Nette Unternehmer

Arbeitszeitpolitik Was unsere Nachbarn für modern halten

Arbeitszeitverkürzung - in Deutschland heute kein Thema. Warum eigentlich nicht? Unsere Nachbarn Frankreich und Niederlande haben die besten Erfahrungen damit gemacht. In beiden Fällen wird der Beschäftigungseffekt von niemandem angezweifelt. Auf einer Tagung im Auftrag des Arbeitsministeriums von Nordrhein-Westfalen, deren Dokumentation jetzt erschienen ist, konnte man Genaueres über diese Länder und auch über die Arbeitszeitpolitik Dänemarks und Belgiens erfahren. Das französische Beispiel ist aktuell. Wer es studiert, wird auf viele Verlogenheiten deutscher "Sozialdemokraten" aufmerksam. Walter Heinz etwa, der Arbeitsminister von NRW, stellt in seinem Vorwort dar, wie man in Düsseldorf "moderne Arbeitszeiten" fördert: er versteht darunter die Flexibilisierung der Arbeitszeit, damit "Auftragsschwankungen besser aufgefangen und Arbeitsabläufe besser aufeinander abgestimmt werden können". Löbliche Ziele, zumal Heinz nicht übersieht, dass "es natürlich auch personenbedingte Determinanten gibt": "Persönliche, private und familiäre Zeiterfordernisse müssen mit den Arbeitszeiten in Einklang gebracht werden." Darüber scheinen Unternehmer mit sich reden zu lassen. Nett von ihnen! Aus dem Referat über Frankreich erfahren wir aber, dass dort die Bereitschaft der Arbeitnehmer, sich auf flexible Arbeitszeit einzulassen, als politisches Tauschgeschäft begriffen wird - die Unternehmer müssen dafür mit Arbeitszeitverkürzung bezahlen. Wir sehen auch endlich einmal, was eine Konsenspolitik ist, die ihren Namen verdient. Die Regierung Jospin hat durch eine raffinierte Strategie zweier Gesetze, die im Abstand von anderthalb Jahren aufeinander folgten, die Sozialpartner in Zugzwänge gebracht. Es ist zu einer aufregenden Dynamik gekommen. Der Konsens über die genaue flexible Arbeitszeitregelung im Tausch gegen mehr Freizeit wird Betrieb um Betrieb ausgehandelt, wobei auch die Gewerkschaften ein Wörtchen mitsprechen. Erste Untersuchungen zeigen, dass Arbeitnehmer die neue Flexibilität gern mittragen, wenn die Arbeitszeitverkürzung sich in ganzen arbeitsfreien Tagen niederschlägt. Man vergleiche damit die "Konsenspolitik" Gerhard Schröders, nach der es darauf ankommt, sich jedenfalls im Konsens mit Unternehmern zu befinden - Beispiel "Energiekonsens" -, ohne Rücksicht auf Mehrheiten.

Institut zur Erforschung sozialer Chancen (Hrsg.): Von den Nachbarn lernen. Beschäftigungswirksame Arbeitszeitpolitik in Europa. Dokumentation einer Tagung am 1. März 2001, Köln 2001.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur (FM)

studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. an der Universität Innsbruck für poststrukturalistische Philosophie inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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