Es scheint, als müsse Kurt Biedenkopf erst an seine Stimmabgabe am kommenden Sonntag im Ortsamt Loschwitz erinnert werden. Die offizielle Terminvorschau seiner Staatskanzlei zählt nur Routineangelegenheiten in dichter Folge auf. Während die Konkurrenz von der sächsischen Opposition sich mit einem halben Dutzend Wahlkampfterminen täglich abstrampelt, sitzt der Ministerpräsident im Fußballstadion beim Dresdner Lokalderby. Wahlkampf heißt für Biedenkopf, vorwiegend von Plakaten herabzulächeln: »Das Beste für Sachsen!« Wie schon vor fünf Jahren meidet er die sogenannten Elefantenrunden im Mitteldeutschen Rundfunk oder beim privaten Sachsen-Fernsehen. Vertreten läßt sich die Nummer eins der CDU-Landesliste durch den
den hausbackenen und farblosen Landes- und Fraktionsvorsitzenden Fritz Hähle. Dort, wo er nicht absagt, bei Sabine Christiansen zum Beispiel, verkündet er die Zuversicht, es werde sich wohl an den sächsischen Mehrheitsverhältnissen »nichts dramatisch ändern«.Wem die Umfragen mit 57 Prozent in etwa eine Wiederholung des Wahlergebnisses von 1994 bescheinigen, der kann sich gelassen und souverän den laufenden und wahrscheinlich weiterlaufenden Geschäften widmen. Wie selbstverständlich verabschiedete die CDU-Landtagsfraktion Ende 1998 bereits einen bis weit in die nächste Legislaturperiode hineinreichenden Doppelhaushalt. Und die Regierungserklärung auf der Abschlußsitzung des Landtages im Juni nutzte Biedenkopf, seine Agenda für die kommenden fünf Jahre zu verkünden. Mit einer erstaunlichen Hartnäckigkeit und einer erstaunlichen Schizophrenie wählt der Sachse mehrheitlich schwarz. Da kann er sonst zu Hunderttausenden an der Abwassergebührenfront stehen und »Lügenkopf« rufen, seine Unterschrift unter Volksbegehren für kleinere Klassenstärken, mehr direkte Demokratie oder den Erhalt kommunaler Sparkassen setzen oder sich über die Gebietsreform empören. Auch die Schulpolitik bietet außer alten Zöpfen wie den wiedereingeführten Kopfnoten seit Jahren nichts Innovatives. Nach drastischen und vom zuständigen Minister Hans-Joachim Meyer achselzuckend quittierten Kürzungen geht es vor allem der freien Kunstszene in Sachsen an den Kragen. Auch der Mythos vom ostdeutschen Musterländle bröckelt. Sowohl bei den Arbeitsmarktzahlen als auch beim Wirtschaftswachstum liegt Sachsen nur noch im Mittelfeld.Dennoch CDU. Da ist zum einen der Biedenkopf-Bonus, den manche unabhängig von allen Bundestrends mit 20 Prozent oder mehr beziffern. Auf den 69-jährigen setzt die Partei auch im Wahlkampf voll und ganz, Direktkandidaten lassen sich nach Möglichkeit schulterklopfend mit ihm ablichten. Am Ende seiner wahrscheinlichen nächsten Amtszeit hätte er nur knapp das Alter Adenauers bei dessen Amtsantritt als Kanzler 1949 überschritten. Eine absurde Parallele? Der Slogan »Mit der CDU können Sie sicher sein« trifft ostdeutsche und sächsische Mentalität im besonderen. Das Sicherheitsbedürfnis selbst ganz junger Leute ist enorm ausgeprägt. Paradox höchstens, dass der Professor mit dem koketten Querdenker-Image in Sachsen vor allem als Stabilitätsgarant im Sinne des Adenauerschen »Keine Experimente!« gilt. Das auch für Analphabeten anschauliche Wahlkampf-Bilderbuch der CDU bedient genau dieses Gefühl.Am Block der früheren Blockpartei ist die Opposition im sächsischen Landtag bislang weitgehend gescheitert. Der Parteienkonsens zur Verfassungsgebung 1992 ist längst Geschichte. Wenn SPD und PDS Erfolge erzielten, dann gemeinsam durch konsequentes Wahrnehmen von Minderheitenrechten. Die Klagen vor dem Leipziger Landesverfassungsgericht gegen das Privatrundfunk- und das Polizeigesetz zählen ebenso dazu wie die Untersuchungsausschüsse zu den Millionendeals um die Sachsenmilch AG und den Abwasserzweckverband Beilrode-Arzberg. Die Brechung der absoluten CDU-Mehrheit in Sachsen wird deshalb von allen anderen Parteien als erstes Wahlziel propagiert und gilt schon als ein Wert an sich. Stimmen regen sich, die vor bayerischen Verhältnissen warnen, wo es bis hinein in die kleinständische Wirtschaft nur noch Ein-Parteien-Connections gibt. »Schach dem König« bellt sogar die bei einem Wählerprozent pendelnde FDP. Bei deren völliger Abstinenz von der Landespolitik in den letzten fünf Jahren kann man nur staunen, woher sie überhaupt das Material für ein Wahlprogramm zusammenschreiben konnte. Die PDS mit dem Linguistikprofessor Peter Porsch an der Spitze kann sich nur eingeschränkt darüber freuen, dass auch sie mit mehr als zwanzig Stimmenprozenten die SPD in Sachsen überholt haben wird. Das erste Wahlziel ist mit einem so schwachen rosa Oppositionspartner nicht zu erreichen. Immerhin kämpft sie in Hoyerswerda und eventuell sogar in Dresden nicht chancenlos um ein Direktmandat.Währenddessen liegen die Nerven bei den Sozialdemokraten nach der Thüringen-Wahl endgültig blank. Die Brechung der absoluten CDU-Mehrheit könnte zum Fernziel werden. Denn nun scheint nicht einmal mehr eine Zweidrittelmehrheit der Mandate ausgeschlossen, wenn nach wie vor nur drei Parteien im Landtag vertreten sind. Mit 77 Sitzen fehlten der CDU ohnehin bislang nur vier Stimmen. Vor Jahresfrist sah sich ein selbstbewußter Landesvorsitzender Karl-Heinz Kunckel noch als Juniorpartner in einer Großen Koalition und von VIP's aller Couleur zunehmend hofiert. Trotz der mehr als 30 Umfrageprozente war sein mangelnder Wille zur Macht schon damals nicht unumstritten. Ein Viertel der Delegierten verweigerte im Frühjahr dem Spitzenkandidaten die Zustimmung. Mit Mühe glich Kunckel Rückzüge und Eitelkeiten in der Landtagsfraktion aus. So wirbt der ehemalige Mittelstandssprecher Johann Kehl damit, dass Kunckel im Wahlkampf seinem Kreis fernbleibt. Dem wiederum ist mangelnder Einsatz nicht abzusprechen. Mit dem Rücken zur Wand und bis zur physischen Erschöpfung rackert er sich ab. Am Mittwoch kam der Kanzler zum dritten Mal nach Sachsen, Wahlkampfunterstützung zu leisten. Fraglich, ob er das kann. Sich des Berliner Strudels bewußt, hat Kunckel ihn fast flehentlich zu einem Wort sozialer Gerechtigkeit noch in dieser Woche aufgefordert. Schon jetzt droht die Landespartei nervös auseinanderzufallen. Spannungen, die nach der Wahl offen ausbrechen und dem an sich verdienstvollen und ehrlichen, auf vernünftigen Ausgleich bedachten Schöngeist Kunckel den politischen Kopf kosten könnten. Mit dem Schlimmsten wird heimlich schon gerechnet - einem Ergebnis unter 15 Prozent.Obschon die Bündnisgrünen vom gleichen Sog erfaßt sind, gibt sich Spitzenkandidatin Gunda Röstel relativ locker. Persönlich geht es für sie um fast alles, eine weitere Niederlage könnte auch an ihrem Bundessprecherinnenamt rütteln. »Der Wiedereinzug in den Landtag ist ein ehrgeiziges Ziel, eine Trendwende wäre schon ein Erfolg!« Die Landesgeschäftsstelle freut sich über den harmonischen Wahlkampf ohne innerparteiliche Querelen.Nur einen Erfolg könnten alle Parteien gemeinsam erzielen: den Einzug einer rechtsextremen Partei zu verhindern. Republikaner und NPD treten getrennt an, diese Zersplitterung läßt hoffen. Die NPD allein scheint in ihrer deutschen Hochburg nicht mehr so stark wie noch vor Jahresfrist. Skinszene und Jungnationale entfernen sich nach Beobachtung des Verfassungsschutzes wieder voneinander. Zur Vermeidung eines solchen Eklats kann der Schönwetterwähler beitragen - vor fünf Jahren nahmen nur etwa 56 Prozent der Berechtigten ihr Wahlrecht wahr.