Intervenieren statt einspringen

Bundesregierung Es ist auch unter den jetzigen Umständen nicht ratsam, Jamaika einspringen zu lassen
Wie sollen sich die Grünen im Rechenspiel um mögliche Koalitionen positionieren?
Wie sollen sich die Grünen im Rechenspiel um mögliche Koalitionen positionieren?

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Das Wahlergebnis ist so ausgefallen, wie die Umfragen der letzten Zeit es erwarten ließen. Nur zwei Koalitionen sind möglich, die im Bundestag eine Mehrheit hätten: Union-SPD und Union-FDP-Grüne. Ersteres hat die SPD bereits ausgeschlossen. Ein „Jamaika“-Bündnis ist die im Moment einzige Regierungsoption. Ist dem wirklich so?

Für die Union ist die FDP schon immer ein Wunschpartner gewesen, die Grünen sind Selbiges für die CDU nur unter Angela Merkels Parteiführung geworden. Schwarz-Grün ist nun schon so lange im Gespräch, dass es dieser Option schaden könnte, wenn sie Wahl um Wahl unverwirklicht bliebe. Kann sie nun nur im Jamaika-Kontext eingefädelt werden, wird dies die CDU bestimmt nicht nachteilig finden. Auch der erklärte Unwillen der CSU unter Horst Seehofer, die Grünen als Koalitionspartner hinzunehmen, erscheint nun, da Seehofer einer der größten Verlierer dieser Wahl ist, in ganz neuem Licht. Ohne Grüne geht es scheinbar nicht.

Eigentlich müsste klar sein, wie sie sich zu positionieren haben: Klares Nein zu Jamaika! Das würde dem entsprechen, was sie vor der Wahl gesagt haben. Zum Beispiel in Spitzenkandidat Cem Özdemirs Gespräch mit der Berliner Zeitung kann man es nachlesen: „Ich sehe nicht, wie wir mit der FDP zusammenkommen sollen.“ Hinter die Gründe, die er anführt, gibt es, wenn Worte einen Sinn haben, kein Zurück: „Mit CDU und CSU beharken wir uns heftig. Aber immerhin erkennt die Union in ihrem Programm an, dass ein Kohleausstieg notwendig ist. Und die Kanzlerin hat zugegeben, dass der Verbrennungsmotor ein Enddatum benötigt. Und was sagt die FDP? Die FDP will das Stickoxid-Problem zwar auch lösen – aber nicht dadurch, dass sich die Autos der Gesundheit der Kinder anpassen. Stattdessen sollen sich die Kinder den Autos anpassen. Die FDP will die Grenzwerte aufweichen.“ Zum Klimawandel sage die Generalsekretärin der FDP, „der Zusammenhang von Klimawandel und den zunehmenden Extremwetterlagen sei Fake-News. Da erwidere ich klar: Mit Klimawandel-Skeptikern koaliere ich nicht. Dafür liebe ich meine Kinder zu sehr.“

Die beste Lösung

Diese Sätze wurden vor gut einer Woche veröffentlicht. Wenn es trotzdem zu Jamaika käme, es wäre ein krasser Wortbruch. Wenn die Klimawandel-Skeptiker nun ein paar minimale Zugeständnisse anbieten? Vielleicht dass die Grenzwerte etwas weniger stark aufgeweicht werden als angekündigt? Dann könnte sich ein Argument von der Art vordrängen, wie es Robert Habeck zugunsten der Jamaika-Koalition in Schleswig-Holstein vorgebracht hat: Man müsse doch etwas dagegen tun, dass die Große Koalition sich endlos fortsetze. Wohlgemerkt, er hat es auf Kiel bezogen, nicht auf Berlin. Und es soll hier nicht behauptet werden, dass die Grünen den Koalitionsvertrag in Kiel schlecht ausgehandelt hätten. Die Bedingungen, unter denen die Kieler Koalition zustande kam, sind aber auf den Bund nicht übertragbar, wie Habeck selbst betont hat.

Es ist auch unter den jetzigen Umständen nicht ratsam, Jamaika einspringen zu lassen. Einspringen, statt intervenieren, ist ohnehin nie ein guter Weg. Nein, in diesem Fall müssten die Grünen, wenn sie ihr Wahlprogramm ernstnehmen, eine Minderheitsregierung der Union als beste Lösung erkennen. Diese Option hätte es längst verdient, ernster genommen zu werden. Spätestens nämlich, seit die AfD in die Parlamente gelangt. Es wertet diese Partei zu sehr auf, dass sich ihretwegen die andern Parteien auch dann zusammentun, wenn es ihnen aus guten Gründen widerstrebt. Umgekehrt ist die Konsenskultur der Parteien diesseits der AfD, die Linke eingeschlossen, groß genug, dass eine Minderheitsregierung auf Basis wechselnder Mehrheiten nicht zum Problem der Stabilität und Kontinuität des Regierens führen würde.

Man könnte sich zwei zugespitzte Varianten vorstellen, je nachdem, ob die Grünen mehr Vertrauen in die zukünftige Entwicklung der Union oder der SPD setzen. Im ersten Fall würden sie der Union eine schwarz-grüne Minderheitsregierung antragen, wie sie ja der SPD schon einmal eine rot-grüne Minderheitsregierung in Nordrhein-Westfalen mit sehr großem Erfolg angetragen haben. Im zweiten Fall würden sie die SPD zur Koalition in der Opposition auffordern: Diese Koalition könnte die Union zur Bildung einer Unions-Minderheitsregierung zwingen. So oder so, das hieße Intervenieren statt Einspringen. Es wäre der optimale Weg, grünen Einfluss zur Geltung zu bringen. Erwarten kann man es leider nicht. Dafür ist die grüne Führung viel zu routiniert.

Indessen bleibt abzuwarten, wie ernst es den Sozialdemokraten mit ihrer Absage an die Fortsetzung der Koalition mit der Union ist. Bis nach der Niedersachsen-Wahl in drei Wochen ist noch viel Bewegung möglich. Das heutige Signal der SPD kann morgen schon Schnee von gestern sein.

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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur (FM)

studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. an der Universität Innsbruck für poststrukturalistische Philosophie inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

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