Am 21. Mai 1974 transportierte ein Einsatzwagen des Roten Kreuz den in Filzdecken gewickelten Joseph Beuys vom John F. Kennedy-Flughafen in die New Yorker Galerie René Block. Eine Woche lang sollte Beuys den Ausstellungsraum mit einem Kojoten teilen. Hinter einem Maschendrahtgitter entwickelte sich auf den nackten, mit Stroh und Tageszeitungen ausgelegten Bohlen zwischen ihm und dem ungezähmten Tier ein faszinierend opakes Ritual, dessen einzige Vorgaben in der Konfrontation der Lebewesen, dem Ort und dem Zeitrahmen, sowie in den Requisiten - Filzdecken, einer Triangel, einer Taschenlampe und Beuys´ Spazierstock - bestanden. Eine künstlerische Arbeit an der Grenze: Von Caroline Tisdalls auf Video und Fotografien festgehalten, stellt Joseph Beuys´ Aktion einen H
#246;hepunkt der Perfomativen Kunst dar, die ihren Ursprung Ende der fünfziger Jahre aus einer Erweiterungsbewegung der Bildenden Kunst genommen hat. Die Faszination dieser Arbeiten verdankte sich wesentlich dem Umstand, dass nichts dargestellt, nichts repräsentiert wurde, keine Referenz innerhalb der künstlerischen Praxis gegeben war, außer einem fernen Verweis auf den Ursprung jedes menschlichen Ausdrucks, der schamanischen Praxis. Spätestens mit Catherine Davids Documenta X sind die Strategien und acts der sechziger und siebziger Jahre und ihre Kontinuitäten bis in die gegenwärtigen Formen der performativen Inszenierungen hinein wieder ins Bewusstsein einer größeren Öffentlichkeit gerückt. Museen, Galerien und Kreativlabors wie das Berliner Podewil bemühen sich um diese ephemere Kunst, die sich an der Grenze der Gattungen und Ausdrucksformen aufhält. So war es zugleich verdienstvoll wie überfällig, dass in diesem Jahr das Berliner Haus der Kulturen der Welt das Festival In Transit etablierte, das unter der Leitung des Singapurer Performers Ong Kang Sen für über zwei Wochen eine Plattform für die außereuropäische Performing-Art Szene bot. Neben den Auftritten sollte den über 150 eingeladenen Künstlern ein meist spielerischer Austausch über ihre Arbeit, ihre soziale Situation wie deren politisches Selbstverständnis ermöglicht werden. Begleitet wurde dieses Programm von öffentlichen Vorträgen und Diskussionen, die der Frage nach Übersetzbarkeit und Transformation unterschiedlicher kultureller und sozialer Erfahrung nachgingen. Dabei zeigte sich die große Bandbreite theatralischer und performativer Formen und Strategien, wobei die eindrücklichsten Arbeiten jene waren, die auf konventionelle Darstellung und Verdoppelung ihrer Erzählung in der Umsetzung verzichteten und so die Grenze zwischen Kunst und Leben, Medium und Wirklichkeit, Erinnerung und Präsenz aufzuheben verstanden. Dies galt in besonderem Maße für die Eröffnungsveranstaltung Beyond the Killing Fields der Gruppe Theatre Works um den Festivalleiter Ong Keng Sen, eine dokumentative Inszenierung, die gleichermaßen von der Authentizität ihrer Akteure wie dem überzeugenden Einsatz von Livemusik, neuen und traditionellen Medien lebte. Beyond the Killing Fields erzählte die Geschichte der heute im hohen Alter stehenden Em Theay, die als junge Frau Tänzerin am kambodschanischen Königshof war und als einzige Tanzkünstlerin den Terror des Pol-Pot-Regimes überlebte. Die Inszenierung lässt ihr den Raum in ihrer Sprache und mit ihrem Tanz zu sprechen. Keine Übersetzung stört den ruhigen, würdevollen Fluss der Erzählung - dem Publikum wird das Manuskript zum Mitlesen beigegeben. Es ist eine Gratwanderung: Betroffene erzählen auf der Bühne von ihrem von der Politik und den Medien längst vergessenen Schicksal, Entbehrung, Vertreibung, Tod, doch die theatrale Form bietet hier die Möglichkeit, sich überhaupt zu äußern und andere daran teilhaben zu lassen. Man hatte zuvor das Land bereist, hatte gemeinsam Orte und Menschen aufgesucht, die nun über Video eingespielt wurden. Diese Dokumentationen wechselten mit Spielszenen ab, in denen sich die Akteure verwandelten, in neuen Haltungen und Ausdrucksformen auftreten konnten: Die Flucht aus dem berüchtigten Lager Battambang wurde mit einem gewaltigen, aus gegerbten Kuhhäuten geschnittenen, traditionellen Schattenriss taumelnd tanzend an Stäben getragen auf die Videoleinwand geworfen, auf der zuvor noch nicht nur dessen Herstellung, sondern auch die makaberen Zeugnisse des kambodschanischen Genozides gezeigt wurden. Die südostasiatische Gruppe Theatre Works hat einen Ausdruck gefunden, der sich in der Aufführung zu generieren schien. Sie erzählte mit ruhigem und beharrlichem Tempo ihre Geschichte. Sie ließ uns an deren Genese teilhaben, wodurch eine Präsenz des Gezeigten jenseits der Bebilderung erreicht wurde. Die Konstitution von Bedeutung jenseits der gängigen Repräsentations- und Kommunikationsmuster stellt das explizite Thema des in Singapur lebenden Matthew Ngui dar, der mit seiner Videoinstallation die Wahrnehmung der eigenen Bewegung vom gewohnten Raum-Zeitgefüge trennte, indem er die Aufnahmen zweier sich gegenüberstehender Videokameras an den Seiten einer Stellwand in ein einheitliches Bild projizierte: Der Betrachter sah sich gleichzeitig in zwei Raumsituationen, die zusätzlich dadurch verfremdet wurden, dass sich durch die Projektion ein vorher in der Stellwand nicht sichtbarer blauer Kreis scheinbar vor das Videobild legte. Stellte Nguis Arbeit, in der sich Körper und Bewegung des Betrachters im Bild gleichsam fragmentierten und neu zusammensetzten, den einen Weg des Spiels mit Identitäten, Präsenz und Repräsentation dar, so fand sich der entgegengesetzte in den introvertierten Arbeiten des Brasilianers Michel Groisman. Auch er bezieht seine Zuschauer direkt ins Spiel ein. Doch er verlangt den Rezipienten seiner Performances eine gleichsam mimetische Anverwandlung ab. Er ließ seine Betrachter beispielsweise in Paaren mit den nackten Füßen zusammenbinden, so dass sie während seiner extrem verlangsamten Acts, in denen er seinen mit Apparaturen versehenen Körper gleichsam als lebende Skulptur an die physischen Grenzen führte, zu einer veränderten Rezeptionshaltung gezwungen waren. Was entfernt an die Aktionen von Stellarc, Günter Brus und Vitto Aconci, Performer der siebziger Jahre, oder Lygia Clarc und Hélio Oiticica, einst wie heute Groisman in Rio lebend, erinnern mochte, fand hier seine ganz eigene irritierende Geste. Die traditionellen Rituale des Indigene-Stammes aus dem Amazonasgebiet zogen die Aufmerksamkeit allein schon dadurch auf sich, dass sich hier eine hermetische, in sich geschlossene kulturelle Praxis präsentierte, die sich beharrlich jeder Transformation verweigert. Mit zwei Tanzstücken der ostafrikanischen Gruppe Companie Rary aus Madagaskar verabschiedete sich In Transit am vergangnen Wochenende. Ihre ganz eigenwillige, hochkonzentrierte Körpersprache, die ohne musikalische Begleitung aus langen Pausen heraus Bewegungen und Begegnungen fand, die Alltägliches verrückten und transzendierten, entfaltete einen ganz eigenen Geist. Dieser Eigensinn war auch in der beeindruckenden Erscheinung des kurz vor seiner Hinrichtung auf Robbin-Island (Island) begnadigten Dum Kumalo, einer der Sharpville-Six, zu spüren. Dessen Geschichte ging jedoch in der theatralischen Verdoppelung und den konventionellen Darstellungsmustern unter. Enttäuschend geriet auch die Paarung der Berliner Tanzkompanie Rubato mit der chinesischen Tänzerin Jin Xing, der als erster offiziell transsexuellen Chinesin Medienaufmerksamkeit sicher war. Mehr als das Abrufen gängiger Gendermetaphern war ihnen nicht gelungen. Man setzte zu sehr auf das Spektakel. Als sich Beuys zu seinem Kojoten transportieren ließ, ging es ihm kaum um die spektakuläre Konfrontation mit dem Tier, vielmehr um die anarchistische Transformation der eigenen Setzung im Geist des Kojoten.
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