Richtig angeben mit dem Doktortitel

Promotion Durch das korrupte Verhalten von Akademikern ist der Doktortitel in Verruf geraten. Dabei ist er ein wichtiges Instrument zur Sozialisierung des Bluffs. Eine Polemik

Da ermittelt also die Kölner Staatsanwaltschaft gegen rund 100 Professoren und ein "Beratungsinstitut" (schießt diese Institute endlich auf den Mond!) wegen Korruptionsverdacht. Es heißt, die Geschichte mit den erkauften Doktor-Titel sei nur die Spitze des Eisbergs. Jedenfalls hat sie mir einen Alptraum ins Gedächtnis gerufen, der mich öfter heimsucht: Ich führe meinen Doktortitel zu Unrecht, habe ihn nur dank einer komplizenhaften Geste meiner Doktormutter erworben. In Wahrheit fehlen mir diverse Seminarscheine, in einer rabiaten Fassung des Alptraums fehlt sogar das große Latinum. Ich wache nass auf und fühle mich noch Stunden später als Betrüger.

Woher kommt dieses unangenehme Gefühl? In der Sache selbst kann es nicht liegen. Die Promotion lief vorschriftsmäßig ab – so weit ich das beurteilen kann und soweit es durch die Urkunde von 1999 beglaubigt wird, mal abgesehen davon, dass die Arbeit mit summa cum laude eher über- als unterbewertet wurde. Auch ist die Veröffentlichung auf Mikrofiche nicht eben der gängige und benutzerfreundlichste Weg. Aber der Publikationspflicht für Disserationen wurde Genüge getan.

Nein, das Gefühl des Betrugs muss sich aus anderen Quellen speisen, der Traum ist, wie man in der Analyse sagt, eine "Deckphantasie". Ich denke, dass sich das Gefühl an meinem Umgang mit dem Titel entzündet, dem offenkundig etwas Hochstaplerisches anhaftet. Dabei gehe ich eher diskret vor und bilde darin keine Ausnahme. Mir ist niemand bekannt, der mit seinem Dr. phil. – und nur um diesen soll es hier gehen – offen angibt. Es wäre ja auch zu vulgär.

Dr. Dr. Rainald Goetz

Nein, üblich sind diskrete Hinweise auf die Existenz eines solchen Titels, klassisch: durch das Aushändigen der Visitenkarte, wobei ich mich gerade frage, ob es wirklich klug ist, die Note meiner Arbeit hier bekannt zu geben. Normalerweise rückt man damit nur auf Nachfrage raus (und hofft, dass jedem klar ist, was ein "summa" bedeutet). Es geht also um die Kunst des Understatements, die doch den Angeber erst halbwegs erträglich macht.

Im Kulturbetrieb ist dieses Understatement darum gang und gäbe. Natürlich hat, um ein beliebiges Beispiel zu nehmen, praktisch jeder Verleger einen Doktortitel, aber kaum einer wird ihn an die große Glocke hängen. Die öffentliche Bekanntgabe ist für besondere Anlässe reserviert. Eine klassische Gelegenheit bildet der Aufruf in der Zeitung. Nehmen wir den Heidelberger Appell, der in diesem Jahr für Furor gesorgt hat. Schauen wir auf den ersten der Unterzeichner. Doktor Michael Naumann, Herausgeber der Zeit, steht da.

Der zweite, Michael Krüger, Verlagsleiter von Hanser, hat offenbar keinen Titel (ist nicht weiter schlimm, er hat sich sein Prestige längst woanders erworben). Interessant dann der dritte Name auf der Liste: Hans Magnus Enzensberger, Schriftsteller, München. Ohne Nennung seines Doktortitels – dabei hat Enzensberger 1953 über die Poetik des Clemens Brentano promoviert. Das ist Kunst des Understatements in Vollendung: den Dr. phil. niemals (mehr) zu nennen und vollkommen uneitles Verhalten vorzutäuschen. Was für die Mitwelt sehr angenehm sein kann, ist allerdings für den Ausübenden ein riskantes Unterfangen, die Sache funktioniert ja nur, wenn sich diese Mitwelt an den Doktortitel überhaupt noch erinnert!

Schriftsteller, die wie Enzensberger ihren Doktortitel praktisch verschweigen, sind für die studierte Generation der 68er vorbildlich geworden (Martin Walser, Tilman Spengler, F.C. Delius...…) Für uns Jüngere wurde ein anderes Modell stilbildend: Dr. Dr. Rainald Goetz. Der Popschriftsteller, der in Geschichte und Medizin promoviert hat, sich aber in der "Szene" perfekt zu bewegen weiß (Irre) und radikalen underground schreibt (Kontrolliert). Das Angebertum wurde so in neue Bahnen gelenkt, zur Diskretion ist die Statusinkongruenz hinzugetreten.

Sokrates

"Er ist ja Doktor, aber er benimmt sich überhaupt nicht so": mit dem Siegeszug der Popkultur ist das statusinkongruente Verhalten endemisch geworden. Man braucht nur den Kulturteil der FAZ aufzuschlagen. Bewundernswert, mit welcher Lässigkeit hier promovierte Menschen über die Songs der "Ärzte" schreiben, es sind die selben Menschen, die bei Bedarf in der Lage sind, eine Expertise zu Bismarcks Sozialgesetzgebung noch im Halbschlaf abzuliefern.

Noch stärker beeindruckt der Dr. phil. allerdings dort, wo ihn keiner vermuten würde. Im Fußball zum Beispiel. Auf Profiebene fällt mir gerade keiner ein, das bekannteste Beispiel für einen Inhaber eines Doktortitel ist der Brasilianer Sokrates, der allerdings ist Mediziner, aber als Dr. phil. reicht es schon, den Ball auf dem Bolzplatz nur halbwegs elegant führen, um seine Gier nach Anerkennung zu befriedigen.
Bleiben die rein praktischen Seiten eines Dr. phil. zu erwähnen: Dass man ihn ganz gut in der Wohnungssuche, bei Behördengängen oder auf der Partnersuche einsetzen kann, dürfte bekannt sein. Das ungute Gefühl, das einem dabei befällt, muss man aushalten können und sich notfalls eben sagen: Ist doch ein Fliegendreck gegen die Riesensauerei mit diesen gekauften Titeln.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Michael Angele

Ressort Debatte

Michael Angele, geb. 1964 in der Schweiz, ist promovierter Literaturwissenschaftler. Via FAZ stolperte er mit einem Bein in den Journalismus, mit dem anderen hängte er lange noch als akademischer Mitarbeiter in der Uni. Angele war unter anderem Chefredakteur der netzeitung.de und beim Freitag, für den er seit 2010 arbeitet, auch schon vieles: Kulturchef, stellvertretender Chefredakteur, Chefredakteur. Seit Anfang 2020 verantwortet er das neue Debattenressort. Seine Leidenschaft gilt dem Streit, dem Fussball und der Natur, sowohl der menschlichen als auch der natürlichen.

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