In der Literaturbranche gehört der Kulturpessimismus seit langem zum ideologischen Handgepäck. Hier wimmelt es von Alarmisten, die den Buchmarkt und die Verlagsszene stets im Jammertal ansiedeln und Hiobsbotschaften en masse produzieren. Ihnen gegenüber stehen die Berufsoptimisten aus den Verleger- oder Buchhandels-Verbänden, die eilfertig, und ohne Rücksicht auf ökonomische Faktizitäten, immer neue Wachstumszahlen in Umlauf bringen. Zu letzteren rechnete man bislang Dieter Schormann, den stets mit Fliege, grell farbigem Schal und zwei Armbanduhren bewaffneten Vorsteher des Börsenvereins des deutschen Buchhandels. Ausgerechnet Schormann schleuderte Ende Mai eine Katastrophennachricht in die Öffentlichkeit, die alle kulturpessimistischen Orakel i
Apokalypse Now
Torschlusspanik Zur aktuellen Krise bei den Literaturverlagen und im Buchhandel
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l ins Rotieren brachte. Der deutsche Buchhandel, so dekretierte Schormann, stecke in der größten Krise der Nachkriegsgeschichte und erwarte bis zu sieben Prozent Umsatzeinbußen. Sechs Wochen später, auf der Wirtschaftspressekonferenz des Börsenvereins, ruderte Schormann schon wieder zurück. Von einer existenzbedrohenden Krise war plötzlich keine Rede mehr, der apokalyptische Sound schon wieder zur weichen Hoffnungsmelodie abgedämpft. Zwar seien die Umsätze in den ersten fünf Monaten des Jahres 2002 um 2,1 Prozent zurückgegangen. Dies sei aber vor allem auf den Umsatzeinbruch bei Fachzeitschriften zurück zu führen, der Handel mit belletristischen Titeln, vor allem im Taschenbuchbereich, verzeichne schon wieder Zuwächse. Zu diesem Zeitpunkt hatte jedoch die unfrohe Botschaft von der großen Existenzkrise des Buches schon feuilletonistische Dignität erlangt. Jochen Hieber raunte in der FAZ von der "schwersten Stunde der Literaturverlage" und prognostizierte der Buchkultur ein "Debakel". Bezogen auf die Umsatzkrisen einiger Buchkonzerne, wie zum Beispiel der Ullstein-Heyne-List-Claassen-Gruppe des Verlags-Moguls Christian Strasser, deren intellektuelles Profil dem eines Gemischtwarenladens gleicht, trifft Hiebers Befund sicherlich zu. Aber schon bei der viel beredeten Krise des Stuttgarter Holtzbrinck-Imperiums, dem Verlage wie Rowohlt, S.Fischer und Zeitungen wie Die Zeit und Der Tagesspiegel zugehören, sind die Daten gar nicht mehr so eindeutig. Zwar fuhr zum Beispiel der Rowohlt Verlag in den vergangenen Jahren gewaltige Verluste ein und musste einen schmerzhaften Relaunch über sich ergehen lassen. Aber der seit Februar bei Rowohlt als Geschäftsführer amtierende Verleger Alexander Fest verweist beharrlich darauf, dass sein Vorgänger Peter Wilfert bei der Sanierung des Traditionshauses Rowohlt erfolgreich war - eines Unternehmens, das für 2002 mit insgesamt 610 Hardcover-Titeln und 3280 Taschenbüchern immerhin einen Gesamtumsatz von 60 Millionen Euro erwartet. Und wenn nicht alle Zeichen trügen, wird der in diesen Tagen erschienene US-Bestseller von Jonathan Franzen, Die Korrekturen, den Fest noch für seinen Alexander Fest Verlag akquiriert hatte, auch auf dem deutschen Markt zu einem Erfolgstitel. Andernorts versucht man die Erregung zu dämpfen. Eugen Emmerling, der scheidende Pressesprecher des Börsenvereins, vertritt die nüchterne Ansicht, dass es quer durch alle Größenklassen der Verlage Gewinner und Verlierer gebe. Eine Nachricht mit wenig Sensationswert, aber mit dem Vorteil der faktengestützten Wahrheit. Während etwa der Antje Kunstmann Verlag aus München, in dem Dauerseller wie Donata Elschenbroichs Weltwissen der Siebenjährigen erscheinen, für das angebliche Krisenjahr 2001 ein Umsatz-Plus von 35 Prozent meldet, verweist der Wagenbach Verlag auf erhebliche Umsatzeinbrüche von bis zu 20 % im Frühjahr 2002. Bei Schöffling Co., wo die Romane Burkhard Spinnens verlegt werden, sieht man im aggressiven Gebaren der großen Buchhandlungen und Buchkaufhäuser die eigentlichen Gefahrenquellen. Dort sei man dazu übergegangen, Verlagsvertreter kleinerer Häuser gar nicht erst zu empfangen oder ihre Bücher schon nach sechs bis acht Wochen wieder zu remittieren. Ungerührt von den Turbulenzen der Branche, scheinen Häuser wie Eichborn und DuMont ihre Bahn zu ziehen. Barbara Romeiser, Pressechefin bei DuMont, spricht gar von "einem deutlichen Plus" im Frühjahr 2002, dank so erfolgsträchtiger Titel wie Michel Houellebecqs Platform-Roman und einiger verlässlicher Klassiker aus dem Kunstprogramm des Verlags. Aber auch Romeiser verweist darauf, dass sich beim Ausbleiben eines Bestsellers in der jeweiligen Saison die Lage dramatisch ändern kann. Das verlegerische Erfolgsmodell schlechthin, das ambitionierte literarische Titel mit Ratgeber-Büchern und grob gestrickten Humor-Opuscula kreuzt, funktioniert indes weiterhin: der Frankfurter Eichborn Verlag. "Wir können nicht klagen", meint Wolfgang Hörner lakonisch, der Spiritus Rector bei Eichborn Berlin, der literarischen Delikatessenabteilung des Verlags. Hörner registriert "ein ganz normales Frühjahr", in dem sogar avancierte Erzählprosa wie die von Steffen Kopetzky (Grand Tour) ansehnliche Verkaufszahlen im vierstelligen Bereich erzielen konnte. Als "einen schweren Schlag für das Buchgeschäft" vermerkt Hörner das Ende Literarischen Quartetts, das nicht nur Auflagenerfolge garantiert, sondern den Höhenflug so manches Debütanten (etwa des hauseigenen Sven Regener mit Schwindel erregenden Verkaufszahlen) beschleunigt habe. Diese schöne Zeit der Höhenflüge für junge deutsche Autoren, glaubt Hanser-Chef Michael Krüger, sei spätestens im letzten Herbst zu Ende gegangen, und mit ihr die Periode der astronomisch hohen Autoren-Vorschüsse. Er könne sich nicht vorstellen, dass die so enthusiastisch gelobten Titel des Frühjahrs, die Romane und Erzählungen von Michael Lentz (S.Fischer) oder Ulrich Peltzer (Ammann), auch nur annähernd die Vorschüsse eingespielt und die Gewinnzone erreicht hätten. "Die Infrastruktur für ein Schriftstellerleben", so Krüger, "wird sich ändern, die fetten Jahre sind vorbei." Gerald Trageiser, der Leiter des Luchterhand Verlags, der im vergangenem Oktober von Random House Deutschland (Bertelsmann) übernommen wurde, verweist auf die gewaltige Strukturveränderung im deutschen Buchhandel als den entscheidenden Faktor in der virulenten Krise. Tatsächlich hat seit den siebziger Jahren ein Verdrängungsprozess im Buchhandel eingesetzt, wobei die Dominanz der Buchhandels-Ketten wie Thalia und Hugendubel mit verantwortlich ist für das in jüngster Zeit sich beschleunigende Sterben kleinerer Buchhandlungen. Mittlerweile sind die Buchkaufhäuser selbst ins Schlingern geraten und müssen sogar, wie zum Beispiel Hugendubel, Kurzarbeit in ihren Filialen einführen. Es ist zum alltäglichen traurigen Ritus geworden, dass eine renommierte Traditionsbuchhandlung nach der anderen, wie zum Beispiel Kiepert in Berlin, Insolvenz anmelden oder aber, wie soeben der Erlanger Universitätsbuchhändler Palm Enke, den Verkauf an den Branchenführer Thalia bekannt geben muss. Auch der literarische Nachbar Schweiz zeigt sich von der negativen Stimmung in der Branche infiziert. Egon Ammann etwa registriert für sein Haus gewisse Umsatzrückgänge, sieht die Lage aber bei weitem nicht so dramatisch, wie es die publizistische Begleitmusik suggeriert. Er vertraue, so Ammann, weiterhin auf "die Lotsenarbeit" der engagierten Buchhändler. Im Unionsverlag glaubt man gar, dass die Krise des deutschen Buchhandels in der Schweiz noch gar nicht richtig angekommen ist. Bei den Umsatzzahlen des Frühjahrs seien bislang keine wesentlichen Abweichungen von denen des Vorjahres festzustellen. Eine überraschende Einschätzung insofern, als selbst der einsame Branchenführer Diogenes trotz seiner Bestseller-Garanten Donna Leon und Bernhard Schlink einen spürbaren Umsatz-Rückgang im Frühjahr 2002 (6,3 Prozent) verzeichnet. Für den Nagel Verlag, der vor vier Jahren unter das Dach von Hanser schlüpfte, war die soeben vollzogene Auslagerung der organisatorischen Verlagsbereiche ins Mutterhaus nach München fast eine Art Rettungsaktion. Denn für den Verlag, der mit seinen anspruchsvollen Titeln (etwa der Werkausgabe des Schweizer Autors Kuno Raeber) eher knappe Margen erzielt, gingen die Umsatzeinbussen des Frühjahrs (ca. 8 Prozent) schon an die Substanz. So bleibt wohl als Fazit nur der kühle Befund von Luchterhand-Chef Gerald Trageiser, der darauf hinweist, dass allein Verlage wie Diogenes oder Hanser mit ihren derzeitigen "Hoch-Umsatz-Trägern" Umberto Eco, Philip Roth oder eben Donna Leon in aktuellen Krise wirtschaftlich reüssieren können. Trageiser selbst hatte ja noch vor dem Verkauf seines Hauses an Random House Deutschland die Kühnheit besessen, die berühmte Taschenbuchreihe "Sammlung Luchterhand" wieder aufleben zu lassen. Bei den Lyrik-Titeln, mit denen das Programm gestartet wurde (Ulrike Draesner, Norbert Hummelt), kann man sogar auf beachtliche Verkaufszahlen von je 2000 Exemplaren verweisen. Aber mit solchen Zahlen kann man den neuen Rentabilitäts-Rechnern der Branche wohl nur ein Stirnrunzeln entlocken. Solange die Branche insgesamt mit der immer weiter angeheizten Überproduktion fortfährt - im vergangenen Jahr erreichte man mit 89 986 Neuerscheinungen einen neuen Rekord - wird die ersehnte Rentabilität ausbleiben. Daran wird auch die rasche Berufung des ehemaligen Random-House-Geschäftsführers Volker Neumann zum neuen Buchmessen-Chef zunächst nichts ändern. Neumann avancierte während seiner dreiundzwanzig Bertelsmann-Jahre zum absoluten Marketing-Profi, ein Mann mit glänzenden Kontakten zum Buchhandel, der als großer Inszenierer gilt. Mit dieser grauen Eminenz versucht man nun dieser Branche den so dringend benötigten Optimismus zu implantieren.
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