Der neue Papst Franziskus ist – nach dem Rücktritt von Benedikt XVI. – mehr als zuvor eine Person, die eine „Stelle“ besetzt. Diese Stelle hat ein vertracktes Anforderungsprofil. Das Problem liegt darin, dass die römische Kirche ihrem Selbstverständnis nach eine „geistliche“ Institution ist, die sich gleichwohl, um eine Milliarde Gläubige zusammenzuhalten, wie ein Staat glaubt führen zu sollen.
Die Führung wird von einer Art Präsident ausgeübt, das ist der Papst, und er stützt sich auf eine Regierung aus verschiedenen Ministerien, das ist die Kurie. Zwei strukturelle Eigentümlichkeiten fallen dabei auf. Die erste beim Vergleich mit dem deutschen Grundgesetz. Da gibt es einen Präsidenten, von dem man e
dem man erwartet, dass er weiterführende Gedanken vorbringen kann: Er soll aber nicht gleichzeitig auch noch den Staat lenken. Während man ihn für sein hohes intellektuelles Niveau schätzt (falls vorhanden – und das ist nicht immer der Fall), erwartet man von den Personen, die den Staat lenken, vor allem organisatorische Talente, ein Gespür für Machtverschiebungen und die Kraft, diese dann auch zu nutzen.Von Pontifikat zu PontifikatDie Funktionen des geistigen Impulsgebers und des Staatsmanns, der mit allen Wassern gewaschen ist, fallen kaum jemals zusammen, müssen es auch normalerweise nicht. Lenin war auf seine Art ein seltenes, kaum wiederholbares Beispiel. Diese Person tauchte im Kontext einer Revolution und Staatsgründung auf. Ein Staat nun, der im Verlauf seiner langen Geschichte immer wieder – von Pontifikat zu Pontifikat – auf solche außergewöhnlichen Personen zurückgreifen kann, ist er überhaupt vorstellbar?Die Frage klingt müßig. Im Moment, so scheint es, braucht die Kirche ganz einfach einen Herkules, der die Kurie ausmistet. Benedikt war ganz der Typ des Impulsgebers, der die Organisation nicht im Griff hatte. War sie schon Johannes Paul II. zuletzt entglitten, so verselbständigte sie sich unter Benedikt noch mehr. Doch die intellektuellen Fähigkeiten, die er verkörpert, sind für einen Papst eigentlich unverzichtbar. Denn kirchliche Leitungsämter sind zuerst Lehrämter. Dem Papst gar als Leiter der römischen Gesamtkirche wird so viel Autorität zugeschrieben, dass er Lehraussagen „ex cathedra“ verkünden darf. Wenn dann jemand Papst wird, der ein guter „Diplomat“ ist wie Pius XII., der aber Hochhuths Frage auf sich zog, ob „der Papst schweigen durfte“ zum Holocaust dann hat die Kirche ein Problem. Vielleicht bekommen die Katholiken jetzt einen, der die Kurie reorganisieren kann, dem aber die Worte fehlen, eine dramatische Entwicklung der Welt außerhalb der Kirche, die auch die Welt des Kirchenvolks ist, anschlussfähig oder gar einleuchtend zu kommentieren?Nur wenn ein Papst sich mit der Rolle des Sprechers der Weltkirche beschiede und im Übrigen damit, Moderator von Lehransprüchen unterer Organisationsebenen zu sein, könnte die Integration seiner beiden Führungsfunktionen gelingen. Das aber wäre nicht Verlust, sondern ökumenischer Gewinn, denn unter dieser Bedingung würde sich auch die orthodoxe Kirche, würden sich sogar die lutherischen Kirchen einen Papst gefallen lassen.Wo ist die Gegenmacht?Die zweite Eigentümlichkeit der Papstinstitution fällt ganz von selbst auf, umso mehr aber beim Vergleich mit dem amerikanischen Präsidenten. Dessen Macht über Geschehnisse der ganzen Welt ist so groß wie die Macht eines Papstes, der seine Kurie einzusetzen weiß, über die Weltkirche. Sie ist aber austariert durch die Gegenmacht des Kongresses. Dem hat in der Kirche die Macht der Konzile entsprochen, die zwar keine Kirchenvolksvertretung waren und sind, einer solchen aber doch in der regionalen und intellektuellen Vielfalt ihrer Zusammensetzung ähneln.Die orthodoxen Kirchen betrachten noch heute das Konzil als höchste Instanz kirchlicher Lehrautorität. In der römischen Kirche jedoch ist es seit der frühen Neuzeit nicht mehr üblich, in kurzen Abständen Konzile abzuhalten. Wenn nicht außergewöhnliche Umstände eintreten, scheint die Ex cathedra-Autorität des Papstes sie überflüssig zu machen. Aber eben deshalb, das ist unübersehbar, wirft die Kurie so große Probleme auf. Eine Regierung, der nicht ständig ein Parlament auf die Finger schaut, wie soll sich die nicht verselbstständigen? Auch dem genialsten päpstlichen Organisationstalent traut man nicht zu, es ganz zu verhindern.Man muss sich erinnern, wie die Kurie entstanden ist. Papst Gregor VIII. hatte sich im Zuge der Machtkonkurrenz mit dem deutschen Kaiser eine Art Königshof zugelegt. Das war im 11. Jahrhundert. Im 14. orientierte sich Clemens VI., der in Avignon residierte, in seiner Machtentfaltung am entstehenden französischen Staat. Am Ende des 16. war unter Sixtus V. ein in Behörden gegliedertes einheitliches Verwaltungssystem eingerichtet. Das ist die Kurie und ist es geblieben: ein Staatsapparat nach Maßstäben der frühen Neuzeit. Im 20. Jahrhundert hat das Zweite Vatikanische Konzil, das die Kirche mit der modernen Demokratie versöhnte, auch eine Kurienreform postuliert und von den Päpsten erwartet. Doch was seitdem herauskam, war keine Anwendung des parlamentarischen Gedankens auf die Kirche selber.Da fragt man sich, ob es denn auch nur vorstellbar ist, dass eine vormodern organisierte Kirchenspitze sich am eigenen Haar aus dem Sumpf zieht. Erste Amtshandlung eines Papstes, der wirklich reformieren wollte, müsste die Einberufung eines weiteren Vatikanischen Konzils sein.
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