Starke Worte

Manifest von Buenos Aires Clement und seinesgleichen treffen auf eine gemeinsame Front des Südens

Wenn ein Ereignis wichtig ist, beherrscht es die Schlagzeilen, außer es rührt an der Nerv unserer Existenz. Das "Manifest von Buenos Aires" verschwand in den hinteren Zeitungsseiten. Vorige Woche Donnerstag veröffentlicht, war es etwa dem Spiegel keine Zeile wert. Der treibt lieber den designierten IG-Metall-Chef Peters in die Isolation: Künftig, schreibt der Spiegel, werde es zwei Metallergewerkschaften geben, eine von Peters und eine von Huber geführte.

Was für ein unwichtiger Vorgang aber auch: Da formiert sich drei Wochen vor der Ministerkonferenz der WTO (Welthandelsorganisation) in Cancún, Mexico, der Widerstand der "Entwicklungsländer". An der Spitze der 16, die jenes Manifest unterzeichneten, stehen China, Indien und Brasilien. Sie wenden sich gegen die Lügen und verbrecherischen Verhältnisse, die den US-amerikanisch und westeuropäisch beherrschten Weltmarkt strukturieren. Die OECD-Staaten wollen durchsetzen, dass die armen Länder ihre Zollgrenzen abreißen. Den Konzernen von McDonald´s bis Monsanto soll Gelegenheit zur Übernahme der jeweiligen inländischen Märkte und sogar zur Unterwerfung der bäuerlichen Produktion (Patentschutz für Saatgut), also zur Zerstörung der letzten Reste von Ernährungsautonomie gegeben werden.

Ernährungsautonomie gehörte zu den Gründungszielen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Da dieses Ziel längst erreicht ist, gibt es landwirtschaftliche Überschüsse, die man im Süden der Welt verkaufen will. Ernährungsautonomie als Ziel auch von Südländern könnte da stören. Also fordert der Norden mehr "Freiheit" vom Süden. Auch wenn sie statt Freiheit Freihandel sagen, ist es eine Lüge, denn die Überschussproduktion der europäischen Bauern wird subventioniert, das ist auch eine Form von Zollmauer. Die EU will nicht abrüsten, die USA ebenso wenig, nur die Südländer sollen kapitulieren. Dass dort täglich 26.000 Menschen verhungern, wie eine Broschüre des Bundesministeriums für "Entwicklungszusammenarbeit" einräumt, ist offenbar des Verbrechens noch nicht genug.

Das Manifest von Buenos Aires fordert die Marktöffnung für Südprodukte. Die EU soll zum Beispiel Einfuhrquoten für abgabenfreie Importe eröffnen. Zehn Prozent des EU-Inlandsverbrauchs sind im Gespräch. Subventionen sollen auch in geschönter Form nicht mehr dargereicht werden dürfen. Eine solche ist die "Blue-Box-Beihilfe", die gezahlt wird, wenn Bauern ihre Produktion beschränken. Mit diesem Geld können sie aber an anderer Stelle die Produktion gleich wieder ausweiten oder sich in der Konkurrenz gegen Südländer stärken, indem sie ihre Produkte zeitweise verbilligen.

Das Manifest will damit Schluss machen. Und nun höre man, wie die von uns gewählten Staatsmänner reagieren: Bundeswirtschaftsminister Clement mahnt, die Südländer sollten nicht "überziehen". Es sei "problematisch", sagt er, "wenn wettbewerbsfähige Entwicklungsländer ängstlich an ihrem hohen Zollschutz festhalten". Solche Worte aus Clements Mund sind ja nicht gerade überraschend. Auch die Opfer der Agenda 2010 müssen sich das Loblied auf ihre "Wettbewerbsfähigkeit" anhören. Aber Länder, in denen es Hungertote gibt, so anzupflaumen, ist doch um Einiges verbrecherischer.

Das Manifest fordert "gerechte Zinsen" für die Schulden, die man den armen Ländern einst als angebliche "Entwicklungshilfe" aufnötigte. "Man kann unsere Völker nicht zur Armut und Marginalisierung verurteilen, um die Erfüllung einer unbezahlbaren Schuld vorzutäuschen", sagt der argentinische Präsident Kirchner. Venezuelas Staatschef Chávez geht noch weiter: Er beruft sich auf Simón Bolivar, wenn er Schritte zu einer "befreienden Integration Lateinamerikas" fordert. Und Kirchners Kabinettschef Fernández versichert, sein Land werde kein Abkommen mit dem IWF (Internationaler Währungsfonds) mehr unterzeichnen, "das unsere Wachstumschancen zurücksetzen oder die Überwindung der Rezession verhindern würde". Das sind starke Worte. Eine solche Front, die von Lateinamerika bis China und Indien reicht - hat es das seit Mao schon einmal gegeben? Auch Peter Carl, der EU-Generaldirektor für Handelspolitik, findet den Vorstoß "überzogen". Einige Länder fielen in die "Nord-gegen-Süd-Slogans" der siebziger Jahre zurück, meint er. Man kann nur hoffen, dass er recht hat.

Mit einem "Krieg gegen den Terror" bemäntelt der Norden seine eigene Terror-Ökonomie. Dieser Krieg verfehlt offenbar seinen Zweck. Die Menschen im Süden lassen sich nicht täuschen. Und auch hierzulande gibt es Anfänge von "Globalisierungskritik". Die siebziger Jahre waren eine gute Zeit. Sie sahen den Abzug der USA aus Vietnam. Warum nicht da anknüpfen?

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur (FM)

studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. an der Universität Innsbruck für poststrukturalistische Philosophie inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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