Was seit dem Wechsel zur rot-grünen Regierung passiert, erinnert mich an die schreckliche Szene eines sowjetischen Films: Man sitzt im Theater, erwartungsfroh, die Bühne ist noch verhängt, jetzt hebt sich der Vorhang, aber da sind keine Schauspieler, sondern Soldaten, die mit Maschinengewehren auf uns zielen. Eine Erwartung, wenn auch vielleicht keine frohe, hat es doch gegeben: daß Schröder-Fischer wenigstens nichts Schlimmeres anrichten als die elenden Koalitionäre Nordrhein-Westfalens. Daß also ihr Zurückweichen vor RWE und anderen Atomkapitalisten das Tiefste der Gefühle sein würde. Die Realität sieht ganz anders aus. Die NATO-Aggression gegen Jugoslawien macht es deutlich: Grüne und SPD, das sind die Parteien, die Joseph Fischer und Rudolf Scharping bestallt haben. Wen? Die schlimmsten regierungsamtlichen Kriegshetzer der deutschen Nachkriegsgeschichte. Als die taz nach einer Kriegswoche die Fakten wog und zu dem Schluß kam, daß im Kosovo zwar eine ethnische Vertreibung stattfinde und es mit Sicherheit »einzelne Morde« gebe, die Hinweise aber nicht ausreichten, »um von ÂMassakern als Tatsache zu sprechen«, hatten Fischer und Scharping bereits tagelang vom serbischen »Gemetzel«, von der »Logik eines Schlachthauses«, vom »Völkermord« gesprochen.
Wenn Vertreibung »Völkermord« ist, ein Ausdruck, der bisher auf Auschwitz angewandt wurde, war dann auch die Vertreibung der Deutschen aus Polen und der Tschechoslowakei »Völkermord«, standen also NS-Deutschland, Polen und die Tschechoslowakei auf demselben Niveau des Verbrechens? Hat Deutschland nach dem Krieg gegen die Vertreibung nur deshalb nicht zurückgebombt, weil es leider gerade besiegt worden war? Scharf wie ein Kettenhund hat Fischer schon bald nach Amtsantritt getönt, von Milosevic´ gehe Kriegsgefahr aus. So reden Außenminister normalerweise nicht. »Die Spinne an die Wand quetschen« scheint das neue Motto zu sein. Und Scharping weigert sich, seinen Militäretat kürzen zu lassen. Auch sonst sieht man, daß SPD und Grüne es cool finden, ihre Wählerschaft zu ver- und zertreten. Zum Beispiel die Steuerreform: vor der Bundestagswahl wandten sie sich gegen Waigels Behauptung, eine Steuersenkung würde »sich selbst finanzieren«; sie sagten, die eingeplante Deckungslücke sei der Abbau des Sozialstaats; jetzt schlagen die Grünen eben diesen Plan einer Deckungslücke selber vor. Michaele Hustedt, ökologische Sprecherin, hat sich beklagt, die Grünen nähmen die Ökologie nicht ernst. Und ihre Perspektive? Es sei eine Chance, daß Lafontaine zurückgetreten sei, denn jetzt könne man endlich Ökologie im Konsens mit der Wirtschaft betreiben!
Mir scheint, es wird Zeit, sich einzugestehen, daß diese Parteien zu politischen Gegnern geworden sind. Das wirft die Frage auf, wie es politisch weitergehen kann. Deutschland braucht eine ökologische, antimilitaristische Partei: die Grünen sind diese Partei nicht mehr. In einem Augenblick wie diesem sieht es leicht so aus, als könnte man überhaupt gar nichts tun. Was nützt es, sympathische Parteien zu wählen oder ihnen gar beizutreten, wenn sie sich im Erfolgsfall in Gegner verwandeln? Es scheint auch sonst kaum Möglichkeiten zu geben. Sicher, die Ostermärsche sind eine gute Sache. In diesem Jahr stieg die Beteiligung deutlich an. Das ist wichtig, daran kann man anknüpfen. Aber die Antwort auf den rot-grünen Wählerbetrug müßte viel grundsätzlicher ausfallen. Sowohl eine parlamentarische als auch eine außerparlamentarische Antwort müßte gefunden werden. Viel öffentliches Nachdenken wird jetzt gebraucht. Leute, die sehen, daß »der Rubikon überschritten« wurde, gibt es genug.
Man könnte etwas tun, wenn man wollte - aber daran zweifle ich. Die Verhältnisse sind noch nicht schrecklich genug. Oder noch nicht lange genug schrecklich. Eine verhältnismäßig harmlose Einsicht ist die, daß im Moment alles für die Protestwahl der PDS spricht, der einzigen Parlamentspartei, die gegen den verbrecherischen NATO-Krieg auftritt. Ob allerdings die Ökologie bei ihr gut aufgehoben ist, ist zweifelhaft. Ein schon weniger harmloser Schritt wäre es, den Machtverlust der Rot-Grünen zu propagieren. Denn wer will jetzt noch behaupten, sie seien »das kleinere Übel«? Sie sind eindeutig das größere Übel, denn Volker Rühe ist weniger unbesonnen als Rudolf Scharping, und mit Fischer verglichen ist Kinkel ein Entspannungspolitiker. So wie jetzt wieder regiert wird, gehört Schäuble ins Kanzleramt, nicht der Dressman Schröder. Die PDS überlegt schon, ob sie Frau Schipanski zur Bundespräsidentin wählen soll: würden auch ein paar entschlossene Grüne und Sozialdemokraten mitmachen, könnte es sogar gelingen. Solche Protestwahlen würden unserem korrupt gewordenen politischen Personal klar machen, daß es nicht nach Belieben mit uns umspringen kann. Freilich fürchte ich, es kann so mit uns umspringen - wir brauchen noch mehr Schläge, bis wir anfangen, uns zu wehren.
Wichtiger ist die außerparlamentarische Ebene. Man könnte versuchen, die Leipziger Montagsdemo wiederzubeleben: »Wir sind das Volk« muß wieder einmal unterstrichen werden. Aber es müßte mehr geschehen. Vielleicht wäre etwas wie ein »Zentrum für Aufklärung« zu gründen mit namhaften, auch für die Medien interessanten Sprechern und Sprecherinnen. Ein Zentrum, das eine harte und zugleich realistische Sprache führt in den Fragen des Krieges, der ökologischen Katastrophe, der kommenden Verelendung in der Krise der Arbeitsgesellschaft. Ein Zentrum, das zunächst Kongresse organisiert, die nicht korrumpierten Flügel der etablierten Mächte dieser Gesellschaft einlädt: der Gewerkschaften, der Kirchen. Im gewerkschaftlichen Raum wäre über die notwendigen Ziele der Arbeit zu debattieren. Im kirchlichen Raum über die schlimme Religion der vorhandenen Arbeit. Es scheint aussichtslos, das zu tun, was getan werden muß, mit zunächst schwachen Kräften, doch eine Alternative gibt es nicht. Zuletzt wird man ohne die Parteiform nicht weiterkommen. Wächst der PDS eine westliche Abteilung zu? Oder entsteht etwas ganz Neues? Oder können sich die Grünen von ihrem korrupten Flügel trennen? Dergleichen hat niemand in der Hand, denn neue Parteien, auch Entwicklungssprünge vorhandener Parteien entstehen durch Ereignisse, nicht durch Beschlüsse.
Immerhin ist es wahrscheinlich, daß krasse Ereignisse auch in den nächsten Jahren reichlich anfallen; ein Realist ist, wer von dieser Annahme aus längerfristig plant.
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