Genossen Nachkommen, Achtung! (unterbrecht eure Verrichtung!) / Der Agitator, der Anführer, der Schreihals gibt Bericht. / Übertäubend die rauschenden Ströme der Dichtung / überschreit ich der Gedichtbändchen papierne Schichtung - / wie ein Lebender, der mit Lebenden spricht.
Die "Genossen Nachkommen" ließen sich nicht lange bitten. Kaum war der "Schreihals" tot, beeilten sie sich, ihn ins Mausoleum der kommunistischen Staatsdichter abzuschieben. Aber die Schreihals-Attitüde war oft nur ein Täuschungsmanöver des Autors, um von den eigenen verheerenden Melancholien abzulenken. Wladimir Majakowski war ein Meister der effektvollen Posen und Maskenspiele, hinter denen er seine innere Zerrissenheit verbergen konnte. Der "Agitator", der sein lyris
or", der sein lyrisches Ingenium der propagandistischen Volksaufklärung unterstellt, und der literarische "Anführer" und "Trommler der Revolution", der mit rhapsodischem Furor alle Zweifel und Grübler zur vorbehaltlosen Begeisterung für den Kommunismus hinreißen will - das waren die Rollen, die er beherrschte und bis zu seinem Ende virtuos durchspielte.Mit vollmundigen Traktaten war der Förstersohn aus der westgeorgischen Provinz dereinst in die russischen Metropolen gestürmt, um als eitler Dandy der Avantgarde die Revolution der Literatur zu beschleunigen. Schon der Neunzehnjährige hatte sich auf dem extrem "linken" Flügel des sogenannten Futurismus positioniert, um von dort aus einige Sprengsätze in das Gebäude der russischen Literatur zu werfen. Innerhalb weniger Jahre verwandelte sich dann der snobistische Malerschüler und Bohemien zum getreuesten und eloquentesten Parteigänger und literarischen Repräsentanten der russischen Revolution.Majakowski hat zahlreiche Genres politischer Poesie erfunden und ihre Möglichkeiten bis zur Erschöpfung durchgespielt: das agitatorische Plakat, die anonyme Spruchdichtung, den satirischen Spottvers, den revolutionären Gassenhauer oder das kommunistische Mysterienspiel. All diese Gattungen der Agitationskunst können wir heute nur noch als besonders abschreckende Exempel eines literarischen Hofschranzentums wahrnehmen, als historisch unendlich fern gerückte Dokumente aus der Literaturgeschichte des Herrscherlobs. Seit Stalin den toten Majakowski als den "besten, talentiertesten Dichter der Sowjetepoche" in die kommunistische Ahnengalerie aufgenommen hat, ist er für uns heutige Leser nur noch als literarischer Hofnarr präsent, nicht mehr als jene unerhörte poetische Begabung, die er auch noch in seiner tiefsten bolschewistischen Verblendung gewesen ist.Ein Abglanz des von Stalin beförderten Majakowski-Kults strahlte interessanterweise bis in die Bundesrepublik der sechziger Jahre aus, wo der österreichische Essayist Hugo Huppert mit seinen Übersetzungen und affirmativen Artikeln das Majakowski-Bild prägte. Als zeitweiliger Weggefährte des Dichters in seiner "Linksfront"-Phase hat Huppert in der wohl bekanntesten Majakowski-Studie, die erstmals 1965 in der Reihe rowohlts monographien erschien und viele Nachauflagen erlebte, eine stark parteikommunistisch gefärbte Lebensbeschreibung vorgelegt. Huppert führt den Lebensweg Majakowskis als glücklichen Reifungsprozess vor, der nach den frühen futuristischen Verirrungen im literarischen Wirken für die Revolution seine Erfüllung und Vollendung findet. Wer sich indes das Leben des "Trommlers der Revolution" genauer ansieht, der entdeckt einen von inneren Widersprüchen zerrissenen Dichter, der sich noch in der Phase der forcierten Revolutions-Apologetik nicht freimachen kann von tiefen Ambivalenzen und Melancholien.Einen von falschen Heroisierungen und Ressentiments freien Blick auf den Dichter ermöglicht erst jetzt, siebzig Jahre nach dem Selbstmord Majakowskis, die Studie der Berliner Slawistin Nyota Thun. Schon im einleitenden Kapitel ihrer Biographie analysiert Thun die Legendenbildungen, denen bisherige Majakowski-Biographen willig erlegen sind. So gleicht etwa die Jugendgeschichte des Dichters, wie sie Thun anhand der wenigen Lebenszeugnisse nacherzählt, mehr einem Märchen von der wundersamen Selbstzeugung eines poetischen Revolutionärs als einer an Illusionen und Verwirrungen reichen Pubertätsgeschichte. Denn Majakowski erscheint schon als Frühvollendeter auf der Bühne des politischen Kampfes. Um die Jahreswende 1907/1908 bricht er seine Schulausbildung ab und schließt sich der Sozialdemokratischen Partei Russlands an. Als Propagandist will er in Moskau den Handwerkern und Bauern die höheren Wahrheiten des Marxismus nahebringen, wird aber schon im März 1908 zum erstenmal verhaftet und in den folgenden Monaten noch zweimal von der zaristischen Geheimpolizei inhaftiert. Die harten sechs Monate seiner Einzelhaft nutzt er zur Beschleunigung seiner literarischen Sozialisation. Im rasenden Selbststudium absolviert er die Lektüre von Shakespeare, Tolstoi, Byron und Gogol - um nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis sofort den Eintritt in die Welt der Kunst und der Literatur vorzubereiten.In der Lehranstalt für Malerei, Bildhauerei und Architektur lernt der junge Majakowski rasch die Alphabete der künstlerischen Selbstinszenierung. Im schwarzen Baumwollhemd, umgürtet von einer Kordel, im breitkrempigen schwarzen Malerhut und einer glänzenden Satinschleife um den Hals, präsentiert er sich als Bohemien. Auch zu den Kreisen der literarischen Avantgarde findet er rasch Zutritt und stilisiert sich mit seinen Kombattanten Welimir Chlebnikow, David Burljuk und Alexander Krutschonych zum Himmelsstürmer des russischen Futurismus. In hochfahrenden Texten agiert der Neunzehnjährige 1912 als lyrischer Bürgerschreck, der in seinen Gedichten die Perspektive der kubistischen Maler in bizarre Wortlandschaften transformiert. Als Sänger der Stadt trägt er seine expressiv überhitzten Poeme in einem kraftvollen Deklamationsstil vor, der zu einem Markenzeichen wird. Zur futuristischen Provokation gehört eben auch jenes rhapsodische Deklamieren, das Majakowskis Weggefährte Krutschonych mit trockenem Witz charakterisiert hat: "Vorsicht! Da brüllt ein Menschenfresser!"Aber Majakowski brüllte bald nicht mehr für die Avantgarde, sondern für die Revolution. Die Werke des Übergangs, die von sinnlich brodelnder Metaphorik überschäumen und in denen sich das Ich noch nicht in einem kollektiven "Wir" aufgelöst hat, sind die eigentlichen Meisterwerke des Dichters Wladimir Majakowski. Es sind die 1914 und 1915 entstandenen Poeme Wolke in Hosen und Die Wirbelsäulenflöte, in denen ein reizbares, rauschbereites Ich seine von überall her andrängenden Eindrücke zu ordnen versucht. In diesen poetisch überaus produktiven Sommer 1915 fällt auch Majakowskis Begegnung mit dem russischen Künstlerpaar Ossip und Lili Brik. Lili Brik war die unglückliche Liebe seines Lebens - alle Versuche, mit der überirdisch Verehrten eine erotische und literarische Symbiose einzugehen, endeten mit regelmäßigen Zerwürfnissen. Einen Ausweg aus dem grausamen Liebesschmerz bietet Majakowski die Hingabe an die Revolution.Als die Bolschewiki dann das Winterpalais in Sankt Petersburg stürmen, gerät Majakowski jedoch sehr bald in Konflikt mit den literaturpolitischen Direktiven der neuen Kulturkommissare, deren Vision von der kommunistischen Weltordnung er zuvor so leidenschaftlich unterstützt hatte. Als der Dichter nämlich begriff, dass die Bolschewiki von der Literatur keine autonom-schöpferische Eigendynamik, sondern zuallererst ideologischen Flankenschutz in Gestalt des "sozialistischen Realismus" erwarteten, ließ er alle seine Ideale einer freien Kunstentwicklung fallen und unterwarf sich vollständig den kulturpolitischen Imperativen des Regimes. Die futuristische Ästhetik des Schocks wurde einem Konzept der Agitation und der politisch diensteifrigen "Produktionskunst" gewidmet. Zwei Jahre lang dichtete er agitatorische Massenware am Fließband. Diese Selbstaustreibung des Autors aus seinem Werk legitimierte Majakowski mit der tristen These, Anonymität und Kollektivität seien die einzig angemessene Form revolutionärer Dichtkunst.Es gehört mit zur Tragödie des Dichters Majakowski, dass er in den zwanziger Jahren versucht, die alarmierenden Zeichen des Terrors zu übersehen. Als sich im Dezember 1925 Majakowskis Antipode, der Dichter Sergej Jessenin, das Leben nimmt, will er diesem Tod posthum einen geschichtlichen Sinn abgewinnen. Aber gegen die eigenen Intentionen drängen eine tiefe Enttäuschung und Todessehnsucht des lyrischen Ich an die Textoberfläche. Denn der Nachruf auf den toten Dichterkollegen liest sich wie eine poetische Antizipation des eigenen Freitods. Schon in diesen Versehen deutet sich die Tragödie des Dichters Majakowski an, der seine ganze Existenz dem Dienst an der Revolution geweiht hatte und an ihrer Logik der Gewalt zerbrach: Stumm / ist ihr Mund. / Für immer. / Wir verwaist. // Es gibt noch / wenig Lust / auf unserm Stern. / Man muss / die Freude / aus der Zukunft / reißen. / In diesem Leben / stirbt man leicht und gern. / Bedeutend schwerer ist: / das Leben meistern.Hugo Huppert: Wladimir Majakowski. (rowohlts monographien), Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg,140 S., 12,90 DM Nyota Thun: Ich - so groß und so überflüssig. Wladimir Majakowski - Leben und Werk. Grupello Verlag, Düsseldorf 2000, 384 S., 48,- DM
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