Himmel und Hölle

Fernsehen Die Sendung „Promi Big Brother“ versteht sich als soziales Experiment. Was sagt das über den Zustand unserer Gesellschaft aus?
Ausgabe 35/2014
Himmel  und Hölle

Bild: Sat1

Natürlich habe ich Promi Big Brother nur wegen Ronald Schill eingeschaltet, als es vergangene Woche losging. Schill, wir erinnern uns: Ein Rechtspopulist, der in Hamburg als Richter und als Innensenator eine harte Linie fuhr, mit seinem Law-and-Order-Getue in unseren Kreisen erst verhasst war, dann verspottet wurde. Mit „harter Linie“ verbindet man heute primär seinen Kokskonsum, den ein Video dokumentiert, das man sich ruhigen Gewissens anschauen kann, da Schill davor auch noch versucht hatte, Ole von Beust wegen seiner Homosexualität zu erpressen. Schill wurde entlassen und ging nach Brasilien. Unterste Schublade, der Mann.

Nun war er Kandidat bei Big Brother, einem Format, dessen Ruf nicht viel besser ist als der von Schill. Die Bild-Zeitung, die seine politischen Ideen – Kastrierung von Sexualstraftätern, Bestrafung der Eltern von straffälligen Kindern – seinerzeit aufmerksam verfolgt hatte, berichtete nun fasziniert von seiner Sexsucht, die er mit den anderen Kandidaten im Big-Brother-Haus erörterte („bei 1.000 habe ich aufgehört zu zählen“). Die Bild-Zeitung ist der Medienpartner der Show, man sollte ihr also weder vorwerfen, dass sie so viel über die Show berichtet, noch dass sie den Kandidaten auf seinen mächtigen Trieb reduziert. Aber Schill, das zeigte sich bald, ist mehr, ist einer, der sich und uns nicht über seine Charakterschwächen hinwegtäuschen will, ein recht sympathischer Unsympath also. Wenn er sagt, dass sein Platz „unten bei den Elenden und Verdammten“ sei, spricht er wie ein poète maudit, ein verfemter Dichter, nur dass er anders als Wolf Wondratschek – Carmen oder Bin ich das Arschloch der achtziger Jahre – kein Werk vorzuweisen hat.

Irgendwie prominent

Um zu verstehen, was Schills Sympathie für die Elenden und Verdammten bedeutet, muss man das Format erklären. Die zweite Staffel von Promi Big Brother spielt in einem Haus mit zwei Sphären. Oben ist es luxuriös und luftig, es gibt Champagner und Biofleisch. Unten ist es düster und schmutzig, es gibt wenig zu essen, Körperpflege ist nur eingeschränkt möglich. Zwölf Kandidaten und Kandidatinnen waren es zu Beginn der Show, alle irgendwie prominent, sechs oben, sechs unten. Die beiden Sphären sind durchlässig, jeden Tag können die oben einen von unten hochholen. Umgekehrt wählt das TV-Publikum einen von oben nach unten, das kann dieselbe Person sein, die gerade hoch durfte, man muss auch ein wenig die sadistischen Bedürfnisse des Publikums befriedigen, aber das ist nicht der primäre Zweck der Show.

Diese Zweiteilung des Hauses ist neu. Bis dato wurde das Format von der Kritik verachtet, weil es Menschen dazu treibt, ihr Intimleben vor uns auszubreiten. Zwar spielte Big Brother auf Orwells Roman 1984 an, kappte aber dessen düstere Vision eines Überwachungsstaats und stand als zynische Chiffre für den Voyeurismus unserer Gesellschaft. Die Sendung war erfolgreich, aber anders als dem Dschungelcamp gelang es ihr nicht, sich als legitimes soziales Experiment zu etablieren. Später wich die Kritik einer gewissen Gleichgültigkeit, die Quoten waren mal besser, mal schlechter, im Moment sind sie sehr gut.

Nun ist ein Haus mit einem feudalen Erdgeschoss und einem feuchten Keller gewiss keine filigrane Metapher für unsere Klassengesellschaft, aber Sigmund Freuds Modell vom Über-Ich, Ich und Es ist auch keine besonders komplexe Vorstellung der menschlichen Psyche. Dafür eben eine anschauliche und erfolgreiche. Dito Promi Big Brother – Das Experiment, so der vollständige Titel. Die Gespräche der Kandidaten kreisen um dieses Oben und Unten. Wer hat es verdient, dass er nach unten fällt? (Keiner.) Wer, dass er wieder nach oben kommt? (Eigentlich alle.) Berührend, wie selbstlos die Kandidaten sich in diesen Tagen gaben. Nach oben sollte kommen, wem es unten erkennbar schlecht ging wie etwa Alexandra Rietz, der TV-Kommissarin, oder wer schon lange dort war wie Aaron Troschke, der Unternehmer und Kandidat bei Wer wird Millionär? Unten bleiben sollte eigentlich nur der Wendler, und der auch nur, weil der Schlagersänger seine Anwesenheit im Haus ausdrücklich als Selbstbestrafung für seine Flucht aus dem letzten Dschungelcamp versteht. Besonders selbstlos zeigte sich Mario-Max zu Schaumburg-Lippe. Der Jurist war geradezu vom Gedanken beseelt, anderen zu helfen. Vor ein paar Tagen wurde er nach Hause geschickt. Seit ein paar Tagen können die Kandidaten nämlich auch ganz rausgewählt werden. Für manchen mag diese Befreiung einer Bestrafung gleichkommen, weil so die Chance auf die 100.000 Euro Siegergeld vertan ist, aber Mario-Max sollte nach Hause gehen, um seine Beziehung zu retten. So die Überlegung der Freunde. Auch hier nur Gutes.

Nuancen gab es im Empfinden der Privilegien. Während Max sein schlechtes Gewissen durch Charity zu beruhigen versuchte, sprach der ehemalige Bachelor Paul Janke von seiner „Scham“, auf der Sonnenseite des Lebens zu stehen; Ronald Schill nominierte ihn dann nach unten: der „Schönling und von der Damenwelt Begünstigte“ habe einen Dämpfer verdient. Die Boshaftigkeiten im Haus halten sich aber in engen Grenzen. Selbst eine Claudia Effenberg, bei der man einen Hang zur Intrige nicht ausschließen mag, verhält sich brav, und Liz Baffoe, bekannt aus der Lindenstraße, wurde von den anderen zum Rausvoten nominiert, weil sie sich erkennbar zu wenig in die Gruppe integriert hatte, wie vor allem Paul betonte. Außerdem hatte sie Geld als Grund für ihre Teilnahme nicht geleugnet. So etwas kommt nicht gut an und wiegt den naheliegenden Vorwurf des Mobbings wieder auf. Nicht zu überbieten allerdings Hubert Kah, der Neue-Deutsche-Welle-Oldie. Kah leidet unter Depressionen, nimmt ein Medikament, darf länger schlafen und muss nicht an den „Challenges“ teilnehmen, mit denen die oben denen unten zu mehr Nahrung verhelfen können. Weil ihn diese Privilegien belasten, kann er sich vorstellen, das Haus zu verlassen. Zum Zeitpunkt der Niederschrift dieses Artikels ist unklar, ob er rausgewählt wird. Die einen wollen ihn raushaben, um ihm zu helfen, die anderen wollen ihn behalten, weil er ein Freund geworden ist. Die Show dauert noch bis Freitag.

Die Sorge um sich selbst

An dieser Stelle muss man über die Grenzen des Experiments sprechen. Zwar sind sich die Teilnehmer über ihre gesellschaftliche Lage im Klaren und verschwenden viel Gedanken auf die soziale Mobilität, dennoch deutet sich ein politisches Bewusstsein nur selten an, etwa als das Dessousmodel Janina Youssefian ihren Unmut über die Verhältnisse in einer Art Hass-Rap äußerte. Diese Verhältnisse zu ändern oder wenigstens Reformen anzumahnen, käme aber keinem in den Sinn. Obwohl sie viel Zeit haben und viel Sinnloses erfahren, wird das System nicht hinterfragt. Stattdessen treibt die Kandidaten zunehmend die „Sorge um sich selbst“ (Michel Foucault); Wendler fragt sich, ob er früher nur gespielt hat und heute echt ist, die Gruppe fragt sich, ob sie noch „ein Team“ ist oder nicht.

Was ist das überhaupt für ein System? Sagen wir es so: eine Mischung aus moderner Disziplinar- und postfordistischer Freizeitgesellschaft mit starken meritokratischen Elementen. Meint, es herrrscht das Primat der Selbstoptimierung, und nach oben kommt man nur durch Leistung (oder Krankheit), nicht mit Geld oder qua Tradition. Aber muss es überhaupt ein Oben und Unten geben? Wer sagt das denn? Die Produktionsfirma natürlich, Endemol. Sie wird im Haus durch eine metallisch verfremdete Stimme aus dem Off repräsentiert, Big Brother eben, der die Kandidaten ergeben folgen. Selbst Ronald Schill gehorcht ihr auf eine lächerliche Art, obwohl er, kein Wunder, als Einziger so etwas wie politisches Bewusstsein besitzt. Es äußert sich als Medienbewusstsein. Schill klärt die anderen Teilnehmer immer wieder darüber auf, warum der Sender dieses und jenes tut. Ähnlich wie beim Dschungelcamp gehört es bei dieser Show dazu, dass über „das Mediale“ gesprochen wird. Aber was heißt das Mediale? So wie man nicht mehr durchblickt, in welche anderen (Internet-)Kanäle die TV-Show so einsickert, so ist leider auch sie selbst immer konturloser geworden. Schuld daran sind alberne „Challenges“ und immer neue Möglichkeiten, die Kandidaten rauszuwählen, oder „geheime Gänge“, die von unten nach oben führen und „plötzlich“ entdeckt werden. Keine Überraschung, dass die Kandidaten immer gereizter werden.

Von einem ästhetischen Punkt aus fällt Promi Big Brother gegen das Dschungelcamp ab. Wo jenes elegant und konsequent ist, ist dieses umständlich und gestaltlos. Aber vielleicht ist die mangelnde Ästhetik dann doch wieder ein Hinweis auf das Politische. Zeichnet sich unsere Gesellschaft nicht gerade durch Zerfaserung und ein Implodieren der Transzendenz aus? Wer mit solchen Fragen nichts anfangen kann: Ist es nicht traurig, wie wenig es zwischen den Kandidaten knistert?

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Michael Angele

Ressortleiter „Debatte“

Michael Angele, geb. 1964 in der Schweiz, ist promovierter Literaturwissenschaftler. Via FAZ stolperte er mit einem Bein in den Journalismus, mit dem anderen hing er lange noch als akademischer Mitarbeiter in der Uni. Angele war unter anderem Chefredakteur der netzeitung.de und beim Freitag, für den er seit 2010 arbeitet, auch schon vieles: Kulturchef, stellvertretender Chefredakteur, Chefredakteur. Seit Anfang 2020 verantwortet er das neue Debattenressort. Seine Leidenschaft gilt dem Streit, dem Fußball und der Natur, sowohl der menschlichen als auch der natürlichen.

Michael Angele

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