Phänomenal vor die Hunde

Peter Rühmkorf wird 70. Es scheint zu den ungeschriebenen Gesetzen des poetischen Handwerks zu gehören, dass genialische Dichter, selbst wenn es sich um dialektisch ...

Es scheint zu den ungeschriebenen Gesetzen des poetischen Handwerks zu gehören, dass genialische Dichter, selbst wenn es sich um dialektisch versierte Reimkünstler und Formartisten handelt, irgendwann im Alter zu ihrer eigenen Parodie werden. Der eingeborene Widerstand gegen die Verwendung der nächstliegenden Pointe, des billigen Witzes lässt nach, die lyrische Lässigkeit und Lustigkeit drängt raumgreifend vor und räumt die Barrieren ab, die man zuvor noch gegen vorschnelles Einverständnis - auch mit sich selbst - errichtet hatte. Die ostentativ unfeierliche Lyrik des späten Benn hatte noch den Vorteil, gegen allzu viel Erhabenheit und Bedeutungsschwere der gerühmten "Statischen Gedichte" lyrische Konterbande in Form von losen Alltags-Gesängen einzuschmuggeln.

Bei dem begabtesten Schüler Gottfried Benns, dem ewigen Hamburger "Linksausleger", "Elbromantiker" und aufklärerisch gestimmten Dauer-Gaukler Peter Rühmkorf, hat sich die riskante Lust an der kunstvollen Banalisierung von Volksliedstrophe, Knittelvers und Kalauer mittlerweile bedenklich verschärft. "So alte Dichter, Gotterbarm, / auch alternde Composer, / die einen werden täglich harm- / die andern umstandsloser." Gegen die ironische Diagnose, die der späte Rühmkorf den gealterten Künstlern stellt, ist auch sein eigenes Werk nicht immun. Was Rühmkorf bislang immer ausgezeichnet hat: die ironisch-parodistische "Übernahme und Abstandnahme" von traditionellen Versgebilden, das artistisch-melodiöse Ineinander von hohem und niedrigem Ton, verschenkt er in den "vorletzten Gedichten" seines jüngsten Werkes an ein oft stupides Durchexerzieren von altherrenerotischen Gelegenheitspoemen und gewaltsam lustigen Capriccios. Wenn nun der späte Rühmkorf seine "abdruckwürdigen Petitessen", seine versifizierten Kartengrüße, "Fünffingerverse", Chansons und Kalauer vorzeigt, mag ihm "ein Platz im Himmel ... bei Bellmann, Benn und Ringelnatz" sicher sein - obgleich er viel weiter an den satirischen Moritaten- und Nonsens-Dichter Ringelnatz herangerückt ist, als ihm vielleicht lieb ist.

Wie sich die Verbindung von "Schönheit und Schock" wirkungs- und ausdrucksvoll herstellen lässt, demonstriert dagegen ein Gedicht aus Rühmkorfs Debütband "Irdisches Vergnügen in g". Vor vierzig Jahren hat Rühmkorf hier ein so makelloses wie verstörendes Wortkunstwerk geschaffen, in der eine Kollision von Form und Inhalt inszeniert wird. Die friedliche, mit traditionellen Kreuzreimen operierende Volksliedstrophe nutzt der Autor hier zur Evokation schockierend unfriedlicher Ereignisse. Wo Naturseligkeit sich auszubreiten scheint, angedeutet durch romantischen Mondschein und "silbernen Sternenrogen", zerstört sie der Autor jäh durch Verse, die auf die Realität des Krieges und barbarische Exekutionen hindeuten. Schon der Titel des Gedichts annihiliert jede feierliche Seelenstimmung, die lakonische Sentenz "Phänomenal vor die Hunde" verweist gleich zu Beginn auf den Illusionsverlust einer ganzen Generation, die für den faschistischen Traum von der Eroberung des Ostens instrumentalisiert wurde. Die schroffste Dissonanz gelingt Rühmkorf mit den grimmigen Zeilen "Schön ist der Mond über Polen / einen Genickschuß lang" - eine Fügung, die noch der späte Heiner Müller bewunderte ob ihrer diagnostischen Kälte. In der abschließenden Strophe arbeitet Rühmkorf nicht mehr mit harten Antithesen, sondern bezeichnet mit einer ambivalenten Metapher die Stimmungslage seiner Generation, die sich, wie es der Titel einer von ihm damals herausgegebenen Zeitschrift heraufbeschwört, existenzialistisch gestimmt "zwischen den Kriegen" bewegt. Die "feuerfarbenen Träume" verheissen eine gefährdete und gefährliche Übergangszeit, ein "magisches Interim", aus dem erneut Ungeheuer aufsteigen können.

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