Eine Aktuelle Stunde im Bundestag zu Norbert Röttgens Entlassung als Umweltminister – was für eine listige Idee der Grünen. Sie wollen Salz in die Wunde der Union streuen. Doch die wird ohnehin immer größer. Um vier Prozentpunkte sind CDU und CSU in der jüngsten Forsa-Umfrage abgestürzt, auf nur noch 31 Prozent. Und die Verwirrung und Zerrüttung in und zwischen den beiden Unionsparteien wird immer offensichtlicher.
Es begann schon vor der Wahl in Nordrhein-Westfalen. Röttgen hatte als CDU- Spitzenkandidat gesagt, es werde dort auch über Angela Merkels Sparpolitik abgestimmt. In Berlin „hieß es“ dann, dass „führende Politiker“ über Röttgens Äußerung „irritiert und enttäuscht“ seien. Von wem war die Rede? Wer war „enttäuscht“, wenn nicht vor allem die Bundeskanzlerin selbst – und zwar so sehr, dass sie den Drang hatte, es öffentlich zu machen? Was nicht gerade zu mehr Prozentpunkten in der NRW-Wahl verholfen haben dürfte. Wäre Röttgens Äußerung ohne die dramatische Intervention überhaupt aufgefallen? Wahrscheinlich nicht, denn er hatte nur das Wahlkampfkonzept seines Landesverbands auf den Punkt gebracht.
Hüter der Fiskalburg
Solange es die rot-grüne Minderheitsregierung gab, war es die Generallinie des Landesverbands gewesen, ihr eine Politik des Schuldenmachens vorzuwerfen. Er hatte sogar das Landesverfassungsgericht eingeschaltet, um den Vorwurf recht dröhnend zu orchestrieren. Im Wahlkampf selbst gab es praktisch kein anderes Thema. „Verantwortung statt Verschuldung“ war der zentrale Slogan. Dabei spürte man, dass die kalte Fiskalpolitik bei den Wählern nicht zog, und gerade Röttgen versuchte gegenzusteuern, indem er zuletzt ein paar wärmere Akzente setzte. Die Studiengebühren sollten nun doch nicht wieder eingeführt werden, und auch der Forderung, die Pendlerpauschale zu erhöhen, schloss er sich an. Das brachte ihm den Kommentar des Bundesfinanzministers ein, es sei ihm schleierhaft, wie ein Bundesumweltminister so etwas fordern könne.
Neben Merkel war also auch Wolfgang Schäuble „irritiert“. Die beiden Hüter der deutschen Fiskalburg wollten keine kleinste Aufweichung der eisernen Spardisziplin dulden. Da sah sich Röttgen genötigt, die Generallinie noch einmal eigens zu unterstreichen. Die Kanzlerin, sagte er den Wählern, könne in Europa nicht glaubwürdig auftreten, wenn in Düsseldorf nicht ebenso gespart werde, wie man es von Italien verlange. Insofern sei die Wahl eine Chance, der Europapolitik der Kanzlerin, von deren Richtigkeit Röttgen offenbar überzeugt ist, Rückendeckung zu geben. Diese Äußerung wurde ihm nun vorgeworfen. Dabei berief er sich darauf, dass Merkel in ihren Wahlkampfauftritten dasselbe gesagt habe. Und in der Tat, wie soll sie sich denn sonst geäußert haben? Soll man glauben, ihre ungewöhnlich hohe Präsenz in diesem Wahlkampf – neun Auftritte! – habe der Erholung von ihrem ureigenen Thema Austerität gedient? Und auf die Idee, ihren Nimbus als Europapolitikerin in die Waagschale zu werfen, sei sie selbst gar nicht gekommen?
Aufpolierter Ruf
Die Sache war sogar im CDU-Präsidium besprochen worden. Röttgen legte dort dar, nach Francois Hollandes Erfolg müsse in der letzten Woche vor der NRW-Wahl noch einmal betont werden, dass es um den Richtigkeit der deutschen Sparpolitik gehe. So glaubte er, seinen Ruf als Merkels Musterschüler noch einmal aufpolieren zu können. Wenn dann Teilnehmer kommentierten, er habe aber nichts von einer Abstimmung über Merkels Kurs gesagt, dann kann das kaum anders als psychoanalytisch gedeutet werden.
Was Merkel und Schäuble Röttgen vorwerfen, haben sie selbst getan. Sie selbst haben ein paar Tage vor der NRW-Wahl erkannt und aussprechen müssen, dass Merkels Politik zur Abstimmung stehe – das heißt vor der Abwahl. Was sie dachten, projizierten sie auf Röttgen. Es war die Wahrheit: Deshalb bekamen sie Angst und reagierten irrational. Letztlich machten sie die Abstimmung noch fataler, als sie ohnehin geworden wäre. Aber damit nicht genug, musste Merkel Röttgen auch noch aus der Bundesregierung verstoßen. Damit bestätigte sie, dass sie selbst glaubte, was sie bestritt: dass es in NRW um die Politik der Bundesregierung gegangen war.
Die Union ist nun aufgeschreckt. Über Merkels Austeritäts-Politik diskutiert sie zwar noch nicht. Dafür hat Röttgens Entlassung andere Fronten aufgerissen und neue hinzugefügt. Der Landesverband Nordrhein-Westfalen – bisher eher kritisch gegen Röttgen gestimmt, weil der nicht bereit war, für den Wahlkampf sein Ministeramt aufzugeben – stellt sich jetzt auf seine Seite. Norbert Blüm erinnert daran, dass auch er einst Bundesminister bleiben wollte, trotz seines Wahlkampfs in NRW, dass er wie Röttgen die Wahl verlor, aber deshalb nicht von Kanzler Helmut Kohl aus dem Kabinett geworfen wurde. Bundestagspräsident Norbert Lammert und der Innenpolitiker Wolfgang Bosbach sagen, sie hätten mehr „Menschlichkeit“ von Merkel erwartet. Philipp Mißfelder, der Vorsitzende der Jungen Union, hatte schon gleich nach der ersten Kritik an Röttgen in der Woche vor der NRW-Wahl gesagt, dieser habe recht.
Populäre Vorwürfe
Jetzt zeigt sich aber auch, dass Röttgen nicht irgendwer war, sondern als Bundesumweltminister der Exponent von Merkels zweitwichtigstem Wahlkampffeld nach der Sparpolitik. Die Gegner der Energiewende sehen ihre Stunde gekommen. War nicht in der Woche vor der Landtagswahl die Absicht der Bundesregierung, die Förderung für Solaranlagen zu kürzen, im Bundesrat auch am Widerstand ostdeutscher CDU-Regierungen gescheitert? Das soll nun ein Scheitern von „Röttgens Gesetz“ gewesen sein – als ob er sich das alleine ausgedacht hätte? Josef Schlarmann, der Vorsitzende der CDU-Mittelstandsvereinigung, sagte nach der NRW-Wahl, Röttgens Energiewende fehle es an Realitätssinn und Augenmaß.
Röttgen war zudem auch noch prominenter Vertreter der früheren „Pizza connection“, einer Gruppe jüngerer CDU-Politiker, die sich einst gern mit Grünen trafen. Gerade sie hatte Merkel gestützt. Ihr entstammen auch Peter Altmaier, der Röttgen jetzt nachfolgt, Hermann Gröhe, der Generalsekretar der CDU, und Ronald Pofalla, der Chef des Bundeskanzleramts. Sie alle dürften über Röttgens Entlassung so „irritiert“ sein, wie Merkel es über Röttgen gewesen war. Wenn sie es aber sind, können sie es nicht laut sagen. Sie sind Merkels Hebel in der Machtmechanik. Da haben sich jetzt einige Schrauben gelockert.
Man hat eigentlich den Eindruck, dass Merkels Schuld(en)vorwürfe gegen europäische Südländer in Deutschland immer noch recht populär sind. In Nordrhein-Westfalen wurde letztlich doch eher über die Ministerpräsidentin und SPD-Spitzenkandidatin Hannelore Kraft als über Merkel abgestimmt. Die aber versteift sich auf eine andere Lesart. Pure Wahrheit kann, wenn sie sich nicht mehr verdrängen lässt, Gewalt entfalten.
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