Das Gespenst war gestern

Allensbach-Umfrage Die Idee des Sozialismus wird wieder populär

Die neue Partei Die Linke startet erstaunlich gut. Die erste Umfrage seit der Gründung zeigt deutliche Stimmengewinne; und sie gehen über das hinaus, was SPD und Grüne verlieren. Offenbar ist es der Linken gelungen, Nichtwähler in den parteipolitischen Streit zurückzuholen.

Nach einer Umfrage von Allensbach erreicht sie Anfang Juli 12,5 Prozent - die SPD sackt auf 28,3 ab und die Grünen auf 9,7. Im Vergleich zum Juni steigen die Werte für die Linke während sie für Grüne und SPD fallen. Bemerkenswert ist weniger, dass Linke, SPD und Grüne rein rechnerisch eine Regierungsmehrheit hätten, denn dafür fehlen die politischen Voraussetzungen. Aber was man sich von dem Projekt einer neuen Partei erhofft hat, tritt ein: Sie nimmt die Parteien der rot-grünen Hartz-IV-Regierung in die Zange; die Bestrafung ist fühlbar und sorgt für wachsende Unruhe.

Vieles spricht dafür, dass besonders für die SPD die Lage noch viel ungemütlicher wird: Allensbach hat auch gefragt, welche Partei sich um soziale Gerechtigkeit sorge. Nach Auffassung einer Mehrheit ist es vor allem die Linke. Über dies Menetekel können sich die SPD-Granden Beck, Heil und Müntefering mit noch so viel eiserner Durchhaltekraft nicht hinweglügen - denn was ist die SPD, wenn nicht die Partei der sozialen Gerechtigkeit? Welchen Existenzgrund hat sie dann noch?

Platt und pauschal

Auch den grünen Strategen muss dies schlaflose Nächte bereiten. Der Fraktionsvorsitzende Kuhn sagte zwar, eine Koalition mit der Linken komme für ihn überhaupt nicht in Betracht. Doch er berichtete ebenfalls, dass es bei grünen Mitgliedern und Wählern "eine deutliche emotionale Abwehr gegen die FDP" gebe, egal ob in einer Ampel- oder einer Jamaika-Koalition. Warum, wenn nicht wegen der sozialen Ungerechtigkeit der FDP-Politik? SPD wie Grüne laufen Gefahr, sich als Gegner der Gerechtigkeit zu profilieren, wenn sie weiter so platt und pauschal gegen die Linke wettern.

Die Linke steht nicht nur für soziale Gerechtigkeit, sondern auch für "Freiheit durch Sozialismus". Oskar Lafontaine, der die Formel auf dem Gründungsparteitag beschwor, hat sie jetzt in einem ganzseitigen Beitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung ausgearbeitet, wo dieser Wellen schlug und hilflose Antwortversuche provozierte. In einem Leitartikel warf man dem studierten Physiker Lafontaine vor, er habe als "Autodidakt" alle möglichen zusammengelesenen Autoren verwertet. Mit einer solchen Charakterisierung ist bisher nur Adolf Hitler beehrt worden. Das passt zu der Beschimpfung, Lafontaine sei ein Ausländerfeind. Was erwartet man von solchen Karikaturen, da der Mann ständig im Fernsehen auftritt und alle sich ein Urteil bilden können?

Und wenn die Lafontaine-Gegner meinen, der Sozialismus tauge noch als Schreckgespenst, irren sie sich fatal. "Halten Sie den Sozialismus für eine gute Idee, die schlecht ausgeführt wurde?", fragt Allensbach seit Jahren. Nur 30 Prozent der Westdeutschen antworteten 1991 mit Ja. Nach Schwankungen waren es 2000 wieder ebenso viele. Die Neinsager waren allerdings von 45 auf 39 Prozent zurückgefallen.

2005 sagten sogar 40 Prozent Ja. Und aktuell halten gar 45 Prozent den Sozialismus für eine gute Idee. Nur noch 27 Prozent lehnen sie rundweg ab - weit weniger als Union und FDP Anhänger haben.

Dass sich die Zahlen so entwickeln, wird mit Hartz IV und der neuen Partei zu tun haben. Das legt jedenfalls ein Vergleich mit den Angaben für Ostdeutschland nahe. Dort sagten 2000 so viele Ja wie 1991: 57 beziehungsweise 58 Prozent. 2005 war die Zustimmung auf 61 Prozent geklettert. Derzeit liegt sie wieder bei 57 Prozent.

Die sozialistische Idee scheint in Ostdeutschland tief und stetig in die Mentalität eingegraben zu sein. In Westdeutschland erlebt sie eine ganz unerwartete Blüte. Die bloße Existenz der Linken beschleunigt einen Mentalitätswandel, ohne den es keinen Weg in eine andere Gesellschaft geben kann.

Bald wird Allensbach eine weitere Frage stellen müssen: "Wie wäre ein Sozialismus geartet, der gut ausgeführt werden könnte?"

Leben wie in der Pariser Commune

Die Debatte darüber hat schon begonnen: So schreibt Lafontaine in dem FAZ-Beitrag: "Aus ökologischen und sozialen Gründen muß die Energiewirtschaft gesellschaftlicher Kontrolle unterworfen sein. In Südamerika bedeutet das die Verstaatlichung der Öl- und Gasgesellschaften. In Deutschland mit seiner entwickelten Infrastruktur heißt das, die Energiewirtschaft zu rekommunalisieren." Man kann darin die bloße Wiederholung einer bekannten Position Lafontaines sehen: Güter der öffentlichen Daseinsfürsorge, die in städtischer Hand sind, sollen nicht privatisiert werden. Doch das Thema ist die "gesellschaftliche Kontrolle" der Ökonomie, mithin der Sozialismus.

Lafontaine gibt implizit einen Kommentar zu neueren Sozialismusbildern, wie sie von Sahra Wagenknecht und vielen andere derzeit entwerfen. Da wird viel von der vorbildlichen Schubkraft der Verstaatlichungen in Venezuela gesprochen. Aber auf die Idee, "Verstaatlichung" in "Kommunalisierung" zu übersetzen, war noch niemand gekommen.

Indem Lafontaine dies tut, erinnert er an das Sozialismusbild von Marx, das am klarsten in der Schrift über die Pariser Commune von 1871 enthalten ist: Die "lokale Selbstregierung", heißt es dort, und das "in Kommunen konstituierte Volk" mache die "Staatsmacht, die von der entstehenden bürgerlichen Gesellschaft ins Leben gerufen worden war", nun endlich "überflüssig". Die "neue Kommune", schreibt Marx, "bricht" die "moderne Staatsmacht".

Kommt Kommunismus von kommunal? Für Marx musste "gesellschaftliche Kontrolle" jedenfalls nicht Verstaatlichung heißen. Politische - eben kommunale - Institutionen würden nicht fehlen. Ob das ein zukunftsweisendes Modell ist, vereinbar mit dem beliebten Slogan "Global denken, lokal handeln", wird man sehen.


Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur (FM)

studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. an der Universität Innsbruck für poststrukturalistische Philosophie inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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