Fantômas, das Magazin für linke debatte und praxis, erscheint seit dem Sommer 2002. Es soll einer Vertiefung der politischen Kommunikation dienen, deren Notwendigkeit man im Zeichen des "Aufschwungs sozialer Bewegung" seit Seattle und Genua wieder stärker empfindet. Wie gleich das erste Heft zeigte, wäre es zu der Initiative ohne den neuen Begriff des "Empire" wohl kaum gekommen.
Die Theorie von Hardt und Negri beherrscht die Gedankengänge der Autoren, besonders der Redaktionsmitglieder, die regelmäßig ihren kollektiven Erkenntnisstand mitteilen, und hat sie ermutigt, die ganze Frage des Verhältnisses von Marxismus und Diskursphilosophie neu aufzurollen. Jedenfalls knüpfen sie erst einmal wieder bei ihr an - da, wo sie in den achtziger Jahren von Zeitschriften wie Argument und kultuRRevolution auf die Spur gesetzt worden war. Gramsci, Althusser, Poulantzas werden der Vergessenheit entrissen. Das Magazin enthält auch viele Praxisberichte und -reflexionen, die man nicht missen mag, aber vor allem diese theoretischen Rekurse machen Fantômas wichtig.
Besonders interessant sind die Debatten über Strategien und Phänomene der internationalen Politik; sie nehmen sich in der von Hardt/Negri eröffneten Perspektive ganz anders aus als gewohnt. So wird in Nr. 3 herausgearbeitet, dass die neuen Kriege mit ihrer "irregulären, diffusen und asymmetrischen Gewalt" sich oft nicht mehr um die Erringung einer Staatsmacht drehen, sei es von außen oder innen, da sie vielmehr den Zerfall der Staaten in Kauf nehmen. Es muss die USA nicht stören, wenn der Irak instabil bleibt, haben sie doch ihre Ziele - den Zugriff aufs Öl, die Einschüchterung der Anrainer - erst einmal erreicht. Hinter dieser Sicht steht die Annahme, dass in der Globalisierung die Zeit der Staaten und ihres Machtkampfs vorbei sei. Was man Imperialismus nannte, war Strategie von Staaten und lässt sich von ihnen nicht abtrennen. Wenn man daher heutige Strategien nur deshalb, weil sie dem Kapitalinteresse dienen, in den Mustern der alten Imperialismusanalyse begreifen will, verläuft man sich.
So sehr dies einleuchtet, tritt doch eine Fragwürdigkeit des Ansatzes zutage. Dass der Staat USA eine Sonderrolle spielt, können auch Hardt/Negri nicht übersehen. Aber spielt er nur eine Sonderrolle, oder widerlegt seine Existenz die Behauptung, die Zeit der Staaten sei vorbei? Es kann doch auch sein, dass die Zeit eines Staates, eben der USA, gerade erst gekommen ist. Wir lesen in Fantômas, unter den neuen Bedingungen des "Empire" agierten die USA weniger klug als die EU, deshalb werde ihr Niedergang wahrscheinlich. Denn die Bedingungen erforderten flexible Taktiken und die Fähigkeit, Gleichgewichte auszuhandeln. Die USA schadeten sich selbst durch das Schaffen starrer Fronten. Dieses Urteil ist offenbar von der Annahme, die Zeit der Staaten sei vorbei, nicht unabhängig. Gesetzt, sie sei gar nicht vorbei, hätte Frontbildung doch Sinn - zwar nicht für die Vielzahl der Staaten, aber für den stärksten.
Eine in Nr. 5 vorgestellte These Immanuel Wallersteins hatte fast absurd geklungen: Die Krise des Staates oder der meisten Staaten gehe nicht zuletzt auf einen ideologischen Prozess, "die Weltrevolution von 1968", zurück. In der eben erschienenen Nr. 6, die sich dem Innenraum des zerfallenden Empire-Staates widmet, gewinnt die These viel Plausibilität. Der Abbau des Sozialstaats sei das gemeinsame Werk der Kräfte des Neoliberalismus und der neuen sozialen Bewegungen nach 1968 gewesen. Denn diese hätten den Zusammenhang der Sozialstaatsform mit dem Normalarbeitsleben und seiner patriarchalen Zwangskultur in Fabrik und Familie verurteilt. Dahin wollen auch die Autoren nicht zurück und doch über das "Prekäre" der jetzigen Arbeits- und Lebensverhältnisse hinaus.
Fantômas ist das personifizierte Trugbild und der Name eines Literatur- und Filmhelden: eines großen Verbrechers, der seine Ungreifbarkeit zuletzt dadurch auf Dauer stellt, dass es ihm gelingt, sich zum obersten Verfolger seiner selbst ernennen zu lassen. Es war im Lauf des Jahres 2001, dass die Zeitung AK, der frühere Arbeiterkampf, der später in analyse + kritik umbenannt wurde, sich entschloss, ein Magazin zu schaffen, das zwei mal jährlich beigelegt werden sollte; da konnte die Redaktion nicht ahnen, wie gut der geplante Name Fantômas auf das passte, was nur Wochen später einen George Bush mit einem Bin Laden verbinden würde. Ihr war es nur um den alten anarchistischen Traum des Subversiven gegangen. Sollte sie dem Namen nun abschwören? Sie tat es nicht, denn "die Einbildungskraft fügt sich niemandem ganz; trotzdem können weder die Rebellion noch das Denken auf das Imaginäre verzichten".
Fantômas Nr 6., Winter 04/05 (analyse + kritik, Romberger Str. 10, 20255 Hamburg, fantomas@akweb.de) 4,50 EUR
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