Ihre Älteste macht gerade Schüleraustausch in England, der Drittälteste geht seit September aufs Gymnasium, die Jüngste kommt nun bald in die Kita. Früh gründete die Autorin eine Familie, und heute, 37-jährig, erlebt sie das Muttersein in sehr verschiedenen Stadien zugleich. Unser Gespräch führen wir bei ihr in der Küche. Ab und zu springt die Jüngste herein und protestiert zum Beispiel, weil sie noch nicht ohne hochgehoben zu werden an die Espressomaschine kommt, an der sie so gern herumdrückt. Wenn man sie lässt, macht sie einen köstlichen Cappuccino. Dann trinkt sie selbst einen Schluck Kräutertee und geht wieder mit dem Vater spielen, während die Autorin und ich weiter über das neue Buch reden. Wir kennen uns seit Jahren, wie man sich eben „aus dem Betrieb“ kennt. Seit sie in Berlin ist, haben wir uns ein paar Mal auch mit Kind und Kegel getroffen.
Eine Art Marke
„Sie soll Alina Bronsky heißen.“ Mit diesen Worten stellte sie 2008 ihrem Verlag das Pseudonym vor, unter dem sie ihr Romandebüt veröffentlichen wollte. Noch immer spricht sie von Alina Bronsky oft in der dritten Person. Der Roman hieß Scherbenpark und wurde nicht, wie der Verlag mehr oder weniger fest eingeplant hatte, mit dem Bachmann-Preis garniert. Viel besser: Die Geschichte um die junge Russlanddeutsche Sascha, die sich am Mörder ihrer Mutter rächen will und lernt, ihren Hass zu besiegen, machte Alina Bronsky zum Phänomen. Ein Publikumsliebling mit lakonischer, handfester Sprache – dabei als Stimme so eigenartig und als Erscheinung so geheimnisvoll, dass auch das Interesse des Literaturbetriebs nicht verflog.
Die Person hinter dem Phänomen wirkte scheu, in sich gekehrt. Wenn sie sprach oder vorlas, dann konzentriert und zurückhaltend, und über ihr Lächeln konnte man rätseln, ob es ausgesucht höflich oder abgründig ironisch war oder beides zugleich. Ihre öffentlichen Auftritte sind lange Zeit rar geblieben. „Ich bin ja die Autorin, die nie kann“, sagt sie dazu heute. Allerdings publizierte sie in einem rasanten Rhythmus. In ihrem zweiten Roman, Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche, machte sie eine sensationell krawallige junge Großmutter aus Tatarstan zur Erzählerin und erweiterte damit ihre Prosa, die von Rezensenten natürlich gern „Bronsky-Beat“ genannt wurde, um ein virtuos komisches Register. Es folgten Spiegelkind und Spiegelriss, zwei dystopische Jugendbücher um das sterile Leben in der „Normalität“, um aufmüpfige „Freaks“ und verteufelte „Pheen“. Da sie für Bronsky-Verhältnisse im Verkauf eher schwächelten, brach sie die als Trilogie angelegte Geschichte nach dem zweiten Band ab. „Die meisten wichtigen Figuren hatte ich eh schon sterben lassen“, sagt sie. In Nenn mich einfach Superheld war dann ihr Protagonist erstmals männlich, wurde jedoch von einer weiblichen Nebenfigur, der Ukrainerin Tamara, locker in den Schatten gestellt – obwohl diese Tamara erst in der zweiten Hälfte der Geschichte überhaupt auftaucht.
Während sie noch an Superheld schrieb, erklärte die Autorin mir einmal, dass sie Alina Bronsky als eine Art Marke betrachte. Was ein Buch Marke Alina Bronsky ausmache, seien „schwere Themen“, dargeboten in eher schnodderigem Ton, starke Frauengestalten und „immer was mit Russen oder Menschen aus der Ex-UdSSR“.
Ihren jüngsten Roman, Baba Dunjas letzte Liebe – über eine Gemeinschaft von störrischen Alten, die es sich nicht nehmen lassen, ihren Lebensabend in der „Todeszone“ um den Reaktor von Tschernobyl zu verbringen –, reduzierte sie sogar ganz auf diese Zutaten, baute daraus einen schwirrenden Mikrokosmos und landete wieder einen Bestseller. Erst ein halbes Jahr ist das her.
Und nun legt Alina Bronsky plötzlich ein Sachbuch vor. Es ist zugleich das erste Buch, das sie nicht allein verfasst hat. Ihre Koautorin Denise Wilk war zuvor nicht schreibend in Erscheinung getreten. Sie arbeitet als Doula, das heißt, als private Geburtsbegleiterin. Es ist ein Berufsbild, das in den 70er Jahren in den USA aufkam: zum einen, um den Mangel an professionellen Hebammen auszugleichen, zum anderen, um an die uralte, weltumspannende Tradition anzuknüpfen, dass erfahrene Mütter den Gebärenden zur Seite stehen. Denise Wilk hat selbst sechs Kinder, zusammengezählt haben die beiden Autorinnen zehn. Ihr Buch heißt Die Abschaffung der Mutter.
Darmstädter Echos
Die Autorin, die sich Alina Bronsky nennt, wurde 1978 in Swerdlowsk, dem heutigen Jekaterinburg, geboren. Mit 14 Jahren kam sie zusammen mit ihren Eltern nach Deutschland. Schon als Kind schrieb sie gern, natürlich auf Russisch. „Umgestellt“ habe sie dann, sagt sie, „irgendwann nach der Auswanderung, als ich mir des Deutschen sicher war. In der Zeit dazwischen habe ich wahrscheinlich gar nicht geschrieben.“ Ganz akzentfrei ist ihr Deutsch auch heute nicht: Hört man genau hin, kann man eine leichte hessische Einfärbung wahr-nehmen. Als junge Mutter brach sie ein Medizinstudium ab und arbeitete unter anderem für die Lokalzeitung Darmstädter Echo. 2008 erregte sie mit ihrem Roman-debüt Scherbenpark Aufsehen. Zwei Jahre später folg-ten Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche, 2012 und 2013 dann die Jugendbücher Spiegelkind und Spiegelriss.
Der Vater ihrer ersten drei Kinder kam bei einem Bergunfall ums Leben. Vor knapp drei Jahren zog Alina Bronsky von Darmstadt nach Berlin, seitdem lebt sie mit den Kindern und dem Schauspieler Ulrich Noethen, dem Vater ihrer jüngsten Tochter, in Schöneberg. Ebenfalls 2013 erschien ihr Roman Nenn mich ein-fach Superheld, und Bettina Blümners Scherbenpark-Verfilmung kam ins Kino. Vergangenen Herbst erst wurde Bronsky für Baba Dunjas letzte Liebe ge-feiert, die Geschichte einer Dorfgemeinschaft im Tschernobyl-Sperrgebiet. Ihren Abstecher ins Sachbuch sieht sie als Ausnahme, über die gesellschaftliche Bevormundung von Müttern ärgert sie sich schon lange. Die Abschaffung der Mutter ist gerade bei der Deutschen Verlags-Anstalt erschienen. Michael Ebmeyer
Ein gezielter Kurswechsel bei Alina Bronsky? Von ihren Markenkriterien erfüllt das neue Buch nur eins – die starken Frauenfiguren –, und als kämpferischer Debattenbeitrag ist es mit dem Image der öffentlichkeitsscheuen Autorin kaum zu vereinbaren. „Ich denke nicht ans Image“, sagt sie. „In dem Buch ist wirklich Herzblut drin. Der Ausgangspunkt war eine persönliche Betroffenheit, dann haben wir festgestellt, dass wir sie mit vielen Frauen teilen.“
Mütter, so lautet ihre Diagnose, werden in unserer Gesellschaft zunehmend „entmündigt“: Das gehe los bei aufgedrängten Vorsorgeuntersuchungen in der Schwangerschaft, setze sich fort bei einer medizinisch durchorganisierten Geburt und reiche bis zur Diskussion um die Einführung einer Kitapflicht. Den Eltern, speziell den Müttern, werde immer mehr vorgeschrieben und immer weniger selbst überlassen. Der Text ist streitbar, aber nicht lärmend polemisch, und gegen eine schlichte ideologische Zuordnung sperrt er sich.
Dass er ausgerechnet Die Abschaffung der Mutter heißt, kann man befremdlich finden, zumal er im selben Haus erscheint wie vor ein paar Jahren Thilo Sarrazins Deutschland schafft sich ab. Mit dessen Thesen in Verbindung gebracht zu werden, haben Bronsky und Wilk auf keinen Fall verdient. Aber irgendetwas verspricht sich der Verlag offenbar davon, bei diesem Titel auf einer reaktionären Klaviatur zu klimpern. Und so behauptet der Klappentext, in Die Abschaffung der Mutter gehe es darum, „was sich ändern muss, damit Mütter wieder den Rückhalt bekommen, den sie verdient haben“. Wieder. Als wäre die Folie hier ein besseres Gestern, als Mütter solchen „Rückhalt“ noch hatten.
Die Mutter, die sich Alina Bronsky nennt, sieht die Sache selbst differenzierter: „Richtig sonnige Zeiten gab es für Mütter selten. Wir beschränken uns darauf zu sagen, in unserer eigentlich aufgeklärten Gesellschaft haben sich rückschrittliche Tendenzen eingeschlichen. Die Mütter werden auf eine vermeintlich moderne Art entmündigt, und das hat sich in den vergangenen 20 Jahren verschärft.“
Feministin? Natürlich
Die Autorinnen wollen Rückschritte anprangern, doch ihr Buch wird verpackt, als würde es ein sehr konservatives Familienbild propagieren. Alina Bronsky winkt ab, nein, das störe sie nicht. Dabei fallen die geweckten Erwartungen doch auf sie zurück. „Die Fragen zum Buch gehen immer wieder in die Richtung, dass man von mir hören möchte: Alle Frauen sollen zu Hause bleiben und alle Kinder bei ihren Müttern“, räumt sie ein. „Dann sage ich: Nein, das ist nicht, was ich will. Überhaupt will ich ja nicht eine weitere Stimme sein, die Frauen etwas vorschreibt.“ Und höflich, wie sie ist, ergänzt sie: „Aber wir wünschen uns ja eine leidenschaftliche Debatte.“
Zeit für das F-Wort. Da huscht das undurchschaubare Alina-Bronsky-Lächeln über ihr Gesicht, und sie sagt: „Neulich bin ich gefragt worden: Sie würden sich sicher nicht als Feministin bezeichnen? Meine Antwort war, doch, natürlich – wenn man Feminismus als Bewegung und Gesinnung betrachtet, die sich für Frauenrechte einsetzt. Was wir kritisieren, ist eine Spielart von Feminismus, die in Anführungszeichen gehört, weil sie zutiefst frauen- und mütterfeindlich ist.“ – Die Beispiele dafür reichen im Buch von Alice Schwarzer bis Bascha Mika. – „Und weil diese Art leider zurzeit besonders präsent ist, wollen viele Frauen mit Feminismus nichts zu tun haben.“
Alina Bronsky, die Nonkonformistin: Geduldig vertritt sie Haltungen, mit denen sie in keine gängige Diskursschablone passt. Feministin ja, aber ein Denken, das die Mutterschaft gegenüber anderen Lebensmodellen abwertet, kann für sie kein Feminismus sein (von den pseudofeministischen Anwandlungen der rechtsbürgerlichen Lautsprecherin Birgit Kelle distanziert sie sich allerdings ebenfalls; deren Argumente findet sie „unzulässig schlicht“). Was sie zur „übergriffigen Pränataldiagnostik und Geburtsbegleitung“ sagt, klingt großenteils nach grüner bis linker Zivilisationskritik. Zugleich befürwortet sie grundsätzlich ein Betreuungsgeld für Familien, die ihre Kleinkinder nicht in Krippen geben wollen.
Wenn sie sich gegen Eingriffe in die Entscheidungsfreiheit von Eltern und gegen „Versuche, unser Dasein in eine Struktur zu pressen“, wendet, kann sie sich wiederum wie eine unbeirrte Liberale anhören: „Mein Idealzustand wäre die Wahlfreiheit. Ob Eltern sich zum Beispiel die Kinderbetreuung zur Hälfte aufteilen oder einer von ihnen in den ersten Jahren einen größeren Erziehungsbeitrag leistet (oft wäre es die Mutter, aber nicht immer) – das muss man nicht staatlich regulieren. Hochwertige Betreuungsangebote außerhalb der Familie sind auch wichtig, aber ohne den verlogenen Slogan ‚Ihr Kind hat es in der Krippe besser‘.“
Beim Kita-Thema hake ich noch einmal nach, denn es ist einer der wenigen Punkte, an denen ich finde, ihr Buch droht in eine gewisse Unerbittlichkeit zu verfallen. „Anhand meiner eigenen Erfahrungen würde ich sagen, ich halte drei Jahre zu Hause für wünschenswert“, erklärt sie. „Aber das ist mir auch nur mit dem vierten Kind gelungen.“
Und was hält sie von dem modischen Schlagwort regretting motherhood? „Daraus werde ich nicht ganz schlau. Mir scheint, unter dem Begriff wird von latenten Depressionen bis zur Kritik der mütterfeindlichen Umgebung alles Mögliche zusammengefasst. Auch ist mir die Position nicht klar – einerseits bereuen, dass man Mutter geworden ist, andererseits betonen, wie unglaublich wichtig die Kinder seien …“
Ein Schlagwort, mit dem sie mehr anfangen kann, ist das von der Vereinbarkeitslüge. Es geht um den Anspruch, dass Kinder und Berufstätigkeit problemlos unter einen Hut zu bringen sein müssten. „Schon der Begriff ‚Vereinbarkeitslüge‘ kann Frauen entlasten, die sich aufreiben und das Gefühl haben, alle anderen kriegen es hin, nur bei mir scheitert es. Viele erleben ja eine ständige Zerrissenheit zwischen Familie und Arbeitgeber, zwischen Pflicht und Gefühl und sozialem Druck.“
Den Druck herausnehmen: Das scheint mir eine Formel zu sein, um das große Anliegen ihres Mütterbuchs zu benennen. Aber schon ein Ausdruck wie „großes Anliegen“ lässt die Autorin zurückschrecken. „Bloß kein Pathos“, sagt sie und bringt zum Ende unseres Gesprächs noch einmal nach Alina-Bronsky-Art auf den Punkt, warum es dieses Buch gibt: „Mir hat es Freude gemacht, Dinge aufzuschreiben, die sich Freundinnen manchmal mit gesenkter Stimme erzählen.“
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