Amerikanismus

Gebot der Stunde Fünf Thesen zur Ideologie der Willigen und zur Realität des Imperiums

I.

Jedes Ritual enthält eine Botschaft. Wer die Vereinigten Staaten kritisiert, muss zunächst jeglichen Antiamerikanismus von sich weisen - das ist das Ritual. Nur was steckt dahinter? Warum wird der Verdacht des Anti-Amerikanismus immer wieder erhoben, obwohl die Reaktion des Beschuldigten doch immer wieder dieselbe ist? Scheinbar geht es nur darum, die Kritiker der Vereinigten Staaten in eine Position der Rechtfertigung zu drängen und ihren Einwänden die Kraft zu nehmen. Zugleich aber, und das ist der eigentliche Sinn dieses scheinbar harmlosen Spiels, wird der Amerikanismus der Ankläger jeglicher Kritik und Analyse entzogen.

II.

Nicht der vermeintliche Anti-Amerikanismus der Kritiker, sondern der Amerikanismus der »Willigen«, so sei behauptet, ist eine Ideologie: Die unilaterale Weltmachtrolle der USA soll als universales Menschheitsinteresse legitimiert werden. Samuel Huntington bringt diese Position auf den Begriff, wenn er schreibt: »Ohne die Vorherrschaft der USA wird es auf der Welt mehr Gewalt und Unordnung und weniger Demokratie und wirtschaftliches Wachstum geben, als es unter dem überragenden Einfluss der Vereinigten Staaten auf die Gestaltung der internationalen Politik der Fall ist. Die Fortdauer der amerikanischen Vorherrschaft ist sowohl für das Wohlergehen und die Sicherheit der Amerikaner als auch für die Zukunft von Freiheit, Demokratie, freier Marktwirtschaft und internationaler Ordnung in der Welt von zentraler Bedeutung.«

III.

Während Marx vor 160 Jahren die historische Mission des Proletariats erfand, wird heute die Ideologie der welthistorischen Mission der USA vertreten. Wo Marx in der Arbeiterklasse einen sozialen Akteur gefunden zu haben glaubte, der durch die eigene Befreiung zugleich »alle unmenschlichen Lebensbedingungen der heutigen Gesellschaft« aufheben würde, so sieht der Amerikanismus in den USA einen globalen Akteur, der gerade durch seine Herrschaft zur Befreiung aller anderen von den schlimmsten Übeln der Welt beitragen würde. Anstelle des Stoßes der Gerechtigkeit von unten (Ernst Bloch) wird die Durchsetzung der Gerechtigkeit von oben erwartet. Dies sollte nun jede und jeden mit mindestens genauso viel Misstrauen erfüllen wie die suggestive Losung von der historischen Mission der Arbeiterklasse.

IV.

Der herrschende Machtblock in den USA ist dabei, seine eigene Vormacht auszubauen und unangreifbar zu machen. Im Unterschied zum hegemonialen Amerikanismus der Clinton-Ära wird ein imperialer Amerikanismus durchgesetzt, der sich vor allem auf direkte Gewalt und unilaterales Handeln unter Aussetzung des Völkerrechts stützt. Für die Vereinigten Staaten reklamiert die Bush-Administration die uneingeschränkte Souveränität und das globale Gewaltmonopol. Allen anderen Staaten bleibt bestenfalls beschränkte Souveränität oder - bei Bedarf - die Verwandlung in ein Protektorat.

V.

Dieser imperiale Amerikanismus kann auf die nackte Gewalt setzen, aber seinen Anspruch damit nicht begründen. Wer sich auf Freiheit, Menschenrechte, Demokratie und freie Märkte beruft, aber dann zu Mitteln greift, die im konkreten Fall jeweils Unterordnung unter die USA, Verletzung aller Rechtsnormen und monopolistischen Zugriff auf wesentliche globale Ressourcen beinhalten, gerät zwangsläufig in eine Legitimationsfalle. Der Anspruch, dass die USA nicht nur ihre eigenen Interessen, sondern auch die Werte der Weltgemeinschaft vertreten, ist seinerseits durch keinerlei demokratische Prozeduren, sondern nur durch eine Behauptung legitimiert: Die absolute Vormacht der USA sei die beste aller Möglichkeiten, weil angesichts der Ohnmacht aller anderen Staaten Terror und Destabilisierung drohe. Statt aber für eine stabilere Welt zu sorgen, forciert der imperiale Amerikanismus genau das, was er einzudämmen vorgibt. Allmählich wird sichtbar, was das bedeutet: eine entzivilisierte Welt mit einem Imperator, der seine Willkür mit der Gewalt begründet, die er selbst erzeugt. Gegen diese barbarische Vision Freiheit, Selbstbestimmung und internationales Recht zu verteidigen, ist das Gebot der Stunde.

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