Radikales Fragen, das manchmal nur zu Zwischenergebnissen führt, war Frigga Haug stets wichtiger als das geschwinde Herausstellen scheinbar fertiger Erkenntnisse. Ihr Buch, das nächste Woche erscheint, dokumentiert das Schicksal einer Fragenden. Die bekannte marxistische Feministin hat nicht nur Texte aus mehr als vier Jahrzehnten zusammengestellt. Sie legt auch den schwierigen, überraschungs- und enttäuschungsreichen Lebensweg dar, dem die Texte abgerungen sind. Am Ende steht eine große Einsicht.
Um nur eine Etappe ihres Lebens zu schildern: Haug war seit 1968 prägendes Mitglied einer Westberliner Gruppe, die sich zunächst als „Aktionsrat“ verstand, von 1970 an aber „Sozialistischer Frauenbund“ heißt. Der Name bezeichnet N
hnet Nähe wie Distanz zur SED und ihren westlichen Ablegern SEW und DKP, die sich mit einem „demokratischen“ Frauenbund umgeben hatten. Im parteiüblichen Jargon bedeutete das eine Herabstufung: Die Frauen sollten sich nicht ums Ganze kümmern, den Sozialismus, sondern um den Teilbereich Frieden. Haug befreite sich von dieser Einengung. Doch am strategischen Grundverständnis der SED-Ableger rüttelte sie erst einmal nicht. Es besagte, dass die Frauenunterdrückung eine Folge des Kapitalismus sei, weshalb erst einmal dieser besiegt werden müsse. Vorher schon spezielle Frauenpolitik zu betreiben, sei unsinnig.Haug nimmt das hin, es gehört zu den Gründen, weshalb ihr das Studium der Frauenunterdrückung sinnvoller erscheint als irgendwelche feministischen Aktionen. Sie bekämpft daher in ihren ersten Veröffentlichungen „den Feminismus“, was ihr später sehr peinlich ist. Dennoch stehen diese Texte am Beginn des Buches. Sie sind ja auch nicht nur ein Irrweg, sondern begründen, wenn auch zunächst in verkehrter Form, ihre lebenslange Frage nach der möglichen Fruchtbarkeit des Marxismus für die Frauenbefreiung. 1980 wird sie durch ihre These bekannt, Frauen seien nicht nur „Opfer“, sondern auch „Täter“. Meint, dass die ihrer Unterdrückung irgendwie auch „zustimmen“.Da von wahlberechtigten Frauen einer demokratischen Gesellschaft die Rede ist, war dieser Schluss unausweichlich. Er hat einen allgemeineren Hintergrund. Das von Wolfgang Fritz Haug, ihrem Lebenspartner, gegründete Projekt Ideologietheorie hatte dazu angeregt, Antonio Gramsci zu studieren. Frigga Haug las da, dass Herrschaft nie nur erzwungen wird, es sei denn über Sklaven. Sonst muss ein gewisser „Konsens“ dazukommen. Bei denen nun, die sich an der SED orientierten, war diese Demokratietheorie eines italienischen Kommunisten eher unbeliebt. Man wundert sich nicht, dass sie der „Täter“-These wütend widersprachen. Sie konnte Frauen ja auf die Idee bringen, sich selbst befreien zu wollen, indem sie den Konsens kündigten – statt es der Partei zu überlassen! Diese Kommunisten demonstrierten auch gleich, über welche Mittel jenseits von Demokratie sie sogar in Westberlin verfügten: Haugs Seminare, bis dahin gut besucht, leerten sich übergangsweise. Denn eine Beratungsstelle für Studierende empfahl, sich mit der Verräterin nicht gemein zu machen.Der ideale TagesablaufDas war nur die erste von vielen schmerzlichen Windungen ihres Lebens; springen wir gleich zum bisherigen Endergebnis ihrer Forschung. Auf die Frage, was das eigentlich ist, dem die Frauen „zustimmen“, deutet sich zuletzt eine doppelte Antwort an: Weit entfernt, nur wie Sklaven gehalten zu werden, verfügen sie seit je über ein Stück Macht, da sie im Haus wie in der Gesamtökonomie für den Bereich der Sorge zuständig sind. Zustimmung zur eigenen Macht ist nachvollziehbar. Zumal wenn man weiß, wie wichtig das ist, wofür man zuständig ist. Die Macht ist begrenzt, gibt aber Kampfmittel in die Hand, die denen der Arbeiter ähneln (Streik, Dienst nach Vorschrift). Weil jedoch der neuen Frauenbewegung seit 1968 diese zugestandene Gegenmacht nicht mehr genügt, stellt sie die Geschlechtsrolle infrage, die ihnen das Sorgen – deshalb auch, siehe oben, den Frieden – als arbeitsteilige Aufgabe zuteilt und die Männer davon entlastet.Haug findet hier als Marxistin eine Lösung, gerade weil sie immer auch auf die ökonomische Seite der Sache schaut. Marktökonomie ist Zeitersparnis, stellt sie fest, das Sorgen aber, wenn es wirklich eines ist, muss so sehr der Logik des Gegenübers folgen – des Kindes, der Kranken und Alten, der bedrohten Natur, schließlich auch des geschlechtlichen Partners –, dass es die Zeit nicht knapp halten kann. Es kommt zum Widerstreit zweier Zeitlogiken, dessen Schlichtung unsere Produktionsweise revolutionieren müsste. Wie sie die Geschlechtsrollen verändern würde, kann Haug zeigen, indem sie, die alte feministische Losung „Das Private ist politisch“ aufnehmend, einen idealen Tagesablauf entwirft: Jedes Individuum soll ein Viertel des wachen Tages der Einkommensarbeit, ein zweites der Sorge um andere, ein drittes der Selbstsorge und ein viertes der politischen Arbeit widmen.Das ist nur als Kompass gemeint, zumal sich die Tätigkeiten durchdringen. Worauf es ankommt, ist die Veranschaulichung, was es privat hieße, wenn Männer und Frauen gleiche Verantwortung trügen. Ihr Geschlechtsunterschied würde keine Benachteiligung der Frauen mehr einschließen. Zugleich wäre die ganze Gesellschaft anders. Heute sind drei Bereiche arbeitsteilig isoliert und der Zeitersparnis im vierten, dem Markt, für den gearbeitet wird, unterworfen: Das Sorgen für andere schieben die Männer den Frauen zu, die Selbstsorge haben die Medien usurpiert und unsere politischen Interessen delegieren wir an die Parteien. Mit dieser Zerrissenheit, die zugleich ein „Herrschaftsknoten“ ist, wie Haug sagt, wäre es vorbei.Auf vielen Gebieten hat sie geforscht, alle haben zu diesem Resultat beigetragen. So die Arbeit im von ihr geleiteten „Projekt Automation und Qualifikation“, das sich schon früh auf die Umwälzung der Gesellschaft durch Computer einstellte. Verdiente Anerkennung wird ihr an diesem Wochenende zuteil, wenn in Berlin ein Kongress tagt, genannt „Die Kraft der Kritik: Wege des Marxismus-Feminismus“.Placeholder infobox-1
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