Michael Sommer schließt einen Bruch zwischen der SPD und den Gewerkschaften nicht mehr aus. Das sagte der DGB-Vorsitzende am Sonntag im Deutschlandfunk. Manche mögen glauben, die starken Worte seien nur Begleitmusik zu einem Streit, der in ein paar Monaten beigelegt sein werde, sobald nämlich des Kanzlers »Agenda 2010« die innerparteilichen und dann die parlamentarischen Hürden genommen habe. Viele Zeichen deuten aber doch auf einen grundsätzlichen Kurswechsel hin. Zum Beispiel wurde der gewerkschaftliche Aktionstag gegen die »Agenda« auf den 24. Mai gelegt, den Tag vor der Bremer Wahl. Das ist praktisch der Aufruf zum Sturz Henning Scherfs, des Bremer Bürgermeisters und nächstgreifbaren Genossen. Klaus Wiesehügel, der Vorsitzende
nde der IG Bau, hat sich schon auf den Kanzler eingeschossen. Gerhard Schröder müsse irgendwann bereit sein, persönliche »Konsequenzen zu tragen«, sagte er der FAZ.Der Kurswechsel hat sich lange angebahnt. Dabei ragen zwei Ereignisse heraus. Das eine ist die Wahl Frank Bsirskes zum Vorsitzenden der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi vor dreieinhalb Jahren. Bis dahin hatte es die Vorgänger-Gewerkschaft ÖTV gegeben, und sie war von Herbert Mai recht kanzlertolerant geführt worden. Als sich die ÖTV mit einer Reihe kleinerer Gewerkschaften zu Verdi zusammenschloss, musste er sein Amt an den Grünen Bsirske abtreten, der von Anfang an gegen Schröders neoliberale Reformen Stellung bezog. Mit Verdi hat Deutschland jetzt den zweiten Einzelgewerkschafts-Riesen neben der IG Metall. Beide zusammen stellen rund zwei Drittel aller DGB-Mitglieder. Die Gründung von Verdi folgte zwar nur einer übergreifenden Konzentrationstendenz im DGB seit dem Anfang der 90er Jahre. Es gibt nur noch halb so viele Einzelgewerkschaften wie damals. Auch die IG Metall hat sich um einige Gewerkschaften aus der Textil- und Kunststoffbranche vergrößert. Aber einmal vorhanden, ist eine neue Dienstleistungsgewerkschaft, die noch größer ist als die große IG Metall und unter Bsirskes Führung genauso streikbereit wie sie, ein politischer Faktor ersten Ranges - auch deshalb, weil dem DGB häufig vorgeworfen wird, er sei nur ein musealer Abglanz der Industrielandschaften, deren ökonomische Rolle immer unwichtiger werde.Das zweite Ereignis ist die Nominierung Jürgen Peters´ für das Amt des IG Metall-Vorsitzenden im April dieses Jahres. Die IG Metall ist schon jetzt unter Klaus Zwickels Vorsitz eine regierungskritische und kampfstarke Organisation, Peters steht jedoch für eine weitere Linksverschiebung, die sich 1998 anbahnte, als er nach Walter Riesters Wechsel ins Bundeskabinett zum Zweiten Vorsitzenden gewählt wurde - in einer Kampfabstimmung gegen Bertin Eichler, den von Zwickel favorisierten Kandidaten.Dieselbe Konstellation 2003: Zwickel hatte Berthold Huber vorgeschlagen, wieder setzte sich Peters durch. Das war konsequent, denn vorher hatte Peters ein von Huber vorgeschlagenes, von Zwickel unterstütztes neues Tarifmodell gekippt, das sich mehr an der Ertragslage der einzelnen Unternehmen orientieren sollte. Es ist vorerst nicht ganz durchsichtig, wie weit der Streit um solche Modelle - schon Riester wollte Ähnliches auf den Weg bringen, als er Zweiter Vorsitzender war - ein Streit um Ziele, wie weit um die Strategie ist. Orientierung an der Ertragslage kann ein Schritt zum Bündnis mit Mittelständlern gerade gegen neoliberale Politik sein, wenn klare Belegschafts-Schutzrechte nicht aufgegeben werden, über die zu wachen Sache der IG Metall bleibt. Darum geht es bei den Modellen. Aber ein anderes, mehr strategisches Problem ist die Alternative »Dialog oder Konfrontation« in der gegebenen Defensivlage der Gewerkschaften. Sich nicht auf etwas einlassen, das wie ein Rückzug unter Druck aussieht, auch das kann eine legitime Überlegung sein. Peters steht für Konfrontation jetzt, so viel ist klar. Dass ein Mann mit seinem Image im Oktober der Erste wird, zeigt den Widerstandswillen der IG Metall. Er ist dennoch nicht etwa kompromissunfähig - die Vier-Tage-Woche im VW-Werk hat er zum Beispiel ausgehandelt -, wie andererseits Huber in Verhandlungen stets Härte beweist. Huber ist zum Zweiten Vorsitzenden nominiert, Peters und Huber zusammen könnten ein gutes Gespann sein.Die Frage »Dialog oder Konfrontation« stellt sich auf der Ebene der Dachorganisation DGB noch einmal anders. Seit eh und je hält die IG Chemie die »Sozialpartnerschaft« hoch. So gehört auch ihr gegenwärtiger Vorsitzender Hubertus Schmoldt zu den Dialogwilligen. Der war nicht glücklich, als der DGB-Bundesvorstand in der vorigen Woche ein Treffen mit dem traditionsreichen Gewerkschaftsrat der SPD absagte, wo über die »Agenda 2010« hätte gestritten werden können. Gegen Peters und Bsirske konnte er sich aber nicht durchsetzen. Nach deren Auffassung gibt es zur Zeit nichts zu besprechen, da der Kanzler und SPD-Vorsitzende keinen Verhandlungsspielraum offen hält. Ist es somit der Regierung gelungen, einen Spalt ins Gewerkschaftslager zu treiben, wie SPD-Generalsekretär Scholz behauptet? Kaum - denn Schmoldt lehnt die »Agenda« ebenso ab wie seine Kollegen; nur die Härte der Protestmethode ist er nicht gewohnt.Auch der DGB-Vorsitzende hatte das Gespräch im Gewerkschaftsrat nicht platzen lassen wollen. Wie sich Michael Sommer endgültig positioniert, ist noch nicht deutlich zu sehen. Vielleicht will er zwischen den Einzelgewerkschaften vermitteln, vielleicht auch sich selbst unabhängiger von Verdi, der er entstammt, und der IG Metall machen, der sein Vorgänger entstammte. Auf jeden Fall ist er über den Wahlbetrug der Kanzler-»Agenda« empört. Wer weiß, ob er sich nicht noch als geschickter Taktiker entpuppt. Er scheint bereit zu sein, dem starken Wort vom »Bruch mit der SPD« auch Taten folgen zu lassen - nicht nur auf der Straße, sondern, was für die SPD noch gefährlicher ist, auch im parlamentarischen Raum. Seit die »Agenda« im März verkündet wurde, hat er sich schon zweimal mit der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel getroffen. Tatsächlich wäre es konsequent gerade vom Standpunkt des DGB, den Albtraum dieser SPD-Regierung nach Kräften zu beenden, damit der Neoliberalismus endlich wieder von seinen Urhebern vollstreckt wird und nicht von diesen dummen Ersatz-Berserkern. Warum richtet Sommer nicht einen zweiten Wahlbetrugs-Ausschuss neben dem von Frau Merkel ein? Aber er hat einen Gegenvorschlag zur »Agenda« präsentiert, zwei Tage nach dem geplatzten Termin im Gewerkschaftsrat. Dieser Vorschlag, der Investitionshilfen, Steuersenkungen, eine »neue Finanzagentur der sozialen Sicherungssysteme« und einen »Paradigmenwechsel in der Finanzpolitik« enthält, wurde nicht vorher mit den Einzelgewerkschaften abgestimmt. Sommer agiert nicht als deren Gesandter. Aber er steht Bsirske und Peters näher als Schmoldt, denn während dieser dafür plädiert hatte, an der »Agenda« nur Korrekturen vorzunehmen, will Sommer, wie er sagt, »das Spielfeld verbreitern«.
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