Eisenblätter hat Tilo Medek (1940–2006) seine erste Sinfonie für Orchester und Orgel genannt, die das Sinfonische Kammerorchester Berlin am 26. Juni im Konzerthaus am Berliner Gendarmenmarkt uraufgeführt hat. 1983 komponiert, konnten damals nur ein paar Bruchstücke in einem Zelt aufgeführt werden, weil die Bonner Beethovenhalle wegen eines Brandes ausfiel.
Medek, ein Komponist aus der DDR, war 1977 ausgebürgert worden und hatte seitdem in der Bundesrepublik gelebt. Was dort 1983 „los war“, wissen Ältere noch: Eine große Widerstandsbewegung gegen die sogenannte Nachrüstung der NATO, die bevorstehende Stationierung von atomar bestückten Pershing II-Raketen und Cruise Missiles, war entstanden, weil ein Präventivschlag der
28;ventivschlag der davon bedrohten Sowjetunion befürchtet wurde.Die Eisenblätter versetzten mich in diese Zeit zurück, und dass sie gerade heute wieder auftauchen, in der Zeit des Ukraine-Kriegs, erscheint mir wie ein Geschichtszeichen. Ich weiß noch, wie wir uns damals in der Oper Die Soldaten (1965) von Bernd Alois Zimmermann gespiegelt sahen und manche die Aufführung heulend verließen, war doch schon die Verkleidung von Hinweisen auf Atomschutzräume in einigen U-Bahn-Stationen entfernt worden.Wie viel besser noch hätte uns Medek aus der Seele gesprochen, aber auch ermutigt, hätten wir seine direkt aktuelle Komposition damals gekannt. Sie ist keine „Programmmusik“, aber dass sie den Krieg reflektiert, ist klar und liegt schon im Titel, zu dem sich der Komponist von der Ostberliner Eisenblätterstraße animieren ließ. Im Krieg wird Eisen verbraucht, das ist der Ausgangspunkt, aber auch Kirchenglocken, die den Frieden einläuten können, sind aus diesem Material, und dahin führt zuletzt – wenn man schon nicht mehr damit rechnet – der Bogen der Sinfonie.Was deren sieben Sätze verbindet, ist ein rhythmisch, aber nicht melodisch gleichförmiges Tamtamtamtam als Grundgerüst der komplexen Polyphonie eines sehr großen Orchesters, ein meist rasendes, ja schreiendes Hervorheben des Takts, der dennoch wie von außen nüchtern betrachtet, dabei freilich auch erlitten wird.„Eisenblätter“ im dritten Satz außer Kontrolle geratenSätze aus der politischen Theologie von Johann Baptist Metz können einem dazu einfallen: Wenn Metz vom „hörbar gewordenen Lauf der Zeit“ spricht, „der unbarmherzig alles überrollt und durch nichts zu unterbrechen ist“, ein „Kontinuum“, das jede Erwartung austreibt und nur noch „Fatalismus“ erzeugt, weil es „alles gnadenlos“ einschließt, so möchte man meinen, er habe von Medeks Sinfonie gesprochen.Diese aber, als Musik, kann den Fatalismus vom ersten Takt an auch subvertieren. In ihr ist der „Lauf der Zeit“ da bereits, wo er nur zu überrollen scheint, auch mitreißend kraftvoll und lässt eine verborgene (Vor-) Freude ahnen. Im ruhigen zweiten Satz erinnert sie daran, dass auch Fréderic Chopins berühmtes Prélude e-moll (um 1835) mit einer rhythmisch gleichförmigen Figur, der Wiederholung eines „langen Vorschlags“, beginnt. Medek weiß und sagt, dass sie Robert Schumanns Wort illustriert, Chopin vertone „unter Blumen eingesenkte Kanonen“.Später, nachdem sich das „Kontinuum“ im dritten Satz überschlagen hat und außer Kontrolle gerät, bahnt sich die Wende an mit wiederum gleichförmigen Rhythmen in der Art Piazzollas, des Tangokomponisten. Eine sehr andere Zeitenwende als die von Olaf Scholz! Zum Schluss macht sich das ganze Orchester den Glockenrhythmus zu eigen.Tilo Medek ist ein großer Komponist, dessen umfangreiches Werk alle Genres umfasst und den es noch zu entdecken gilt.