Den Fußballer Eric Cantona wird man ewig vor dem inneren Auge sehen, wie er einen Fan mit einem Kick-Box-Sprung attackiert. Und vielleicht erinnert man sich auch an den hochgestellten Kragen seines Trikots, ein wenig französischer Gockel, ein wenig Fußballfeldherr; wie lange ist es eigentlich her, dass wir auf dem Bolzplatz die Krägen unserer Trikots hochgestellt haben? In Marseille – wo sonst? – geboren, beendete Cantona 1996 seine Laufbahn als Fußballer. Sechs erfolgreiche Jahre in der englischen Liga lagen hinter ihm, die meiste Zeit davon als Nummer 7 bei Manchester United.
Posthum wurde er zum besten Premier-League-Spieler aller Zeiten gewählt, und irgend einmal schmierte Cantona noch dem Torhüter Jörg Stil eine, weil der einen schwarzen Mitspieler beleidigt hatte. Typen wie ihn nennt man mit einem unübersetzbaren französischen Ausdruck enfant terrible. Das Blut steigt ihnen schnell in den Kopf, aber sie haben eine künstlerische Ader in sich und manchmal schaffen sie es, dass das Blut durch diese Adern fließt. Nach seinem Karriereende wirkte Eric Cantona in mehreren französischen Filmen mit.
Verrat, Verrat
Gerne würde man also einen Dokumentarfilm über diesen Eric Daniel Pierre Cantona sehen. Auch wenn Ken Loach mit Looking for Eric dies gerade nicht getan hat, so ist seine Komödie doch mit vielen dokumentarischen Einsprengseln versehen. In einer Szene sehen wir Cantona mit Briefträgern aus Manchester in einem Pub sitzen.
Gemeinsam beklagen sie die Entwicklung ihres hyperkapitalistischen Vereins, schimpfen über die Eintrittspreise und rufen Verrat, Verrat, bis auf dem Bildschirm ein Tor für ManU fällt, und alles wieder gut ist. „When the seagulls follow a trawler, it is because they think, sardines will be thrown into the sea“, lautete Cantonas legendärer Rätselspruch auf einer Pressekonferenz nach dem Kick-Box-Vorfall, den er nun vor den Briefträgern wiederholt, und da ist einer, der besonders eifrig zuhört.
Eric Bishop (gespielt von Steve Evets) heißt dieser Briefträger. Dem „kleinen Eric“ ist das Leben so entglitten, dass er nicht mehr wollte und einen Autounfall provozierte. Aber er hat überlebt, und zurück in seinem Haus, in dem alles in Unordnung geraten ist, nebelt er sich nun mit Dope zu, bis ihm sein Idol erscheint. Cantona konfrontiert ihn mit seiner Vergangenheit, seinen Träumen und seinen Fehlern, und erteilt ihm Rat in Gestalt von Sprichwörtern und Aphorismen. Er spricht sie erst in Französisch, dann in Englisch mit Akzent. „Wenn sie auf der linken Seite schneller sind, dann wechsle auf die rechte Seite. Denk daran: Wenn du sie überraschen willst, musst du zuerst einmal dich selbst überraschen.“
Solche Weisheiten werden durch Aufnahmen der schönsten Tore von Eric Cantona gleichsam verifiziert, aber der Höhepunkt seiner Karriere war nicht ein überraschendes Tor, sondern ein an den Grenzen der Physik gespielter Traumpass zu Ryan Giggs. Erfinden braucht man einen solchen Typen nicht. Cantona muss deshalb nicht viel mehr tun, als sich selbst zu spielen. Während seiner halbjährigen Sperre nach der Kick-Box-Attacke hatte er Trompete gelernt, im Film spielt er nun dem kleinen Eric mehr schlecht als recht die Marseillaise vor.
Der Mann mit dem Kragen
Musik ist ein wichtiges Element in dessen Leben. Beim Rock’n’Roll-Tanz hatte Bishop sich einst in Lily verliebt. Man heiratete zu jung, Eric ließ seine Liebe mit einem Kind sitzen. Sam, die Tochter (Lucy-Jo Hudson), hat nun selbst ein Kind. Über das Babysitten kommt es zu einer Annäherung zwischen Eric und Lily (Stephanie Bishop), die eine reife und schöne Frau geworden ist.
„Oh, les femmes“, sagt Cantona und weiß guten Rat, aber so rasch dürfen sein Schützling und dessen Liebe natürlich nicht wieder zusammenfinden. Der Aufschub kommt in Gestalt von Erics schwierigem Sohn Ryan (Gerard Keans), der in Schwierigkeiten steckt, weil er für den psychopathischen Koksers Zac (Steve Marsh) eine Pistole in seinem Zimmer aufbewahrt (warum in aller Welt?). Die Pistole wächst zu einem haarsträubenden MacGuffin heran, die Situation eskaliert, es wird nun auch für Eric und die Familie brenzlig. Cantona rät, sich an die lads, die Freunde, zu halten. In einem Showdown hat Cantona einen letzten grotesk-zärtlichen, die gute Gewalt symbolisierenden Auftritt.
Bestimmt hat dieser Mix aus Realismus und Märchen viel für sich. Aber würde man nicht doch lieber zwei Filme sehen? Einen mit dem großartigen Steve Evets als Briefträger in der Hauptrolle, und einen Dokumentarfilm über Erich Cantona, dem Mann mit dem Stehkragen. Natürlich könnte Ken Loach gleich beide Filme drehen, nicht nur Cantona bewundert ja an Loach, „dass seine Sachen so real sind wie Dokumentationen“, wie es in einem Guardian-Porträt heißt, das im Freitag veröffentlicht wurde.
Milieus mit wenigen Strichen so zeichnen, dass der Strich zum Zündholz wird und das Leben anfängt zu brennen, das kann Loach in der Tat wie kaum ein anderer. Er beweist es auch in Looking for Eric etwa in der Szene, in der die Postboten versuchen, ihren Kollegen mit ungewöhnlichen Mitteln aus seiner Krise zu holen. Der großartige Meatball (John Henshaw) versucht es nach den Rezepten eines Psychobuchs: „Emulate your Idol“, also ungefähr: „Stellen Sie sich ein Idol vor und eifern ihm nach“. Die lads fühlen sich sichtbar unbehaglich bei diesem Versuch, und sind zugleich voller Eifer bei der Sache. Meatball denkt mit einem Glanz in den Augen an „the blue eyed man, Frank Sinatra“, und Eric denkt natürlich an ihn.
Looking for Eric ab Donnerstag in den Kinos
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