Bei so einem Buch möchte man schon gern wissen, wer der Autor ist. Andreas Möller blicke „tief in die deutsche Seele“, lesen wir auf dem Cover von Das grüne Gewissen. Wenn die Natur zur Ersatzreligion wird. Möller schätze „das grüne Denken in Deutschland“ als „nationalen Mythos“ ein und wolle zeigen, „was die Realitätsflucht der Generation Landlust für unsere Gesellschaft bedeutet“. Zugleich, so schrieb die Financial Times Deutschland, sei sein Buch „eine Liebeserklärung an die Natur“.
Der Autor, erfahren wir, leitete bis 2009 den Bereich Politik und Gesellschaftsberatung der Deutschen Akademie für Technikwissenschaften (acatech) in Berlin. In dieser Institution arbeiten Technikwissenschaftler mit einem repräsentativen Querschnitt von Vertretern der Wirtschaft zusammen. Ihr Präsident zum Beispiel gehörte dem Vorstand des Softwareunternehmens SAP an und ist Aufsichtsratsmitglied bei BMW und vielen anderen Firmen. Der „Senats“-Vorstand von acatech war im Aufsichtsrat von ThyssenKrupp und der Deutschen Bahn.
Ziel der Akademie ist es, den Staat in Technikfragen zu beraten. Es ist gut, dass es so eine Institution gibt, man fragt sich nur, warum ihr nicht auch Ökologen angehören, die zu möglichen und sinnvollen Technikpfaden vielleicht auch etwas Nützliches beitragen könnten. Solche Ökologen kann es aber gar nicht geben, wenn man Möller liest. Bei ihm gibt es nur die einen, die Technik gelten lassen und dann den Unternehmen zustimmen, die sich für Stuttgart 21, für Atomkraftwerke, für unterirdische Abscheidung von Kohlendioxid und so weiter stark machen, und die anderen, die all dies ablehnen, weil sie überhaupt gegen „die“ Technik sind.
Ja, die Wirtschaft hat in Möller, 1974 geboren, für ihre seit den siebziger Jahren geläufige Polemik, Ökologen seien Modernisierungsversager mit einer illusionären Vorstellung von der Natur, zu der sie rousseauistisch zurückstrebten, einen neuen Boten. Der uns nun wieder erzählt, dass es nicht angehe, „die“ Natur auf Kosten „der“ Technik zu loben, denn sie sei nicht nur gut, sondern auch böse, wie man an der Krankheit Krebs sehe. Das Argumentationsschema ist aus anderen Debatten bekannt: Ist es nicht seltsam, fragt Möller, dass wir Deutschen „die“ Technik kritisieren, als ob es sonst nichts Kritikwürdiges gäbe, wie zum Beispiel eben „die“ Natur selber? Beweist das nicht unseren Antitechnizismus?
Unsichtbarkeit der Atome
Tatsächlich weiß man von Eltern, die ihre Kinder nicht impfen lassen, weil sie Impfen für unnatürlich halten – aber auch weil sie den Pharmakonzernen misstrauen, wie Möller einräumt –, und dadurch zur Wiederausbreitung der Masern beitragen. Dieser Punkt steht aber nicht im Zentrum der Ökologiedebatten. Wollen die Stuttgart-21-Gegner, dass in der Mitte ihrer Stadt nur noch Gras wächst und Käfer krabbeln? Nein. Sie wollen, dass ihr Bahnhof überirdisch bleibt. Es geht in allen Debatten um alternative Technikpfade, und immer wieder stellt sich die Frage, was den Staat berechtigt, über solche nur zusammen mit Firmen zu entscheiden, wie sie in acatech vertreten sind, statt die Bürger demokratisch darüber abstimmen zu lassen.
Möller fällt das nicht ein. So sehr er betont, dass es keine unberührte Natur mehr gibt, die wir zu schützen versucht sein könnten, da wir sie längst in Kultur verwandelt haben – was auch Ökologen wissen –, kommt er doch nie auf den Unterschied zu sprechen, der sich hier aufdrängt: dass Natur nicht demokratisch ist, Kultur es aber sein könnte. Wenn wir Krebs haben, ist unsere Wahlfreiheit gering. Doch zur Frage, ob wir mit Atomkraft heizen wollen, hätte es schon vor Jahrzehnten freie Wahlen geben können. Uns wäre viel erspart geblieben. Über das Fehlen von ökonomischer Demokratie kann auch Möllers Liebe zur Natur nicht hinwegtrösten. Dass er gern angelt, glauben wir ihm. Nur tut es gar nichts zur Sache.
Nützlich ist Das grüne Gewissen insofern, als dass es Überblick über die ökologischen Debatten gibt und die Argumente sammelt, die die Industrie in die Waagschale legen würde, gäbe es ökonomische Wahlen. Windkraft oder Kohle? Atomkraft ja oder nein? Welche Lebensmittel? Wie viel Bodenverbrauch für Biogaserzeugung?
Man gewinnt den Eindruck, dass die Industrie guten Grund hat, die ökonomische Demokratie zu scheuen. Denn wer würde zum Beispiel für dieses Argument stimmen: Da gegen „die Unsichtbarkeit der Atome“ nichts spreche – Deutsche fänden sie aber beängstigend, weil „wir uns nach einer empirischen Erfassbarkeit der Dinge sehnen, um ihnen vertrauen zu können“ –, spreche auch nichts gegen Atomenergie? Wer ließe sich davon überzeugen, dass, wenn „manche Tierarten“ verschwinden, „die Natur nichts verliert, weil sie keine Person im Sinne des Menschen ist“?
Die Zeit wird kommen, wo man die Wirtschaft einlädt, die Probe aufs Exempel zu machen.
Das grüne Gewissen. Wenn die Natur zur Ersatzreligion wird Andreas Möller Hanser 2013, 261 S., 17,90 €
Kommentare 9
"Jawoll"! (;-)) Ich sehe den Herrn Müller, demokratisch bis über beide Ohren, schon an seinem freien Wochenende am ehemals fürstlichen Forellen- oder Karpfenteich. Seine Angel fängt für die entrichtete Tagesgebühr, fast garantiert einen Fisch. Die wurden extra für ihn und weitere Liebhaber eingesetzt. - Mann angelt gerne. - Alles Natur, alles schön, alles ruhig und so meditativ. Die höhere Spezies der Angler, lässt sich zum Fliegenfischen nach Kanada bringen.
Ich treffe jetzt die Angler, aber natürlich gilt das auch für den Aufwand, den besonders sportlich begabte, besonders betuchte und besonders willige Zeitgenossen fürs Tiefschnee-"Schifoan" oder fürs Helikopterskiing verlangen. Nichts geht ohne Ökonomie und nichts ist demokratisch an den Nutzungen. Gerade die Exklusivität der Leistungen und der möglichen Ressourcen-Verbräuche spielt eine wesentliche Rolle für den Distinktionsgewinn.
Der ökonomische Zugang zur Natur, der ist, wie der zur reinen Kunstnatur, mit unsichtbaren aber festen Zäunen bestens gesichert.
Auch wenn das viele Bürger beim nun wieder näher rückenden Osterspaziergang in der auftauenden und blühenden Natur, einfach nicht sehen und glauben wollen. Die globale Natur ist, bis auf die Flächen, die sich wirklich schlecht erschließen lassen und in denen noch nichts gefunden wurde, in Claims aufgeteilt und zur Ausbeutung freigegeben.
Die lokale Natur Europas ist das Ergebnis einer 2500-6000 jährigen Kulturformung durch den sesshaft werdenden Menschen.
Allerdings gibt es da massive Unterschiede. Traditionelle, protoindustrielle Kulturlandschaften, die mitgeschleppt und nun wieder gepflegt werden, entfalten Artenreichtum im Freiland.
Industrielle Kulturlandschaften in Mitteleuropa sind hingegen, nicht was die Kulturfolger und die Zahl der größeren Tiere angeht, aber was die Flora und Kleinfauna betrifft, zumeist artenarm. Es gibt Ausnahmen, wie z.B. alte Industriebrachen.
Man nennt solche Flächen hinter Mainz, in Rheinhessen, Kultursteppe.
Nicht, weil es in diesem dicht besiedelten ländlichen Kulturraum keine Kultur gäbe, ganz im Gegenteil, davon ist viel da, sondern weil für den Erhalt der vielfältigen Kulturlandschaft arg viel, gegen den Nutzungsdruck, getan werden musste und weiter geackert wird.
Die Nutzung der Energie- Technologien ist hauptsächlich zentral und über große Monopolfirmen geregelt, die nur durch eine geschickte, auch aus steuerlichen und kartellrechtlichen Gründen stattfindende Filialisierung, eine Vielfalt vortäuschen. Dezentrale Energiekonzepte, bürgerschaftlich kontrollierte Versorgung, die nicht nur zielgenauer und sparsamer, sondern auch kostengünstiger und ressourcenschonender erfolgen könnte, steckt in den Kinderschuhen, oder sie wird, derzeit macht das die CDU/CSU/FDP Regierung sehr geschickt, hintertrieben.Dafür gibt es aber Strompreis-Börsen und die waren noch nie demokratisch, auch wenn sich das manche Grüne vielleicht noch wünschen.
Ich denke allerdings, dass auch bei der SPD oder der Linken, der Glaube an die zentralen Lösungen, wenn auch verbunden mit ganz unterschiedlichen Vorstellungen zur Wirtschaft, ungebrochen ist. Gerade die SPD hatte immer schon eine fatale Neigung zum großen Denken in ökonomischen Fragen und zur großen Lösung. Zentralistische Konzepte sind, das sollten vielleicht Kritiker der Ökologiebewegung auch einmal bedenken, gerade in Umbruchphasen sehr verwundbar und ein Wechsel, wenn Ressourcen wegfallen, fällt immer extrem teuer aus.
Extrem teuer heißt auch, dass die Strukturwandelprojekte, die von den Großunternehmen gesteuert werden, reichlich Raum für Kostenmanipulationen bieten. In Großplanungen lassen sich Kostensteigerungen und Mitnahmeeffekte besser verstecken und so strecken, dass sie nicht sofort ins Auge fallen. - Hauptvorteil: Die so genannte Alternativlosigkeit der Großplanung und damit eine quasi Abnahmegarantie für jeden Unsinn, so lange die Grundsatzentscheidung politisch und juristisch abgesichert ist.
Allerdings genügten jetzt einige mahnende und raunend dahin gesprochenen Worte über Kosten beim Ausfall von Großprojekten und zum Standort Deutschland, um die Schwaben und Badener an der Abstimmungsurne zu disziplinieren. Über Stuttgart 21 wurde abgestimmt und nun kann zwar fast jeder Volkswirtschaftler, Ökologe oder Verkehrsplaner sagen, es ist ein Wahnwitz. Der ist aber demokratisch legitimiert! Die Lügen die dazu notwendig waren, sie wiegen bei Wählern etwa so viel wie einst Helmut Schmidts berühmte Steuerlüge, nämlich nichts.
Beste Grüße
Christoph Leusch
Jawoll, TLacuache! Mit der 8,8 und ähnlichem Krupp, Pseudokrupp verursachen, "Nutzungsdruck" abbauen, in der Kalmückensteppe. Das erste Triebmodell ist funktionalistisch, arbeitet mit Stauung und Druck, sonstwo, gestern, heute, morgen, immer. - Hab´ schon ein wenig verstanden, hoffentlich. Kulturvernichtung durch Dynamit, auch beim Fischen, dann auch Natur im Eimer. Also stimmt der Möller war es, nicht der unschuldige Müller. IG-Nobel irgendwas, hat nicht den armen Müller an der Angel, aber sehr wohl Sargent Miller von der Artillery und seine Deutschen Pendants. Alles Leute mit großen Ambitionen in der ach so produktiven Zerstörung. Jawoll! Verstanden. Steppe, Wüste, überall.
Grüße
Christoph Leusch
Mein herzliches Beileid angesichts des Durchleidens dieses Schmökers!
Habe ich etwas übersehen oder kommen Begriffe wie Profit, Ausbeutung, Umverteilung (von Naturverfügung) zuungunsten der unteren 90 Prozent usw. nicht vor?
Kann es sein, dass "Antitechnizismus" ein notwendiges Korrektiv in einer Ingenieurskultur wie der deutschen ist - also ein demokratisches Kontrollinstrument , das uns vor einem Technik-Totalitarismus bewahren soll? Kann es sein, dass es in der derzeitigen Schlacht um "Großprojekte" um einen Kulturkampf genau darum handelt?
Kann es sein, dass Möller ziemlich heftig projeziert, wenn er von "gut" und "böse" in Hinblick auf "Natur" schwadroniert? Also selbst genau von jenem Mystizismus befallen ist, denn er den Ökologen vorwirft, die er dann auch noch mit Esoterikern gelichsetzt?
Da wird Krebs dann böse "Natur", die es technizistisch zu bekämpfen gilt. Dass vielleicht mancher "Fortschritt" ursächlich für manchen Krebs verantwortlich sein könnte, muss man bei einem solchen "Gott"-und-"Teufel"-Spiel dann natürlich nicht mehr in Erwägung ziehen.....
Scheint zielmlicher Schwachsinn zu sein und beweist allenfalls, wie "mystisch" "Techniker" denken, wenn sie sich außerhalb ihres natürlichen Habitats bewegen. Und vielleicht ist genau das auch das Kernproblem...
Hallo Michael,
der 5000 ste Versuch ( hier eben mal von A. Möller), Nebelbomben zu streuen, dämliche Ablenkungsmanöver vom eigentlichen Thema einer schwer verwundeten Natur.
Hier wird nichts gewusst vom Wahnsinn der Welt
https://www.freitag.de/autoren/bildungswirt/vom-wahnsinn-der-welt
Warum besprichst du überhaupt noch solche Bücher? Zeitverschwendung.
lG Bildungswirt
Danke fürs Beileid! Ja, das war hart. Bestimmte Bücher lesen zu müssen, ist eine Zumutung.
"Zeitverschwendung" wars trotzdem nicht. Als ichden Text schon geschrieben hatte, er aber noch nicht veröffentlicht war, erschien in der FAZ an prominenter Stelle eine lobende Rezension, die im Westentlichen nur die ganzen Macken der Umweltfreaks, wie Möller sie genüßlich schildert, nachbetet. Das kann man doch nicht so stehen lassen! Kritik, wie ich sie vortrage, wurde von Prof. Claudia Kemfert vom DIW Berlin in einem Streitgespräch im Deutschlandradio in Anwesenheit Möllers geübt. Aber das hat nun auch nicht jeder gehört, ich z.B. wußte nichts davon. (Sie hat mir heute vormittag geschrieben: Vielen Dank!) Claudia Kemfert berichtet auch, daß Möller bei der Firma Aurubis beschäftigt ist,
Gut, gut----trotz alledem und alledem....das muss jeder selbst wissen.
Dass in der FAZ solch eine lobende Rezension erscheint, das wundert mich nicht. Mediengetöse nach allen politischen Seiten belebt das Geschäft.
Schirrmacher alarmiert ständig zu allem und jedem, bleibt aber seltsam folgenlos. Demnächst bringt er bestimmt ein "kritisches" Buch zur Ökologie und dann wird wieder ökonomisch weiter geturnt.
Ich wollte diesen Kommentar verstecken lassen, weil er versehentlich abbricht, nicht den anderen, aber nun ists so rum geschehen, auch gut. Der Satz ist so zuendezuführen: „... daß Möller bei der Firma Aurubis beschäftigt ist, von der Claudia Kemfert sagt, sie sei ‚eine der größten Energiewende-Gegner‘“.
Ja, der Schirrmacher - wohl wahr.