Halb zog es sie, halb sank sie hin

Zuständig für Lebenskunst und Charme in der Politik Katja Kipping, stellvertretende Vorsitzende der Linkspartei.PDS, will für Sachsen in den Bundestag

An diesem Tag ist sie schon um vier Uhr morgens aufgestanden. Ein Kamerateam wartet und entlässt Katja Kipping erst nach 20 Uhr wieder. Ein langer Tag für 90 Sekunden Werbespot im Bundestagswahlkampf. Es fehlt am Abend nicht an selbstironischen Bemerkungen über müde Gesichter und Inszenierungen mit unpassenden Fahrrädern. Nicht einmal ihr zweirädriges "Mobiles Abgeordnetenbüro" aus dem Sächsischen Landtag war dabei. Aber selbstbewusster Stolz schwingt ebenso mit. Man ist nicht irgendwer. Stellvertretende Bundesvorsitzende der Linkspartei.PDS und Nummer eins auf der Landesliste Sachsen für die Bundestagswahl. Man wird eingeladen auf die Selbstinszenierungsbühne der Nation, in die meistgesehene und bestgehasste Null-Runde bei Sabine Christiansen. "Wer ist denn das?" soll sich Bundestagspräsident Thierse vor der Runde am 24. Juli nach ihr erkundigt haben.

Es klingt glaubwürdig, wenn Katja Kipping behauptet, auf Karriere nie erpicht gewesen zu sein. Als "voraussichtlich jüngste Abgeordnete des Sächsischen Landtages" war sie im Landtagswahlkampf 1999 vorgestellt worden und hatte sich später für das Fachgebiet Verkehrspolitik entschieden. Weit weg vom Studium der Slawistik, Amerikanistik und der Jurisprudenz, das sie immer in einem Atemzug mit der Politik genannt hatte. Aber die Pläne für das andere Leben jenseits von Landtags- büro und Parteigremien waren bald hinfällig. "Ich konnte doch nicht ahnen, dass die Partei nach der Bundestagswahl 2002 in eine Krise geriet und ein junges Talent aus Sachsen in den Bundesvorstand sollte." Ebenso wenig seien jetzt der vorgezogene Wahltermin und das neue Linksbündnis vorhersehbar gewesen.

Gehört man mit 27 noch zur "Jugendbrigade" in der PDS? Den Begriff kann Katja Kipping nicht ausstehen. Sie rechnet sich lieber zur Generation mit dem anderen Politikverständnis, mit dem Hang zur "emanzipatorischen" oder "kulturellen Linken", die sich von der mehr an materieller Umverteilung orientierten "sozialen Linken" unterscheide.

Ein anderer Arbeitsbegriff spiele hier eine Rolle, weniger an Vollbeschäftigung um jeden Preis als an pluralen, selbstbestimmten Lebensentwürfen orientiert. Nicht von ungefähr ist Kipping Vorsitzende des Netzwerks Grundeinkommen in der PDS. Vom "Recht auf Faulheit" überhaupt zu sprechen, bleibe in ihrer Partei natürlich heikel. Dabei böte eine Grundsicherung nicht nur mehr Chancen auf Selbstverwirklichung, sondern auch einen Weg aus der Erpressbarkeit der Arbeitnehmer. Gesinnungsgenossen finden sich übrigens im sächsischen LinXXnet, einem nicht nur virtuellen Zusammenschluss im Leipziger Raum.

Nach vier Tagen Sozialforum in Erfurt, dem Auftritt bei Christiansen in Berlin, einer Debatte über die Linkspartei mit 300 Zuhörern in Bremen und 16 Stunden Drehtag für den Werbespot wartet auf Katja Kipping noch eine Runde Tango im Dresdner "Gare de la Lune" mit der "Fernbeziehung". Von irgendwelchen Strapazen ist nichts zu bemerken. Kann man mit 27 noch jünger aussehen? Wie sie bei Christiansen die Attacke Thierses auf das PDS-Steuerkonzept mit stoischem Charme einfach weglächelte und mit einem ganz anderen Thema antwortete, schien abgeklärt und clever, als sei sie sich der weiblichen Unangreifbarkeit in Männerrunden intuitiv bewusst gewesen.

Eigentlich kann Kipping derartigen Talkrunden nicht viel abgewinnen. Das seien "keine ernsthaften Gesprächssituationen", bei denen es um den Austausch von Argumenten gehe. Momentan ließen sich ohnehin die meisten Attacken mit der Angst vor dem Linksbündnis erklären. Das hat Katja Kipping, nicht vom ersten, aber vom zweiten Tag an "ganz energisch unterstützt". Von der "Linkspartei" spricht sie so selbstverständlich, als benutze sie den Begriff seit Jahren. Pathetische Wendungen wie "historische Chance" sind ihr wie den meisten ihrer Generation fremd. Noch nicht einmal die praktischen Möglichkeiten, ab Herbst im Bundestag eine gerechtere Politik durchzusetzen, stehen für sie im Vordergrund. Bei der Frage nach den ersten Maßnahmen einer hypothetischen Alleinregierung des Linksbündnisses gerät die Vorsitzende der "Agenda sozial"-Arbeitsgruppe in der PDS eher in Verlegenheit. Auf Trotzki zieht sie sich zurück, der auch nicht an die Chance eines sozialistischen Modells in einem Staat allein geglaubt habe.

Am sinnvollsten in der noch fragilen Allianz mit der WASG erscheint ihr die Mobilisierung von Kräften, welche die PDS allein nie hätte ansprechen können. In der zu erwartenden Bundestagsfraktion dürften deshalb "Welten aufeinander prallen".

Ein unaufdringliches Selbstbewusstsein und das Lächeln der Mona Lisa sind auch dann nicht zu erschüttern, wenn die Rede auf den "Aufbau Ost" kommt. Hier wird es nun wirklich dünn. Ob und wie bis 2019 selbsttragende Länderhaushalte mit einer vernünftigen Steuerdeckung erreichbar seien? Ob ein solcher Aufholprozess in einem System, das auf dem Prinzip "Der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen" basiert, überhaupt denkbar sei? Da kommt von ihr nur der Gemeinplatz von den "strukturschwachen Regionen" in ganz Deutschland, die man unterstützen müsse. Das scheint nicht ihre Baustelle zu sein. Um so mehr aber fühlt sich Katja Kipping zuständig für die Rubriken Emanzipation, Freiheit, Gerechtigkeit - Lebenskunst und Charme in der Politik.


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