In früheren Zeiten waren PDS-Parteitage aufregender. Mit Nostalgie erinnert sich der Berichterstatter an die ersten 90er Jahre. Da zwangen die Jungen GenossInnen die Parteiführung, noch sehr viel demokratischer, als ihr lieb war, über den Weg in die Koalition mit der SPD zu debattieren; der Versuch, die Partei durch "Thesen" dorthin zu treiben, deren Folgen unübersehbar waren, die aber dennoch in künstlicher Zeitnot beschlossen werden sollten, wurde von ihnen vereitelt. Dieser Streit ist inzwischen zwar nicht verschwunden, aber zum folgenlosen Ritual verkommen. Gewiss protestieren Sahra Wagenknecht, Winfried Wolf und ein paar andere noch immer gegen zu viel Anpassung an die SPD, doch man spürt deutlich, zur Koalitionsstrategie haben sie keine Alternative. Und so scheint es in Ordnung, dass sie den Parteitag nicht erhitzen. Der hat seine Tagesordnung, arbeitet wie ein Großraumbüro - mit gutem, zu gutem Betriebsklima - und wird, wann hat es das schon einmal gegeben, früher fertig als geplant. Wenn man nicht selbst Delegierter ist, kann man sich eigentlich damit begnügen, die Reden und Beschlüsse aus dem Internet zu holen. Das mag sich Gregor Gysi gesagt haben, auf dessen Erscheinen alle bis zum Schluss vergeblich warteten. Er hätte sehr wohl kommen können, wie das Neue Deutschland petzte. Die Berliner SPD wäre einverstanden gewesen, den Zeitplan der zeitgleichen Berliner Senatoren-Klausurtagung zu ändern, doch habe sich Gysi nicht darum bemüht.
Wäre er gekommen, hätte man sagen können: Es geht vernünftig zu. Wie die anderen Mitglieder der engeren Parteiführung hatte auch Gysi von Anfang an auf Koalitionen mit der SPD orientiert. Er war aber der einzige, der es nie mit Tricks versuchte, sondern offen und mit Argumenten. Sein zentrales Argument: Die PDS müsse zunächst die Ketten ihrer Ausgrenzung sprengen. Als gleichberechtigtes Element des Parteiensystems werde sie nur anerkannt, wenn die SPD mit ihr koaliere. Das war schwer von der Hand zu weisen. Dass eine solche Koalition jetzt sogar in der früheren Frontstadt Berlin gelang, ist in dieser Perspektive ein fast unglaublicher Erfolg. Jetzt liegt sogar die Frage einer Koalition auf Bundesebene in der Luft. Aber eben deshalb war es Zeit, zu fragen: Wie hoch ist der Preis der Anerkennungs-Strategie? Darf er noch höher werden? Und vor allem: Von wann an ist das Ziel "Anerkennung" erreicht; welche weiteren Ziele lassen sich dann notfalls auch ohne und gegen die SPD erreichen? Eine Antwort hierauf hätte man eben vor allem von Gysi erwartet, einmal wegen seiner Vertrauenswürdigkeit und zum andern wegen seiner frischen Berliner Senatserfahrung.
Aber das ist von außen gesprochen. Man hat nicht den Eindruck, die PDS selber sei der Fortsetzung des rationalen Diskurses so sehr bedürftig. Sie macht es sich, Gysi hin oder her, mit der Koalitionsfrage inzwischen recht leicht. Am klarsten noch ist die Sprache des mecklenburgischen Landesvorsitzenden Holter. Er fragt, ob die Gegensätze zur Bundes-SPD noch unüberbrückbar sind, wenn "Schröder sich einem Irakkrieg der Amerikaner verweigert". Denn er will, dass die PDS auch außenpolitisch den "Pragmatismus" aufbringt, den sie unter seiner Führung in der Schweriner Koalition vorexerziert. Die Partei jedoch spricht lieber von ihrer Friedensgesinnung. Dabei kann man nicht sicher sein: Denkt die Parteivorsitzende in ihrem Herzen etwa ähnlich wie Holter? Gabi Zimmers Rede ist in diesem Punkt unklar. Sie fordert, Linke müssten "die Besonderheiten von Außenpolitik berücksichtigen". "Wir haben in der PDS einen Prozess begonnen, nicht nur wünschenswerte, sondern realitätsbezogene außenpolitische Vorstellungen zu diskutieren und zu entwickeln." Ihre Erklärung zur "Besonderheit von Außenpolitik" besteht in dem Hinweis, dass Staaten trotz aller internationaler Verflechtung souverän seien. Man weiß nicht genau, was sie damit sagen will. Da sie fortfährt, es gehe in der Außenpolitik nicht einfach um Mehrheiten, sondern das internationale geistige Klima müsse verändert werden, und zwar gegen die gewaltigsten Mächte der Erde, dürfen wir ihren Gedanken vielleicht so rekonstruieren: Die USA sind ein souveräner Staat und also durch Mehrheitsbildung in Deutschland nicht zu beeinflussen. Wenn man dennoch versuchen muss, sie von ihrem derzeitigen Kurs abzubringen, stehen dazu nur spezifisch außenpolitische Mittel zur Verfügung. Zu denen kann die Methode, sich durch Bekundung der eigenen Friedensgesinnung als Antikriegspartei zu profilieren und dadurch inländische Mehrheiten zu verändern, leider nicht gerechnet werden. Konsequenz: Die Bekundung von Friedensgesinnung, so gut und richtig sie ist, reicht bei Strafe des Untergangs - sicher nicht des innenpolitischen, wohl aber vielleicht des außenpolitischen Untergangs - nicht aus.
Das alles sagt sie aber nicht. Sie sagt nur, es müsse eine große antimilitaristische Protestdemonstration geben, wenn Präsident Bush im Mai nach Deutschland kommt. Diese Schlussfolgerung darf sie gewiss ziehen: Bush mag Präsident eines souveränen Staates sein, aber wenn er in Deutschland ist, muss er dessen Mehrheitsbildung zur Kenntnis nehmen. Nur hätte es, um das zu sagen, des ganzen Ansatzes der "außenpolitischen Besonderheiten" gar nicht bedurft. Deshalb vermute ich, dass sie auf mehr zielte. So wird nämlich Politik gemacht: Man verschafft einer Fragestellung Hegemonie - Was können wir tun, um den Kurs einer souveränen ausländischen Macht mit spezifisch außenpolitischen Mitteln zu ändern? -; wenn sich alle auf die Frage eingelassen haben, rückt man mit der Antwort heraus.
Gegen ein solches Verfahren wäre nichts einzuwenden, und die Massendemonstration gegen Bush ist ohnehin eine gute Sache. Aber die Verallgemeinerung zur Koalitionsstrategie ist problematisch. Die "außenpolitischen Besonderheiten" sind innenpolitisch eingebettet: "Wenn wir mittelfristig eine Regierungsbeteiligung der PDS auf Bundesebene anstreben, ist das kein Selbstzweck, sondern geschieht aus der Überzeugung, dass es ohne PDS keine gesellschafts- und regierungspolitischen Alternativen zur Fortsetzung der kriegerischen Politik gibt." Vorläufig strebe man eine Regierungsbeteiligung aber nicht an, wegen der kriegerischen Politik der Regierung. Mit Verlaub: Das ist inkonsistent. Wenn die kriegerische Politik nach Frau Zimmers Worten nur unter der Bedingung nicht fortgesetzt wird, dass die PDS in der Regierung ist, ist es dann nicht geradezu "regierungspolitisch" sträflich, den Regierungseintritt noch hinauszuzögern? Es scheint, als stehe die PDS-Politik Kopf und müsse dringend auf die Füße gestellt werden. Koalition ja, hören wir, aber nur mit einem Friedensprogramm; Friedensprogramm ja, aber bitte im Medium pragmatischer Außenpolitik. Man könnte doch auch umgekehrt argumentieren: Auf jeden Fall pragmatische Außenpolitik! Niemals ein Pragmatismus, der die Prinzipen des Friedensprogramms antastet! Eine Koalition streben wir aber nicht unbedingt an, auch "mittelfristig" nicht! Dazu haben wir nämlich gar keinen Grund! Jedenfalls diskutieren wir über Gründe schon lange nicht mehr, wie wir es früher durchaus noch getan haben! Man kann ja zu rot-roten Koalitionen stehen, wie man will. Aber was wäre derzeit wichtiger, als dass gerade die PDS zeigt, wie eine sowohl prinzipienfeste als auch pragmatische oppositionelle Außenpolitik aussieht?
Die Besonderheiten von Außenpolitik
Geschrieben von
Michael Jäger
Redakteur (FM)
studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. an der Universität Innsbruck für poststrukturalistische Philosophie inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.