Merkels neues Gesicht

Sozialisierung Verstaatlichung sei nicht ihr Projekt, winkt die Linke ab – und fordert, die Vergesellschaftung von Banken auf die Agenda zu setzen. Aber wo ist da der Unterschied?

In diesen Wochen spielt man gern mit dem Feuer, verbal wenigstens. Schon die ersten geldschweren Pakete, die Angela Merkel zur Rettung angeschlagener Banken bereit stellte, wurden als notwendige Tat einer „Feuerwehr“ dargestellt. Dass die Bundeskanzlerin es jetzt für erforderlich hält, die Hypo Real Estate zu verstaatlichen und vielleicht sogar zu enteignen, ist in den Augen der Finanzmarktexpertin Dorothea Schäfer vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung ein weiterer Feuerwehreinsatz, bei dem man leider „die Eingangstür aufbrechen“ müsse, weil sie nicht freiwillig geöffnet werde. Wer denkt da nicht an Bert Brechts Gleichnis des Buddha vom brennenden Haus? Das geht aber anders aus. Da werden die Leute, die drinnen sind, nicht aufgefordert, die Tür zu öffnen, um auch noch eine Feuerwehr einzulassen, die anscheinend solidarisch mitverbrennen will, sondern sie sollen das Haus verlassen. Und wenn sie Einwände erheben, überlässt man sie ihrem Schicksal: „Diese, dachte ich / Müssen verbrennen, bevor sie zu fragen aufhören.“

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Rettet die „Feuerwehr“ das Haus, statt dass man ein besseres baut? Das ist immer noch die große Frage. Es gibt die Tendenz, das Bankensystem nicht zu verändern, sondern nur zu sanieren. Und wenn es dazu verstaatlicht werden muss, ist es eben – zeitweise – zu verstaatlichen. Der G20-Gipfel Anfang April in London wird die Banken vielleicht nur zur Erhöhung ihrer Eigenkapitalquote nötigen. Ob auch der Wildwuchs der Hedge Fonds beschnitten werden soll, ist international noch umstritten. Eine Verstaatlichung, die ihn weiterwuchern ließe, würde aber nur eine Atempause bis zum nächsten „Feuer“ gewähren. Der Sozialismus bräche damit nicht an, auch wenn viele Banker, die FDP und große Teile der Union es noch so laut behaupten.

Staatssozialistische Schatten

Dass Verstaatlichung Sozialisierung sei, ist immer auch eine linke Behauptung gewesen. Wohnen wir heute dem Scheitern einer traditionell linken Behauptung bei? Wortmeldungen aus der Linkspartei zeigen, dass man die Frage wohl bejahen muss. Die Schattenseiten des Staatssozialismus sind noch in lebhafter Erinnerung. Wenn heute der Parteichef Oskar Lafontaine und der Parlamentarische Geschäftsführer Ulrich Mauer Verstaatlichungsplänen eine Absage erteilen, dann stellen sie noch einmal klar, dass sie ihre Partei nicht in der staatssozialistischen Tradition sehen wollen, auch nicht übrigens in der verstaatlichungsfreundlichen Tradition der SPD, der sie früher beide angehörten.

Aber wenn Sozialisierung nicht Verstaatlichung ist, was ist sie denn sonst? So ohne Weiteres lässt sich die Frage der Staatlichkeit nicht beseitigen. Manche in der Linkspartei denken jetzt über eine Vergesellschaftung der Kreditpolitik nach, die durch einen „Lenkungsausschuss“ realisiert würde. In ihm wären Gewerkschaften, Verbraucherverbände, Kommunen, Bundespolitik und Mittelstand vertreten. Es ist die typische Auskunft, die man immer wieder hört, nicht nur wenn es um Kreditpolitik geht. Das scheint die Definition von „Wirtschaftsdemokratie“ überhaupt zu sein: Vergesellschaftung heißt, weder der Staat (allein) noch die Unternehmer (allein) entscheiden, sondern auch die anderen gesellschaftlichen Kräfte bestimmen mit. Dies soll in Gremien geschehen, die wegen der Beteiligung etwa auch der Gewerkschaften keine staatlichen, sondern gesellschaftliche Gremien wären.

Erinnerung an Korporatismus

Plausibel ist das nicht, denn Staatlichkeit zeigt sich ohnehin immer in dem Anspruch, die Einheit der gesamten Gesellschaft werde verkörpert. In diesem Sinn ist auch ein Regierungskabinett ein „gesellschaftlicher Ausschuss“, der, wie man weiß, gelegentlich auch Gewerkschaftsvertreter kooptiert, wie zuletzt Walter Riester von Gerhard Schröder berufen wurde. Im übrigen erinnern Ausschüsse, die sich durch die Teilnahme gesellschaftlicher Kräfte regelrecht definieren, an eine klassische Staatsform, die man „Korporatismus“ nennt. Man hat immer deren undemokratischen Charakter hervorgehoben, denn die in korporatistischen Staatsgremien sitzenden „Vertreter gesellschaftlicher Kräfte“ gehen nicht aus allgemeinen Wahlen hervor.

Aber das Problem beginnt schon vorher, nämlich mit der Fragestellung. Entscheidungen sollen „gesellschaftlich statt staatlich“ fallen – warum eigentlich? Wollen wir den Staat abschaffen, und wenn möglich sofort? Der staatenlose Sozialismus als Beantwortung des Staatssozialismus? Man kommt selten weiter, wenn man die Dinge nur auf den Kopf stellt. Besser wäre es vermutlich, sich für ein anderes Verhältnis von Gesellschaftlichkeit und Staatlichkeit einzusetzen. „So viel Vergesellschaftung wie möglich, so viel Staatlichkeit wie nötig“ wäre eine brauchbare Parole. Wenn zum Beispiel die Grundlinien der Kreditpolitik und überhaupt der Regeln, denen Banken unterliegen sollen, in allgemeinen Wahlen ermitteln würden, das wäre ein eklatanter Vergesellschaftungsschritt. Die Behörde aber, von der die Beachtung des Wahlergebnisses durch die Banken durchgesetzt würde, wäre ja eine staatliche Behörde.

Auch in dem von der Linkspartei erwogenen „Lenkungsausschuss“ wäre ein bestimmtes Verhältnis von Gesellschaftlichkeit und Staatlichkeit realisiert. Er hätte alle Entscheidungsbefugnisse, wäre also staatlich. Seine Gesellschaftlichkeit wäre aber selbst dann, wenn Gewerkschaftler in ihm den Ton angeben, mehr behauptet als erwiesen. Was wäre gewonnen, wenn zum Beispiel Klaus Franz, der Gesamtbetriebsratsvorsitzende von Opel, im Ausschuss „die Gesellschaft vertreten“ würde? Man braucht sich die Sache nur konkret vorzustellen, um darauf zu kommen, dass es vielleicht ungefähr wie im Aufsichtsrat von Opel zugehen würde.

Die Regierung, die sich jetzt anschickt, Hypo Real Estate zu verstaatlichen, sollte nicht deshalb kritisiert werden, weil sie „verstaatlicht statt vergesellschaftet“. Auch eine bürgerliche Regierung macht noch nichts Böses, wenn sie überhaupt verstaatlicht; angreifen muss man sie, wenn der Vergesellschaftungs-Anteil nur in der Berücksichtigung der sehr kleinen Minderheit der Banker besteht. Die Regierung behauptet zwar, sie wolle die Interessen der Kreditnehmer und kleinen Sparer schützen. Aber nur wenn sie sich entschließt, an die Wurzeln der Bankenkrise zu rühren, kann man der Behauptung Glauben schenken. Das Haus der Banker „brennt“, es wird nicht zum letzten Mal gebrannt haben. Die drum herum Wohnenden haben das Interesse, ein solches Haus abzutragen oder wenigstens feuerfest zu machen. Wenn beides nicht geschieht, ist der Vergesellschaftungs-Anteil gleich Null.

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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur (FM)

studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. an der Universität Innsbruck für poststrukturalistische Philosophie inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

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