Nimmt man den Weg zum Teatr Studio auf sich, einer kleinen deutsch-polnischen Bühne, kommt man an riesigen gläsernen Fassaden vorbei und an grauen Klötzen. Es ist einer der wenigen Orte in Berlin, an denen man sich klein und fremd fühlt. Nur wenige Menschen verlieren sich abends in diese Gegend. Durch eine Gewerbeeinfahrt gelangt man zu der privaten Schauspielschule, die Janina Szarek und ihr Mann, der Professor Olav Münzberg vor elf Jahren gegründet haben, und die auch Theater ist. Das Schild der Schule ist neben dem beleuchteten Schild einer Möbeldesignfirma kaum zu erkennen. Ein junges Mädchen fragt leise: „Wollen Sie zum Theater?“ Später wird sie auf der Bühne stehen, als eine der Schauspielerinnen in dem Stück Pfannkuchen Schweine Heiligenscheine. Es handelt von der Identitätskrise einer polnischen Migrantin bei ihrer Ankunft in Deutschland. Genauer gesagt leidet diese unter einer schizoiden Persönlichkeitsstörung.
Migranten in Berlin – man muss nicht ans Maxim-Gorki-Theater, um sie auf der Bühne zu erleben. Die Idee zu dem Stück hatte die Theatergründerin, die auch inszeniert hat. Das Leben kommt auf die Bühne. Und die Autorin des Stücks, auch eine eingewanderte Polin, zehrt von ihren eigenen Erfahrungen, sie macht die Ichs ihrer Vergangenheit zu literarischen Figuren. Aber ist Migration wie Schizophrenie, ein ständiger Wechsel zwischen den verschiedenen Persönlichkeiten?
Klischee Karstadt
Während das Spiel auf der Bühne an Fahrt aufnimmt, sucht man die Reaktionen des Publikums. Aber da sucht man vergebens. Dieser Aufführung im Stil eines Kammerspiels wohnt man nur zu sechst bei. Die jungen Schauspieler scheut das nicht, ihre Spielweise ins Groteske zu steigern. Die verwirrte Polin, die Hauptfigur, taumelt durch ein Berlin der Klischees. Karstadt, Mercedes, die deutsche Autobahn. Soll das etwa lustig sein? Lauter Stereotype. Aber sie kommen aus einer vergangenen Zeit. Nicht jeder hat einen Bezug dazu. Gespielt wird an diesem Abend auf Deutsch, die Studenten sind Deutsche. Aber immer wieder kommen polnische Texte mit Emphase aus dem Off: Janina Szarek kommentiert die Geschichte auf der Bühne, die letztlich zu ihrer eigenen wird, auch wenn sie dort nicht zu sehen ist.
Es ist ihre Geschichte und die anderer polnischer Migranten, die dort verhandelt wird. Als Janina Szarek 1981 aus Polen nach Westberlin kam, wollte sie eigentlich nicht für immer bleiben. Doch dann wurden die Fronten härter, und sie konnte sich eine Rückkehr ins kommunistische Regime nicht vorstellen. Szarek bekam als eine der wenigen Polinnen in Deutschland eine Arbeitserlaubnis. „Was können Sie, was andere Deutsche nicht können?“, wurde sie beim Arbeitsamt gefragt.
Sie habe Kenntnis von der Stanislawski-Methode, erklärte sie, und wurde Expertin fürs Method Acting. Nun unterrichtete sie Deutsche im Schauspiel, anfangs mit Dolmetscher. Das Mitleid und das Interesse, das man in diesen Jahren für geflüchtete Polinnen hatte, erzählt sie, schlug nach der Wende schnell ins „Klischee eines Bauern- und Diebe-Landes“ um. Die Deutschen schienen die Polen nicht mehr zu brauchen – das habe sie verletzt. Szarek traute sich nun nicht mehr, Polnisch zu sprechen. Sie suchte nach ihrer künstlerischen Identität. Dann hat sie das kleine Theater gegründet. Einen Ort, an dem sie handeln kann, und Vorurteile bekämpfen will. „Man wusste in Deutschland so wenig über polnische Geschichte“, sagt sie.
Strategie Satire
2004 trat Polen der EU bei. Die politische Lage des Landes hatte sich entspannt, viele der Einwanderer waren Deutsche geworden oder sie richteten sich ein in ihrer Doppelidentität. Mittlerweile ist die polnische nach der türkischen die zweitgrößte Community in Berlin, um die 45.000 Polen leben in der Hauptstadt. Aber man sieht sie kaum, als seien sie so assimiliert, dass sie unsichtbar geworden sind. Eine Frage stellt man sich während des Abends immer wieder, und sie hinterlässt ein schales Gefühl: Worin besteht für einen polnischen Migranten seine Identität? In der Inszenierung vorn auf der Bühne springt er mit Anlauf durch den Eisernen Vorhang. Und dann? Diese Frage treibt auch die polnische Kulturwissenschaftlerin und Autorin des Stücks, Brigida Helbig, um. Sie entwirft Archetypen wie den Märtyrer, Bösewicht, Narren oder Träumer. Rollen, um die Fremdheit zu überwinden.
Das Sich-zum-Narren-machen, sagt Brigida Helbig, sei die beste Methode für ihre polnischen Landsleute, sich anzupassen. Über den Weg der Ironisierung gelinge es, Fremdsein in die eigene Identität zu integrieren. Etwa beim der Club der Polnischen Versager, ein Berliner Kabarett in der Berliner Mitte, das sich mit Humor den Klischees der eigenen und der Gastkultur widmet und mit Polen-Folklore brechen will. Diese Haltung wurde in der kulturellen Untergrundbewegung der 80er-Jahre geboren, man wollte damals die Absurditäten des Systems aufzeigen.
Die Kinder der Einwanderer sind in einer anderen Welt groß geworden, in der sich die Identitäten vermischen, in der sie längst nicht mehr die „exotischsten“ sind. Nur manchmal, sagt die Autorin, konstituiert sich die Fremdheit noch über das Aussehen. Mancher Pole werde sogar aufgrund dunkler Haare oder Augen mit einem Türken verwechselt und Opfer rassistischer Bemerkungen. Muss man als Pole immer noch eine Maske aufsetzen? Sich selber auf die Schippe nehmen? Schwach zeigen? Ist Satire – wie im Stück vorgeführt – die einzige Strategie?
Beim Verlassen des Theaters, zurück in der Berliner Kälte, geht man vorbei an den geschlossenen Fassaden der Technischen Universität. Die Abgeschiedenheit des Orts wirkt jetzt noch drastischer. Es bleibt ein mulmiges Gefühl. Wenn Integration nur über Verharmlosung oder die Selbstironisierung von Klischees, Herkunft und Eigenschaften gehen soll, dann ist es womöglich gar keine.
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