Alle schimpfen über die Grünen. Es ist eigentlich zum Staunen: Kohleausstieg und Elektroauto bis 2030, Vermögenssteuer, keine Obergrenze für Flüchtlinge, keine Abschiebung nach Afghanistan – man denkt, so ein Wahlprogramm müsste sie unter Linken beliebt machen. Linke werfen ihnen aber vor, dass sie mit einer schwarz-grünen Koalition auf Bundesebene liebäugeln. Dabei könnte man es doch auch so sehen, dass sie die Union vor sich hertreiben. CSU-Chef Horst Seehofer wehrt sich öffentlich gegen diese Koalition und würde sie doch nicht verhindern können. Es ist sogar ein Bündnis von CDU, Grünen und FDP im Gespräch, das auf die Teilnahme der CSU verzichten würde.
Jedenfalls sind die Grünen, wie man sieht, auch rechts unbeliebt. Am meisten bei den Rechtsextremen, da sind sie mit ihrer Genderpolitik das Feindbild schlechthin. Die Ehe für alle hatten sie im Wahlprogramm zur Bedingung jeder denkbaren Koalition gemacht. Wenig später tat die Kanzlerin jene Äußerung, die dazu führte, dass der Bundestag darüber abstimmte. Die Öffentlichkeit nahm es als Erfolg der SPD wahr – die habe Angela Merkel beim Wort genommen (aber warum erst 2017? warum nicht früher?). Das ist auch wieder typisch.
Sie sind also unbeliebt. Das muss sie nicht stören; sie haben ja trotzdem ungefähr so viel Wählerzustimmung wie die anderen kleinen Parlamentsparteien auch. Und wie ihre erstaunliche Entwicklung in Baden-Württemberg gezeigt hat, können sie unter Umständen sogar zur stärksten Partei aufsteigen. Ihre Unbeliebtheit ist aber doch erklärungsbedürftig. Zu den Gründen gehört sicher, dass sie über keine charismatischen Führungspersonen verfügen. Das tun aber auch andere Parteien nicht. Merkel ist zwar das erfolgreiche Zugpferd der CDU, aber weder charismatisch noch telegen. Sahra Wagenknecht ist zwar telegen, aber trotzdem bekommt die Linkspartei nur ungefähr ebenso viele Wählerstimmen wie die Grünen. Was gibt es sonst für Erklärungen? Die Grünen seien so wischiwaschi. Aber erstens erklärt das nicht, warum man sich über sie ärgert. Eine Wischiwaschi-Partei müßte einem doch gleichgültig sein. Und zweitens stimmt es nicht. Ihr Wahlprogramm ist klar und enthält realistische Forderungen, deren Verwirklichung das Land substanziell verändern würde.
Die SPD wird als Naturereignis angesehen
Man kann der Ansicht sein, dass sie nicht weit genug gehen, aber tun das etwa die Forderungen der SPD? Über die SPD ärgern sich Linke viel weniger. Die SPD wird für etwas wie ein Naturereignis angesehen, nach dem Motto „Bäume können nun einmal nicht springen“. Wenn die SPD mit der Union koaliert, verliert niemand ein Wort darüber. Wenn ihr Kanzlerkandidat wiederholt erklärt, er würde gern Kanzler der großen Koalition sein, schauen Linke weg. Schwamm drüber. Schön wäre es ja, wenn stattdessen „Rot-rot-grün“ die Wahl gewänne... Aber wehe, wenn die Grünen eine Koalition mit der CDU erwägen! Das ist Verrat. Was hat man geschimpft über die schwarz-grüne Koalition in Hessen. Dabei hatte der dortige Landesverband eine Wahlperiode früher mit der SPD eine von der Linkspartei tolerierte Minderheitsregierung bilden wollen. Das wäre eine großartige Regierung geworden, geführt von Andrea Ypsilanti und unter Teilnahme des inzwischen verstorbenen Ökologen Hermann Scheer. Dieser Vorstoß scheiterte aber am Verrat einiger SPD-Abgeordneter. Nach der nächsten Wahl enttäuschte die CDU die Hoffnung der SPD, sie würde mit ihr koalieren, und machte stattdessen mit den Grünen gemeinsame Sache. Die bösen Grünen!
Ein Grund ihrer Unbeliebtheit bei Linken ist natürlich, dass sie den völkerrechtswidrigen Krieg der NATO gegen Serbien unterstützten und sogar aus der Bundesregierung heraus mit anheizten. Außerdem brachten sie damals Hartz IV mit auf den Weg. Hauptsächlich hatte aber die SPD diese Politik zu verantworten. Der nimmt man sie jedoch nicht so übel. Dass die Grünen in ihrem Wahlprogramm die Abschaffung der Hartz IV-Sanktionen fordern, unterscheidet sie ganz wesentlich vom SPD-Kandidaten Martin Schulz.
Die vernünftigste Erklärung dafür, dass sie so unbeliebt sind, dürfte darin liegen, dass sie sich vielfach durchsetzen mit einer Politik, die sich von der Politik der Union wie der SPD unterscheidet. Die Genderpolitik ist nicht von diesen Parteien ausgegangen, auch nicht die Energiewende, auch nicht die multikulturelle Gesellschaft. Da können Union und SPD nur hinterherhinken und sie tun es, und natürlich macht das keinen Spaß. Ist es übertrieben, wenn man sagt, die Grünen haben in Deutschland die politische Hegemonie? Die ökonomische haben sie natürlich nicht. Die liegt bei den Konzernen, deren Herrschaft noch niemand hat brechen können. Was aber trotzdem politisch vorangeht in diesem Land, ist großenteils dem Einfluss der Grünen gutzuschreiben.
Dass eine Partei die Hegemonie hat und nur auf acht Prozent Wählerzustimmung kommt, ist gerade dann nicht erstaunlich, wenn sie der Gesellschaft etwas abverlangt und diese ihr widerwillig folgt. Die Wähler wollen sich nur so langsam wie möglich bewegen. Sie machen deshalb die Bremser stark. Aber das kann nicht die ganze Erklärung sein. Wenn man sich die Umfragen anschaut zu Themen, bei denen die Grünen mehr wollen als Union und SPD umzusetzen bereit sind, dann sieht man, dass die Gesellschaft viel rascher vorwärts gehen würde, wenn man sie nur ließe. Wenn der Grünen-Spitzenkandidat Cem Özdemir jetzt sagt, Grüne gingen „in keine Koalition, die nicht das Ende der Ära des Verbrennungsmotors einleitet“, nachdem Seehofer gesagt hatte, für seine Partei sei der Verbrennungsmotor nicht verhandelbar, dann ist nach Umfragen klar, wer die Mehrheit auf seiner Seite hat: nicht Seehofer, sondern die Grünen. Wie Emnid ermittelte, will eine Mehrheit von 57 Prozent kein festes Datum für das Ende des Verbrennungsmotor, das heißt aber nicht, dass die Gesellschaft wie Seehofer auf die kurzsichtigen Interessen der in seinem Bundesland stationierten Autoindustrie fixiert wäre. Seehofer hat Alexander Dobrindt als seinen Mann in die Bundesregierung geschickt, wo er das Verkehrsministerium leitet. 78 Prozent sähen es lieber, wenn die Kontrolle der Konzerne nicht in Dobrindts Hand läge, sondern beim Umweltministerium.
Normalerweise gewinnen die Grünen keine Wahlen
Dreißig Jahre lang wollte eine Mehrheit den Atomausstieg, den die Grünen forderten, und doch regierten statt ihrer die Union und die SPD, die den Atomausstieg blockierten. Erst nach der Katastrophe von Fukushima gab Angela Merkel nach, auch weil sie fürchtete, die Grünen könnten die Landtagswahlen in Baden-Württemberg gewinnen. Sie konnte diesen Wahlsieg trotzdem nicht verhindern. Normalerweise gewinnen die Grünen aber keine Wahlen. Woran liegt das? Es liegt auch daran, dass die meisten Wähler immer noch glauben, eine Regierung müsse entweder von der Union oder von der SPD geführt werden. Diesen Glauben nachhaltig zu erschüttern, ist den Grünen noch nicht gelungen. Aber sie versuchen es seit einigen Jahren, indem sie sagen, ihr Koalitionsziel sei nicht, dass die SPD statt der Union regiere, sondern die Durchsetzung ihrer Programmforderungen. Und gerade das wird ihnen von Linken am meisten übelgenommen. Warum eigentlich? In Frankreich und Griechenland, Spanien und Italien, Großbritannien und den USA kämpfen Linke inzwischen gegen das Establishment sozialdemokratischer Parteien genauso wie gegen Konservative. In Deutschland hingegen wollen sie unbedingt, dass Martin Schulz Kanzler wird, der als Präsident des EU-Parlaments die Erpressung Griechenlands durch das europäische Kapital unterstützt hat.
Die Grünen könnten mehr machen aus dem politischen Ansatz, den sie nun einmal gewählt haben. Man muss diesem Ansatz nicht zustimmen, es sind andere denkbar. Sie haben sich eingelassen auf die Konsenskultur, die in Deutschland sehr ausgeprägt ist. Die Herrschaft der Konservativen und Sozialdemokraten greifen sie nicht von außen an, wie es Syriza in Griechenland getan hat, sondern unterwühlen sie von innen. Gewisse Erfolge sind ihnen, wie gesagt, nicht abzusprechen. Es wäre auch falsch, die Konsenskultur nur negativ zu sehen. Gerade wer versucht, substanziell etwas zu verändern, ist schlecht beraten, wenn er die Konfrontation mit großen Teilen der Gesellschaft sucht. An seine Grenzen stößt der Ansatz aber, wenn die Grünen meinen, sie könnten auch das Kapital mit ihrem Schmusekurs bekehren. Özdemir will nicht nur das Ende des Verbrennungsmotors einleiten, er sagt im gleichen Atemzug auch: Wer den Auto-Standort Deutschland erhalten wolle, müsse grün wählen, während „wer das deutsche Auto künftig im Museum besichtigen will“, finde „bei der CSU das bessere Angebot“.
Das Kapital selbst ist das Problem
Den Verbrennungsmotor abdrängen, indem man der Auto-Industrie schmeichelt, die ihn mit Zähnen und Klauen, ja mit Lug und Trug verteidigt? Die sich ihrer Macht so sicher ist, dass sogar die aufgedeckten Lügen sie nicht dazu bringen, sich zu schämen? Vielmehr trumpft sie dann mit neuen Forderungen auf. Nein, diese Politik der Grünen ist lächerlich, und man geht wohl leider nicht fehl, wenn man sie auf eine grundsätzliche Dummheit zurückführt: Sie haben vergessen – früher einmal wussten sie es –, dass das Kapital selbst das Problem ist. Wüssten sie es noch, sie würden sich dem Selbstlauf der Verwertung entgegenstemmen, der eben in Deutschland dazu führt, dass die Autoindustrie tut, was sie will, und die ihr hörige Regierung es durchwinkt. Das tun sie nicht. Das sind ihre Grenzen. Aber trotzdem könnten sie mehr tun. Warum haben sie keine härtere Sprache? Davon würde die Konsenskultur nicht zerstört.
Noch deutlicher als Özdemir illustriert der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann das Problem. Er und seine Freunde haben gezeigt, wie Grüne zur Führung einer Landesregierung gelangen können. Das ist schon eine Leistung. Als Ministerpräsident hat er manchen fragwürdigen Kompromiss im Bundesrat zu verantworten. Wirklich seltsam ist aber, und leider typisch für ihn, dass er sich ärgert über den Beschluss seiner Partei, den Kohleausstieg bis 2030 zu fordern. Das werde die Industrie nicht schaffen! Was hat dieser Mann, was hat seine Partei für einen Politikbegriff?
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