Ökologie ist der Schlüssel

KLIMMTS BRIEF UND GYSIS THESEN Klärungsversuche im Widerstand gegen Schröder

Das Sommerloch ist auch nicht mehr, was es mal war. Es passiert eine ganze Menge. Der Widerstand gegen Schröder beginnt sich zu formieren. Sowohl der Brief des saarländischen Ministerpräsidenten Klimmt als auch die Thesen von Gysi antworten dem »Schröder-Blair-Papier«. Es ist, als ob sie die Ferienruhe abwarten mußten, um vielbeschäftigten Parlamentariern etwas zu denken zu geben. Das Schröder-Blair-Papier indessen wurde während der laufenden Geschäfte lanciert. Und auch jetzt ist Schröder nicht faul, er hat Klimmt schon wieder geantwortet. Wie es seine Methode ist, tut er so, als sei Klimmt sein Anhänger: »Wenn es zum Schwur kommt, hat Reinhard Klimmt immer noch bewiesen, daß er ein zuverlässiger Mitstreiter ist. Das wird auch in Zukunft so sein. Ich bin da nicht sonderlich ängstlich.« Braucht er auch nicht zu sein, weil er weiß, daß die Medien mitspielen. Während er von seinen Gegnern einfach behauptet, sie trieben das Gleiche wie er, geben die Medien Feuerschutz durch ihren geistreichen »Realismus«. Klimmt will ja nur die saarländischen Wahlen gewinnen. (Da muß er behaupten, gegen Schröder zu sein, obwohl er Schröders »Mitstreiter« ist.) Und Gysi will »verärgerte SPD-Wähler zur PDS lotsen«, wie der Tagesspiegel meldet. (Das wußten wir auch ohne die Thesen, Gysi hätte sie sich schenken können.)

Klimmts Brief zeigt, wie schwer Schröder es seinen Gegnern macht. So extrem der Vorgang ist, daß ein Ministerpräsident den Kanzler der eigenen Partei angreift, so zahm fällt dennoch die Kritik aus. Zum einen weist Klimmt den Angriff des Schröder-Blair-Papiers gegen die SPD zurück. Die SPD sei nicht allein schuld an der Misere hoher Steuern und ausufernder Sozialleistungen, denn sie habe zwei Jahrzehnte lang gar nicht regiert. In der Tat, aber die Ungeheuerlichkeit, daß Schröder gegen die SPD regiert, die ihn dennoch stützt, ist damit nicht begriffen. Zum andern wiederholt Klimmt gegen Schröder die Argumente, die einst Lafontaine, den Wahlsieg der SPD vorbereitend, gegen Waigel gehäuft hatte. »Was mir nicht einleuchten will, ist die Gleichzeitigkeit der beiden Schritte: wie läßt sich ein überschuldeter Staatshaushalt sanieren, wenn zugleich die staatlichen Einnahmen sinken? Muß dann nicht der Einspardruck so stark werden, daß er bei der erforderlichen Anpassung der staatlichen Sozialleistungen die Grenzen des Sozialverträglichen sprengt?« Das muß er wohl, aber Schröder ist schon weiter, er streitet ja gar nicht ab, daß er Kohls und Waigels Politik fortsetzt, sondern wirft ihnen mangelnde Härte vor. Er besetzt Spitzenpositionen in Regierung und Partei mit jungen Leuten, die ihn »modern« finden.

Es ist wahr: Klimmt schreibt, als sei er Lafontaines Sprachrohr. Die Debatte um eine Flexibilisierung der Arbeitszeit habe Lafontaine schon vor zehn Jahren angestoßen. Die Aussagen des Schröder-Blair-Papiers zur Mittelstandspolitik gingen über Lafontaines Regierungserklärungen in Saarbrücken nicht hinaus. Auch die Doppelstrategie aus Angebots- und Nachfragepolitik sei nicht neu, sondern das war Lafontaines Linie vor den Bundestagswahlen. Nur müsse man nach einer »Angebotspolitik von links« ohne »Dumping der sozialen und ökologischen Standards« fragen. Aber Klimmt spricht nicht nur für Lafontaine, sondern beide treten als Sprachrohr des deutsch-französischen Bündnisses auf, das Schröder durch ein deutsch-britisches weniger ergänzen als ersetzen zu wollen scheint. Das ist in Klimmts Brief die wichtigste Botschaft, denn da verteidigt er sich, Lafontaine und die SPD nicht nur, sondern macht auf eine neue Entwicklung aufmerksam: »Die Achse Bonn-Paris« war »Ausgangspunkt der wichtigsten Impulse« des europäischen Einigungsprozesses, Großbritannien hingegen habe immer gebremst. Tun sich mit Schröder und Blair zwei Europa-Bremser zusammen?

Doch gerade was Blair angeht, sind Gysis Thesen noch realistischer. Denn wie er zeigt, ist schon der Ausdruck »Schröder-Blair-Papier« ein Etikettenschwindel. Schröder hütet sich, von Blair zu lernen. Blickt Deutschland auf Großbritannien, um von angeblich überhöhten Steuersätzen herunterzukommen? Das ist die Lüge der Ausbeuter. Während in Deutschland der durchschnittliche Unternehmenssteuersatz bei 21 Prozent liegt, liegt er in Großbritannien bei 32,4 Prozent. Da sieht man die ganze Hilflosigkeit des Klimmt-Briefes, der mit dem »Schröder-Blair-Papier« umgeht, als lägen da Argumente vor, die der Widerlegung harren.

Gysi sucht Grundlinien einer »Politik des modernen Sozialismus« zu skizzieren. Da erwartet man gar nichts Neues, aber man täuscht sich, eine Veränderung des bisherigen Parteiprogramms ist unverkennbar. Der Gedankengang geht in einem Maß von der ökologischen Problematik aus, wie man es von früheren Entwürfen nicht kannte. Früher war die Reihenfolge stets so, daß erst Vollbeschäftigung und dann als Mittel, sie herbeizuführen, neben anderer Arbeit auch mehr ökologische Arbeit gefordert wurde. Daraus hatte sich der Pragmatismus der »Schaffung eines öffentlich geförderten Beschäftigungssektors« ergeben, den Gysi zwar auch jetzt noch aufführt, aber doch eher am Rande. Es liegen ja inzwischen Erfahrungen vor: die PDS regiert in Schwerin und kommt diesem Sektor keinen Flohsprung näher. Gysi denkt inzwischen grundsätzlicher, er spricht wieder von Marx. Die Reihenfolge ist jetzt so, daß nicht mehr beliebige Arbeitsplätze gefordert werden, sondern solche, die aus dem ökologischen Umbau folgen: »Es ist möglich und erforderlich, einen neuen Pfad wirtschaftlicher Entwicklung einzuschlagen und einen mit der Umwelt und den menschlichen Bedürfnissen vereinbaren Entwicklungstyp zu finden. Auf der Tagesordnung steht ein sozialökologischer Umbau...« Wo die Produktion dem Bedürfnis dienen soll und nicht das Bedürfnis der Produktion - der Produktion von Atomkraft, Eurofightern und genmanipulierter Nahrung, die auf dem Markt nicht verkaufbar wären, hätte die Masse der Käufer darüber zu entscheiden -, da liegt es in der Tat nahe, Marx zu zitieren.

Gysi nähert sich Positionen, die die Grünen vertreten oder vertreten haben. Wichtiger als der Massenkonsum seien die freie Zeit und der Kampf um eine neue Lebensweise, schreibt er zum Beispiel und lehnt auch die Ökosteuer nicht mehr frontal von außen ab, sondern hält sie dann für sinnvoll, wenn der Ertrag für den Ausbau öffentlicher Vekehrsnetze ausgegeben wird.

Wichtig und neu ist der Gedanke, daß Ökologie, oder überhaupt eine an Bedürfnissen orientierte Produktionsweise, nicht nur ein Inhalt ist, der von Machtpragmatikern, etwa den Schweriner Koalitionären, irgendwie durchgesetzt werden soll, sondern daß sie der Institutionen bedarf; nicht nur Inhalte, sondern Institutionen müssen durchgesetzt werden: »So wie im politischen System die Gewaltenteilung eine Bedingung für Demokratie ist, so ist die Teilung von ökonomischer Macht Bedingung einer sozialen und ökologischen Wirtschaftsordnung.« »Die Institutionen für eine ökologische Regulation der Wirtschaft sind in weiten Teilen erst zu schaffen. Grundvoraussetzung wäre das Prinzip, daß ökologische Ressourcen je nach ihrer Natur und Bedeutung Gemeineigentum der lokalen oder regionalen Gemeinschaften, der Nationen oder der Weltbevölkerung werden«, auf welcher Grundlage die private Nutzung nur »gegen den Ersatz der Reproduktionskosten« erfolgen kann.

Das ist ein gutes Programm. Daß die Gemeinschaft nach ihren Bedürfnissen lebt, nicht indem sie alle politische und ökonomische Planungsmacht in einer einzigen Institution bündelt, sondern indem sie mehrere politische und auch mehrere ökonomische Institutionen errichtet, ist das nicht schon der komplette Marx, wie man ihn demokratisch statt zaristisch und preußisch gar nicht anders lesen kann? Soweit Gysis Thesen ein Beitrag zur innerparteilichen Programmdebatte sind, kann man ihnen nur Glück wünschen. Das Problem der realen Macht in diesem Land lösen sie allerdings so wenig wie Klimmts Brief. Schröder braucht vor der Stimme der Vernunft nicht zu zittern, weil sie gar nicht durchdringt. Hoffnungsvoll stimmt es aber, daß Dietmar Bartsch, der Geschäftsführer der PDS, die Thesen ein Angebot an SPD-Wähler, »Kirchen und Gewerkschaften« nennt. Diese Offensive ist der richtige Weg, weil sie sich selbst wieder an Institutionen wendet, statt gegen Schröder nur Inhalte in einem irgendwie abstrakt »außerparlamentarischen« Kampf zu mobilisieren.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur (FM)

studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. an der Universität Innsbruck für poststrukturalistische Philosophie inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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