Friede auf den Barrikaden

Gedenken Seit Jahren missbrauchen Nazis den Jahrestag der Dresdner Bombennacht für Aufmärsche. Nun endlich findet die Stadt dazu eine Haltung

Jedes Jahr ertönt in den Kirchen Dresdens am 13. Februar die Motette „Wie liegt die Stadt so wüst“ des ehemaligen Kantors der Kreuzkirche, Rudolf Mauersberger. Entstanden ist sie kurz nach dem markantesten Tag in der Stadtgeschichte, als am 13. Februar 1945 britische und amerikanische Bomber begannen, die Innenstadt in ein Ruinenfeld zu verwandeln. So wird es auch in diesem Jahr sein. Und doch denken bei diesem Datum inzwischen wohl die wenigsten Dresdner zuerst an 1945. Längst hat die Geschichte der vergangenen zehn Jahre das Gedenken an die Rückkehr des von Deutschland entfesselten Kriegs überwuchert.

Die jährlich stattfindenden, sogenannten „Trauermärsche“ für die Bombenopfer gehören zu den größten Nazikundgebungen Europas. Im Rekordjahr 2009 kamen etwa 7.000 Rechte zu der von der Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland JLO organisierten Demo. Die Märsche haben eine Generalauseinandersetzung nicht nur Linker mit den zeitgenössischen Vertretern des Ungeists von damals provoziert – deren Brutalität die Entdeckung der Zwickauer Zelle nun erneut ins Bewusstsein rückt. Für Rechte wie auch für die ebenfalls zahlreichen Gegendemonstranten will die Stadt nicht mehr als Kulisse dienen. Bisher bestand der größte Erfolg der Nazis in der Spaltung der Dresdner selbst, aber auch im Dissens zwischen Dresdnern und auswärtigen Gegendemonstranten, wie mit der Provokation der Rechten umzugehen sei.

Nicht nur Dresden steht aus den Ruinen der Wende auf: auch die Band Kraftklub

2012 fällt der eigentliche Gedenktag auf einen Montag. Ähnlich wie im Vorjahr werden deshalb die wesentlichen Auseinandersetzungen für den 18. Februar erwartet. In diesem Jahr hat sich eine von CDU-Oberbürgermeisterin Helma Orosz berufene Arbeitsgemeinschaft in einem halbjährigen Diskussionsprozess auf einen Kompromiss zum Programm geeinigt. Zu Blockaden des beabsichtigten Nazi-Marsches kann die AG zwar nicht aufrufen. Aber sie verständigte sich unter anderem auf eine gemeinsame Großkundgebung auf dem Schloßplatz, die in Hör- und Sichtweite des Nazi-Stellplatzes verlagert werden kann. Am 13. Februar kann der Stadtrundgang „Täterspuren“, im Vorjahr verboten, wieder stattfinden. Ansonsten bleibt es an diesem Tag bei der Menschenkette sowie Gedenk- und Protestveranstaltungen. Die von Nazis missbrauchte Kranzniederlegung am Heidefriedhof wird allerdings durch weiße Rosen und eine neue Form ersetzt.

Vergewaltigung der Opfer

Der Mann, der wesentlichen Anteil am erstmals gefundenen Konsens hat, sprach am vergangenen Sonntag zum Auftakt der „Dresdner Reden“ im Staatsschauspiel. Frank Richter, der ehemalige Kaplan an der Dresdner Hofkirche ist zum zweiten Mal nach 1989 zu einer Dresdner Schlüsselfigur geworden. Am Abend des 8. Oktober 1989, also einen Tag vor der legendären Leipziger Großdemonstration gegen das SED-Regime, stellte seine Vermittlung im Polizeikessel auf der Prager Straße die Weichen für einen friedlichen Verlauf der Kerzenrevolution in der DDR. Im Namen der Demonstranten erhielt die spontan ausgewählte „Gruppe der 20“ ein Mandat für Verhandlungen mit dem Oberbürgermeister. Später quittierte Richter den Kirchendienst, arbeitete im Bildungswesen und leitet seit 2009 die sächsische Landeszentrale für politische Bildung. Richter traute man am ehesten die Qualitäten eines Moderators der AG „13. Februar“ zu. Und er enttäuschte nicht. An diesem Runden Tisch hat sich im Jahr 2011 eine erstaunliche Entwicklung vollzogen. Der gefundene Konsens scheint stabil.

Bis zur gegenseitigen Akzeptanz verschiedener Gedenk- und Protestformen war es ein weiter Weg. Während der DDR-Jahre dominierte bei den Dresdner Gedenkritualen zwar der Ruf „Nie wieder Krieg!“. Latent hielt sich aber der Mythos von der entmilitarisierten Kunststadt, deren Bombardierung einfach nur ein Terrorakt gewesen sei. Schon im Februar 1990 tauchten entsprechende Plakate an der Ruine der Frauenkirche wieder auf. Mit der Flut von Dresden-Literatur und dem Historikerstreit über den alliierten Bombenkrieg setzte eine Polarisierung ein. Nazis entdeckten ein Propagandafeld, mischten sich bei der Kranzniederlegung auf dem Heidefriedhof ein, inszenierten eigene „Trauermärsche“. Bis etwa 2005 schlossen sich ihnen auch Dresdner an, die sich im offiziellen Gedenken der Stadt nicht mehr wiederfanden.

Das Rathaus, aber auch die Bürger waren zunächst verunsichert, wie sie mit dem stetig wachsenden Zug von geistigen Erbfolgern der Kriegstreiber umgehen sollten. Einen ersten Höhepunkt markierte der 60. Jahrestag des Bombardements 2005. Kurz zuvor war im Landtag seitens der NPD-Fraktion der Begriff „Bombenholocaust“ gefallen und hatte einen Eklat ausgelöst. Auf der einen Seite formierte sich mitten im Stadtzentrum zwischen Landtag und Semperoper der Zug der Nazis. Auf der anderen Seite standen erste große symbolische Gegenaktionen wie ein riesiger Kerzenteppich auf dem Theaterplatz, das noch etwas hilflose „Geh-Denken“ als Versuch des aktiven Protestes gegen den Missbrauch der Opfer und die wiederum ziemlich opferverachtenden Antifa-Aktionen unter dem Motto „No tears for krauts“ – keine Tränen für Deutsche.

In den Folgejahren spitzten sich die Gegensätze zu. Selbst eine von der Stadt eingesetzte Historikerkommission änderte an der Instrumentalisierung des Dresdner Opfermythos durch die Rechten nichts. Sie räumte mit Legenden über eine halbe Million Todesopfer und willkürliche Tieffliegerangriffe auf und stellte einigermaßen gesichert die immer noch fürchterliche Zahl von 25.000 Bombentoten fest. Zuletzt verwandelten mehrere Tausend Polizisten die Stadt in eine Festung und versuchten, Nazis und Gegendemonstranten zu trennen. Auf beiden Seiten standen längst nicht mehr nur Dresdner. Für diesen symbolisch aufgeladenen Tag warben Nazis in ganz Europa, und seit drei Jahren koordiniert das Bündnis „Dresden nazifrei“ die überregionale Beteiligung an Protesten und Blockaden.

Die CDU verfolgte eine Vogel-Strauß-Politik und sah im „stillen Gedenken“ die einzige Umgangsform mit dem 13. Februar, so, als existiere der mittlerweile größte europäische Nazi-Aufzug nicht. Neben den nach wie vor berechtigten Formen des stillen Gedenkens vor allem in Kirchen organisiert die Stadt gemeinsam mit der Universität seit 2010 am 13. Februar eine Menschenkette.

Parallel dazu drängte es eine wachsende Zahl von Menschen, die Nazi-Treffpunkte und ihre geplante Marschroute auch wirksam zu blockieren. Das glückte am Neustädter Bahnhof erstmals 2010 schlichtweg nach dem Massenwirkungsgesetz: Der Einsatzleiter sah sich nicht in der Lage, mehr als 10.000 Demonstranten zu räumen. „Rädelsführer“ wie die Linken-Landtagsfraktionsvorsitzenden von Sachsen und Thüringen André Hahn und Bodo Ramelow werden allerdings bis heute wegen „Sprengung einer genehmigten Versammlung“ verfolgt. Unbestritten ist aber auch, dass im Vorjahr meist Linksautonome mit Barrikaden und Steinwürfen dieses Ziel zu erreichen suchten. Über 100 Polizisten wurden in der Südvorstadt verletzt.

Die Bilder von den Eskalationen des Vorjahres haben den Prozess in der AG gewiss befördert. Keinen Einfluss haben konnte zunächst der Stimmungswandel nach der Aufdeckung der Zwickauer und Jenaer NSU-Terrorzelle. Denn die Arbeit der AG trat schon im Spätsommer 2011 in die entscheidende Phase. Selbst CDU-Ordnungsbürgermeister Detlef Sittel, der im Vorjahr noch eine klägliche Figur abgab, wünschte sich da überraschend „mindestens 50.000 Gegendemonstranten“. Aufgeschreckt haben die Enthüllungen zum rechten Terror jedoch Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich von der CDU, sonst ein DDR-geschulter Opportunist. Zu Beginn dieses Jahres stand er verbal plötzlich in der ersten Reihe der Nazi-Gegner und verlangte ein „Zeichen gegen Rechts“.

Schmalbrüstige Provokateure

„Eigentlich hat jemand wie Tillich nach dem CDU-Verhalten in der Vergangenheit nicht die Legitimation, dazu Stellung zu nehmen“, kommentiert Paul Tschirmer, einer der Sprecher des Bündnisses „Dresden nazifrei“. Das Bündnis war zwar nicht offiziell zu den Runden der AG „13. Februar“ eingeladen, wird aber konsultiert. Inzwischen residiert man in einem kleinen Büro, der „Grünen Ecke“ in der Dresdner Neustadt, und ist vom Rathaus nicht mehr nur geächtet wie in den vergangenen Jahren. Tschirmer ist zwar nach wie vor überzeugt, dass Dresden bei der Bekämpfung der Nazi-Provokation Hilfe, ja sogar Nachhilfe von außen braucht. Aber er erkennt die Bewegung in der Stadtspitze an, auch die in der CDU.

Maßgeblicher Dissenspunkt bleibt nach wie vor die Einstellung zu Blockaden. Beim Bündnis sieht man sie geradezu als „moralische Pflicht“ an und fühlt sich durch Urteile des Bundesverfassungsgerichtes gestärkt. Gewaltfrei selbstverständlich, für militante Demo-Touristen will man keine Verantwortung übernehmen. „Wir können nur an die Einhaltung unseres eskalationsfreien Konzepts appellieren“, sagt Tschirmer.

Ein Reizthema für CDU und FDP im Landtag. Dort scheiterte der von der SPD initiierte Versuch einer gemeinsamen Erklärung am Blockadethema. Auf den besonderen Verfolgungseifer der Dresdner Staatsanwaltschaft angesprochen, bekräftigt Sachsens Generalstaatsanwalt Klaus Fleischmann zwar, dass es sich bei Demo-Blockaden um einen Rechtsverstoß handele. Der frühere sächsische Polizeipräsident, der sich als Jura-Student in Bayern sogar ein bisschen links gerierte, zeigt aber ein gewisses Verständnis für „Überzeugungstäter, die der Meinung sind, die Bekämpfung der braunen Gefahr würde dieses Mittel rechtfertigen“. Und er hält die massenhafte Handy-Funkzellenabfrage, die im Vorjahr ein bundesweites Echo auslöste, bei Großdemonstrationen für überholt und sinnlos.

Inzwischen keimt vorsichtiger Optimismus, dass es solcher Maßnahmen womöglich gar nicht mehr bedarf. Sowohl der Verfassungsschutz als auch das Antifaschistische Rechercheteam Dresden haben erhebliche Mobilisierungsprobleme der Rechten zumindest für den 18. Februar ausgemacht. Die JLO sei als Organisator umstritten. Antworten aus der braunen Szene zeugen von defensiver Gereiztheit. Der stellvertretende JLO-Bundesvorsitzende und „Trauermarsch“-Anmelder Kai Pfürstinger beharrt darauf, „dass wir uns von niemandem diktieren lassen, wann und ob wir Großveranstaltungen durchführen“. Aus der NPD-Landtagsfraktion ist allerdings auch die indirekte Bestätigung eines veränderten Konzepts zu vernehmen. Die JLO gilt hier als „etwas schmalbrüstig“, und man wolle sich in diesem Jahr lieber direkt auf den 13. Februar konzentrieren.

Es wird der unberechenbarste Tag werden. Noch ist nicht genau bekannt, was über den braunen Fackelzug hinaus von Nazi-Seite geplant ist. Im Internet häufen sich die Aufrufe zum „Brandschutz“ und zu „Löscheinsätzen“, durch Gegendemonstranten, nachdem im Vorjahr rund 2.000 Fackelträger fast ungehindert durch Dresden marschieren konnten. Das Bündnis „Dresden nazifrei“ will sowohl für den 13. als auch für den 18. Februar mobilisieren und berichtet inzwischen von 15.000 Unterstützern bundesweit. Und wenn am 18. tatsächlich kaum Nazis erscheinen? „Dann feiern wir eben ein großes Fest der Demokratie“, sagt der ehemalige Kaplan Frank Richter.

Michael Bartsch lebt seit 1971 in Dresden und arbeitet dort als Journalist und Autor

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