Gefährliche Ortsbesetzung

NPD-Parolen Schon einmal gingen Rassismus und scheinbarer Antikapitalismus Hand in Hand

In vielen Gegenden namentlich Westdeutschlands wird man kaum ahnen, mit welchen Sprüchen die NPD durch Mecklenburg-Vorpommerns Straßen und schließlich ins Landesparlament zog. "Sozialabbau - nicht mit uns" ist noch wenig überraschend; aber Parolen wie "Kapitalismus zerschlagen", "Gegen kapitalistische Ausbeutung", "Unser deutsches Land in Arbeiter- und Bauernhand" hat wohl nicht jeder erwartet. Es ist gesagt worden, die NPD wolle sich für DDR-Nostalgiker anziehend machen. Die Sprüche zielen jedoch auf eine politische Grundhaltung und betreffen nicht bloß eine Vergangenheit. Kann man es als ein lokales Ereignis abtun, dass eine Partei, die sich ihrer bedient, mit 7,2 Prozent Stimmen messbaren Erfolg hat?

Die Sprüche kommunizieren offenbar eine soziale Schieflage. Wenn es den Menschen gut ginge und sie nicht Hartz IV-Empfänger wären, würde sich die NPD nicht mit der Behauptung bei ihnen einschmeicheln, sie denke antikapitalistisch. Das muss betont werden, weil der Zusammenhang auch von Linken häufig angezweifelt wird. So jetzt wieder von Burkhard Schröder, der gewiss einer der besten Kenner der Materie ist. Aber seine Argumente, nachzulesen in der Jungen Welt vom 22. September, überzeugen nicht. Das Wählerpotenzial der NPD liege seit 30 Jahren bei 13 Prozent, sagt er, und von sozialen oder sonstigen Ereignissen werde das nicht beeinflusst. Auch nicht von neuen Krisen, die es 30 Jahre lang nicht gab? Wer kann es sicher wissen? Hat Hitler nach 1929 nur ein Wählerpotenzial ausgeschöpft, das schon vorher da war? Leute, denen es schlecht geht, sagt Schröder weiter, neigen deshalb noch lange nicht zu rassistischen oder antisemitischen Vorurteilen. Das ist richtig, aber er wird nicht behaupten wollen, Hitlers Wahlerfolge hätten mit der damaligen Arbeitslosigkeit gar nichts zu tun gehabt. Sie wurden größer, als die Arbeitslosigkeit stieg, und ebenso stabilisieren sich die Erfolge der NPD, seitdem Hartz IV wirksam ist.

Schließlich weist Schröder darauf hin, dass die NPD eher noch bei Menschen Erfolg hat, die einen Arbeitsplatz haben; Hartz IV-Empfänger, Arbeitslose also, wählen stattdessen links. Aber wie er selbst in Erinnerung ruft, war es auch 1933 so: Arbeitslose wählten KPD, Arbeitsplatzhalter eher NSDAP. Die meisten, die noch Arbeit hatten, wählten übrigens SPD, und das ist so geblieben. Wofür spricht es aber? Es muss doch wohl eine Angst sein, die einige Arbeitsplatzhalter nach rechts treibt; wovor, wenn nicht vor dem sozialen Abstieg - also vor Hartz IV? Wer Angst hat, lässt sich vielleicht ein Feindbild einreden, zum Beispiel ein rassistisches; wenn die schlimme Situation schon eingetreten ist, mag die Erfahrung besser lehren, wer Gegner und wer Freund ist.

Aber nun schauen wir doch auf die Parolen: Das Auffällige ist, dass sie den Rassismus der NPD gar nicht zur Schau tragen, vielmehr geradezu kommunistisch klingen. Die NPD ist gefährlich durch ihre scheinbare Systemopposition. Der Zusammenhang mit Hartz IV liegt in der Tat nicht darin, dass jemand Nazi wird, wenn er soziale Not leidet; sondern ein System delegitimiert sich selbst - durch Hartz IV bei gleichzeitigen Steuergeschenken an die Reichen - und wird deshalb als System abgelehnt. Man hört auf, an die System-Werte zu glauben, und lässt sich ganz andere einreden.

Systemopposition ist ein zunächst unbesetzter Ort, der in jeder politischen Ordnung strukturell vorgegeben ist. Denn keine Ordnung ist so perfekt, dass sie nicht an Grenzen stoßen könnte, wo dann die Frage entsteht, ob man sie noch retten will oder es lieber mit einer anderen Ordnung versucht. Nun kann der Ort der Systemopposition von Kräften des Systems selber besetzt werden, die es besonders verlogen und terroristisch verteidigen, so dass die Systemopposition eine scheinbare ist. Diese Gefahr ist immer präsent, solange die kapitalistische Ordnung besteht, die ganz bestimmt an Grenzen stoßen wird und vielleicht jetzt schon zu stoßen beginnt.

Deshalb ist es so fatal, dass der Ort nicht längst schon von links besetzt wurde. Der Aufbau einer politischen Kraft, die zur kapitalistischen Produktionsweise in prinzipieller Gegnerschaft steht und von daher ihre gesamte Politik entwickelt, obwohl sie sich auch in der Mitte der Gesellschaft zu bewegen weiß - einer zugleich pragmatischen Kraft, die sich Detailproblemen stellt und dabei ihre Linie nicht verliert -, ist in der Bundesrepublik niemals gelungen. Gefährlich ist das nicht nur, weil Menschen, die sich jetzt von der politischen Ordnung abwenden, in der NPD ein Ventil sehen, sondern auch, weil man nicht weiß, wie sich das Kapital einer solchen Partei in Zukunft noch bedienen könnte. Das ist alles schon da gewesen. Ungeachtet des Strasser-Flügels der NSDAP, der die soziale Revolution wollte, wurde Hitler von mächtigen Unternehmern unterstützt, die voraussahen, dass sie die Gewinner seiner Machtergreifung sein würden; der Strasser-Flügel durfte sein zum Wählerfang nützliches Lied singen und wurde dann weggetan.

Überhaupt war das ja Hitlers Rezept, das Unvereinbare zusammenzutun: nicht nur Kapital und Arbeit, sondern auch, wie der Parteiname zeigt, rechts und links ("national-sozialistisch"), somit bürgerlich (gegen Versailles) und revolutionär (gegen Ausbeutung), aber auch reformistisch und revolutionär (der Wunsch, den Wohlfahrtsstaat zu erhalten, kam Hitler ebenfalls zugute). Wenn man fragt, wie ihm das alles gelang, so ist die Antwort klar: Er konnte das Gegensätzliche gleichsetzen, weil er es mit der rassistischen Unterscheidung überlagerte. Es gelang ihm, sogar das Kapital in gutes und böses Kapital zu zerlegen, so dass der "Antikapitalismus" insofern nicht einmal widersprüchlich war: böse war das jüdische Finanzkapital, gut waren die "produktiven", die deutschen, die arischen Kapitalisten. In der NPD baut sich das alles wieder auf. Schauen wir noch einmal auf die Parolen: "Deutscher Sozialismus ist machbar!", lesen wir da, oder "Für einen sozialistischen Nationalismus": was man nur umzudrehen braucht, dann hat man "Für einen Nationalsozialismus".

Es ist ein "Sozialismus", der ökonomische Probleme verfälscht, indem er sie mit Nationalismus und Rassismus vermengt - also ein scheinbarer Sozialismus. Kann man behaupten, dem kämen herrschende Kräfte gar nicht helfend entgegen? Leider nicht. Es ist erst wenige Wochen her, da entdeckte es der Spiegel: In Europa und den USA ist der Kapitalismus gut, in China und Indien ist er böse; wenn diese Länder uns in der ökonomischen Konkurrenz (angeblich) überholen, sollen wir insofern antikapitalistisch werden, sie zu Feinden erklären, zu "Angreiferstaaten" ... Ist das schon im weiteren Sinn Kriegsvorbereitung? Für Hitler war Sowjetrussland der Feind auf der nationalen Ebene; er wollte die Weststaaten angeblich nur besiegen, um sie vor Russland in Schutzhaft zu nehmen.


Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur (FM)

studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. an der Universität Innsbruck für poststrukturalistische Philosophie inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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