortega filmte er vom Dach eines Hotels zwölf Stunden lang mit starrer Kamera einfach das Geschehen auf dem der staatlichen Repräsentation gewidmeten Platz. Die Menschen verlieren sich dort wie kleine Spielfiguren. Da der einzige Schatten von einem gewaltigen Fahnenmast in der Mitte des Platzes kommt, suchen dort viele Schutz vor der sengenden Sonne. So rückt die aufgereihte Menge mit Sonne und Schatten über den Platz.
In einem zeitgleich gezeigten Videofilm sieht man einen Mann Schafe um denselben Masten führen. Immer wieder kommt ein neues Tier dazu bis der Kreis sich schließt und nicht mehr auszumachen ist, wer hinter wem herläuft. Man braucht die Geschichte der dort vor Jahren abbestellten Staatsdiener nicht zu kennen - sie stimmten Schafsgeblöke an, statt wie von der Obrigkeit erwartet, zu jubeln -, um sich einen Reim auf die Bilder zu machen. Sie überlagern sich und entziehen sich den Eindeutigkeiten. Denn für das Bild interessiert sich Alÿs nur in dem Maße, wie es etwas zu auszulösen vermag, was zwischen den Bildern stattfindet. Bildhaft gesprochen: es geht ihm um das Hin und Her dazwischen - die Hängematte eben.
Francois Alÿs: Walking Distance from the Studio. Kunstmuseum Wolfsburg bis
28. November, Katalog 19 EUR
Ensayo I" / "Rehearsal I" Martin-Gropius-Bau, Berlin noch bis zum 18. Oktober, Katalog 19 EUR
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.