An Weihnachten neigt die slowenische Dichterin und Journalistin Marusa Krese zu Verzweiflungstaten. Wenn sich in den Wohnzimmern im alten Europa alles festlich zurüstet und das Offenbarungsereignis der Heiligen Familie beschworen wird, bekommt die zwischen Berlin und Ljubljana pendelnde "postjugoslawische Nomadin" keine Luft mehr. Dann bricht sie am Heiligen Abend mit ihren Kindern zu strapaziösen Flug- oder Auto-Reisen auf oder verriegelt die eigene Wohnung und schützt Arbeit vor, damit sie nicht von notorisch freudestrahlenden Gesichtern heimgesucht wird, die sie mit den Botschaften eines falschen Glücks beschenken wollen.
Diese wilde Fluchtbereitschaft angesichts von Friedens- und Lebkuchen-Freuden hat mit der Biografie der 1947 in Ljubljana geborenen Autorin zu tun. Aufgewachsen in einer atheistisch-kommunistischen Familie, die im Zweiten Weltkrieg unter der Brutalität der deutschen Besatzer zu leiden hatte, war das Weihnachtfest in ihrem Elternhaus tabu. Pünktlich zum Heiligen Abend verschwanden die Eltern zur Parteiversammlung, weil es die kommunistische Parteiräson so vorsah. Das Wort "Weihnachtskuchen" durfte nur flüsternd ausgesprochen und die Bescherung musste bis zum Silvesterabend vertagt werden. Als Marusa Krese in den Achtzigerjahren ihre Heimatstadt verließ und als Psychotherapeutin zuerst nach Tübingen und dann nach 1990 als freie Autorin nach Berlin ging, wurde sie am Ende eines Jahres regelmäßig von diesen Weihnachts-Neurosen eingeholt. Der Heilige Abend blieb für sie ein trauriges Elementarereignis, an dem entweder groteske Unternehmungen auf der Tagesordnung standen oder ihre Patchwork-Familie wieder mal aus den Fugen ging.
Vor ein paar Jahren hat Marusa Krese diese Weihnachts-Peinigungen schon einmal zum Gegenstand eines Radio-Features gemacht. Nun hat sie ihre Weihnachts-Erfahrungen aus 50 Jahren in lakonischen Prosaminiaturen zusammengefasst und in eigenwilliger Kombinatorik zu einer privaten Chronik des vorenthaltenen Glücks gebündelt. Die Einblicke in die absolut nicht gnadenbringende Weihnachtszeit setzen nicht mit den Urszenen der Kindheit ein, sondern mit den wilden Wanderjahren Marusa Kreses zwischen Iowa City, Boston und San Francisco, als sie Anfang der siebziger Jahre an der Seite ihres damaligen Ehemannes, des vielfach preisgekrönten Dichters Tomas? S?alamun, durch Amerika zog. 30 Jahre später traf sich das längst geschiedene Dichterpaar in Berlin wieder, als S?alamun als Stipendiat in der Uhlandstraße weilte und Gelegenheit hatte, Marusa Krese und den gemeinsamen Sohn, den gleichfalls literarisch ambitionierten David S?alamun wiederzusehen.
Über die Jahre der Trennung hat Marusa Krese in ihren Weihnachts-Miniaturen wenig Schmeichelhaftes zu berichten. S?alamun taucht nur anonym als "der Dichter" auf, der durch ständige Abwesenheit glänzt und die (ehemalige) Ehefrau als "Rabenmutter" qualifiziert. Überhaupt geben die Ehemänner als hoffnungslose Narzissten in diesen Aufzeichnungen eine miserable Figur ab. Mit der Betreuung der drei Kinder allein gelassen, wird die Erzählerin stets auf ihre Einsamkeit zurückgeworfen, wenn die Weihnachtszeit heranrückt.
"Was bedeutet der Heilige Abend? Etwas Schönes oder etwas Furchtbares?" Die Frage vermag die Erzählerin immer nur punktuell und für den jeweiligen Weihnachtsabend gültig zu beantworten. Jeder neue Anlauf zur Weihnachts-Bilanz bringt neue Selbstvergewisserungen hervor. Es gibt Momente, da die Verzweiflung ganz dicht an die Erzählerin heranrückt und sich ein Abgrund zu öffnen scheint: "ich habe all die Schmerzen, all den Wahnwitz und die Qualen satt, doch ich habe noch gar nicht wirklich gelebt." Eine markante Erfahrung des Schreckens wird auch der Weihnachtsabend 1993 im belagerten Sarajevo, als Marusa Krese die Illusionen vom vormals angeblich geglückten Zusammenleben von Kroaten, Moslems und Serben zusammenbrechen sieht: "Heute, zu Weihnachten, schlagen so viele Granaten ein, und die Scharfschützen sind in einem fort am Schießen, so dass man den Krieg vergisst und glaubt, es ist Silvester in einer ruhigen Weltgegend." Ein paar Kapitel weiter drängen dann Flüchtlinge aus Sarajevo in die Berliner Wohnung Kreses und plötzlich sind auch die Illusionen wieder da: In den Erinnerungen der Emigranten verklärt sich das alte Sarajevo zum Paradies. Gegen solche Momente der Verblendung setzt dieses Buch die vielen Weihnachts-Augenblicke einer slapstickhaften Komik, in denen die Erzählerin gewaltsam einen Weihnachts-Zauber herbeizwingen will und dann aber der mühsam herbei geschleppte Baum die Treppen hinunterpurzelt oder die Patchwork-Familie ein völlig missratenes Festessen inszeniert. Bei all der Leichtigkeit und ironischen Lakonie solcher Momente und bei allem Spott über die Fest-Hysterie ist in den Weihnachts-Miniaturen Marusa Kreses doch immer eine Sehnsucht spürbar - eine Sehnsucht, dass ein spirituelles Geheimnis erfahrbar sein möge an jenem lebensweltlich doch meistens un-heiligen Abend.
Marusa Krese: Alle meine Weihnachten. Aus dem Slowenischen von Fabjan Hafner. Drava, Klagenfurt 2006. 128 S., 16,90 EUR
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