Der Polit-Shooting-Star dieser Wochen heißt nicht mehr Karl-Theodor zu Guttenberg, sondern Renate Künast – und Bündnis90/Die Grünen. Nie für möglich gehaltene Umfragewerte lassen Propheten schon mit dem süßen Grusel spielen, in Baden-Württemberg oder Berlin könnte die vormalige Turnschuhpartei die Regierungschefs stellen. Die Bundeshauptstadt fasziniert nicht allein wegen des absehbaren Duells Renate Künast gegen Klaus Wowereit, sondern auch weil die Grünen mit 30 Prozent zur stärksten Partei avancierten.
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./resolveuid/a48a6c67500019bd0f9aac3e2ad48e52/image_previewNun könnte man in Abwandlung eines alten DDR-Spruchs plakatieren: Von der Hauptstadt lernen heißt siegen lernen! Die grünen Wochen in Berlin lassen manche schon von einem Modell sprechen – für ganz Deutschland, selbst für den Osten, wo für die Grünen immer noch Nachholbedarf besteht. Hier, wo ein erheblicher Teil der Bevölkerung noch mit siegversprechenden Sprüchen vertraut ist, haben 40 Jahre DDR-Hauptstadtzirkus allerdings eine mentale Abneigung gegen jedes „Modell Berlin“ hinterlassen. Das ist jedoch nicht der einzige Grund, warum Spitzengrüne aus den seit 20 Jahren beigetretenen Ländern auf solche Gedankenspiele spontan mit einem „Immer schön auf dem Teppich bleiben!“ reagieren wie etwa Sachsen-Anhalts Landesvorsitzende Claudia Dalbert.„Was wäre denn ein ,Berliner Modell‘?“, fragt ihr sächsischer Kollege Volkmar Zschocke. Nach einer für die Grünen erfolgreichen Abgeordnetenhauswahl im September 2011 könnte man vielleicht darüber sprechen. Schließlich sind die Grünen am stärksten dort, wo sich ihre Stammklientel ballt, also in den urbanen Zentren, in Clustern des Wissenschafts-, Politik- oder Medienbetriebs. Eine Partei der Aufgeklärten für Aufgeklärte eben. Insofern bedeuten Rekordumfragewerte in Flächenländern wie Rheinland-Pfalz oder Baden-Württemberg viel mehr als die Berliner Zahlen.Partei der ZuzüglerAllerdings gibt es nirgendwo solche Mitgliederzuwächse wie in Berlin. Um 11,4 Prozent ist die Zahl der Parteimitglieder dort seit Jahresbeginn angestiegen. Das Berliner Sympathie-Gefälle vom Zentrum zu den Randbezirken bekräftigt jedoch auch in der Hauptstadt die These der grünen Dominanz in Metropolen. Spezifisch hingegen dürfte die Enttäuschung der Berliner über Rot-Rot sein, womit der grüne Boom auch immer wieder erklärt wird../resolveuid/f1286e201b1f52f7b4332604517185ac/image_previewMit Vorsicht zu behandeln sind Analogieschlüsse aus der Ost-West-Teilung der Hauptstadt. In Westberlin liegen die Grünen derzeit mit sagenhaften 34 Prozent nicht nur zehn Prozent vor der CDU, sondern auch zehn Prozent vor der Wählergunst im Ostteil. Ein ähnliches Verhältnis zeigt sich zwar auch zwischen den Flächenländern in West und Ost, doch die Berliner Unterschiede sind anders zu erklären. Eine Analyse der Freien Universität nach der Wahl 2006 zeigte, dass grüne Milieus vor allem bei den Kreativen, Selbständigen und Zuzüglern in die Hauptstadt zu finden sind. Da stechen eben Ost-Quartiere wie Pankow, Mitte und der Prenzlauer Berg heraus, in denen ein starker Bevölkerungsaustausch stattgefunden hat. Die „klassisch“-rebellischen Grünen sitzen weiterhin eher im ehemaligen Westen, also Kreuzberg oder Schöneberg.1990 erhielten die Grünen im Beitrittsgebiet noch die Impulse der unbeirrbaren Bürgerrechtler und Demokratieromantiker des „Bündnis 90“. Die Partei aber startete organisatorisch aus dem Stand und hatte keinen gewendeten DDR-Vorläufer. Ihre grüne Seite genoss beim Durchschnitts-Ossi noch weniger Ansehen als jene Vorbereiter der friedlichen Revolution, wie das Ergebnis der Volkskammerwahl 1990 zeigte. Das Etikett der wirtschaftsfeindlichen Verhinderungspartei klebte lange an den Grünen. Als Alternative erschien da eher noch die PDS.Nur ansatzweise finden spezifische Berliner Verhältnisse Entsprechungen im Osten. In der Dresdner Neustadt beispielsweise, der sächsischen Grünen-Hochburg, in der seit den Gründungszeiten der „Bunten Republik Neustadt“ ebenfalls vier Fünftel der Bewohner gewechselt haben. Landessprecher Volkmar Zschocke ist über diesen lokal begrenzten Zuwachs nicht einmal sonderlich glücklich. Denn die Flächenausdehnung ist und bleibt das zentrale Problem der Grünen im Osten. Hier ziehen Ballungszentren wie Dresden, Leipzig oder Jena erst recht die junge Intelligenz an. In der Fläche findet ein Braindrain hin zu diesen Punkten statt, und diesen Konzentrationsprozess spüren besonders grüne Kommunalpolitiker.Sehnsucht nach Konstanten„Wir sind noch ein gutes Stück von der Flächenwirkung entfernt“, konstatiert Claudia Dalbert für Sachsen-Anhalt. Die Thüringer Landtags-Fraktionsvorsitzende Anja Siegesmund gibt sich etwas optimistischer. Dank des Einzugs in den Landtag vor einem Jahr kommt die Parteiinfrastruktur mit zahlreichen Wahlkreisbüros voran. Das strahlt aus. Auch von einem Zuzug grüner Sympathisanten in der Fläche berichtet die Fraktionschefin. Handwerk und Gewerbe habe stellenweise schon „grünen Boden“. In Sachsen-Anhalt, wo die 555 Landesverbandsmitglieder alles für den Einzug in den Magdeburger Landtag zur Wahl am 20. März tun, „kochen wir dagegen strukturell noch auf extrem kleiner Flamme“, sagt Claudia Dalbert.Milieu-Unterschiede bleiben sichtbar. Luxusgrüne, jene saturierte Hedonistenschicht, die sich Öko-Fashion leistet, findet man im Osten nur ansatzweise. „Alles Idealisten hier, die voll hinter dem Programm stehen“, sagt Claudia Dalbert. Intern sieht man sich ohnehin im Osten wie im Westen als eine Partei der Konstanten, der Glaubwürdigkeit, des Engagements für eine lebenswerte Umwelt global wie vor Ort. Ein weiteres Erklärungsmuster gilt ebenfalls für die gesamte Republik: Die Verunsicherung durch die materielle wie ideelle Krise führe viele zu neuer Nachdenklichkeit, zur Suche nach dem Nachhaltigen und Bleibenden.„Unsere Politik muss dieser Erwartungshaltung aber auch entsprechen“, sagt der Sachse Zschocke. Deshalb sieht man vor allem in den ostdeutschen Landesverbänden noch lange kein grünes Land, warnt er vor allzu viel Euphorie und setzt auf beharrliche Arbeit. Kommen die Grünen in Berlin wirklich an die Macht, müssen sie die realen Probleme der Hauptstadt zu lösen versuchen. Und auch auf Entzauberungseffekte wie bei der Berliner Linken oder den Hamburger Grünen würde man lieber gern verzichten.